Leitartikel

„Mehr als drei Minuten“

Mehr als drei Minuten

Mehr als drei Minuten

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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In seinem Leitartikel beleuchtet der ehemalige Chefredakteur des „Nordschleswigers", Siegfried Matlok, die Sicherheitspolitik Dänemarks und nennt einen Vorschlag, wie der Konflikt in der Ostukraine gelöst werden kann.

In Verbindung mit dem Mauerfall 1989 erinnerte sich Königin Margrethe kürzlich in einem Fernseh-Interview anlässlich ihres Thronjubiläums an den Kalten Krieg zwischen Ost und West – und an die Gefahr, dass auf ostdeutschen Militär-Flugplätzen Jagdbomber bereitstanden – „nur drei Minuten von Dänemark entfernt“. Das sei, so die Monarchin, alles andere als „hyggelig“ gewesen.

Lange her, doch leider wird es zurzeit wieder eher „uhyggelig“, ja mehr als nur ungemütlich: Dänemarks Verteidigung beginnt längst nicht mehr in Krusau oder an der innerdeutschen Zonengrenze, sondern inzwischen liegt die Front im Baltikum und in der Ostsee.

In den dänischen Medien tobt bereits ein „Stellvertreterkrieg“, kämpfen die Botschafter von Russland und der Ukraine um die Gunst der dänischen Politik und um die Lufthoheit, Hoheitsdeutung in der dänischen Bevölkerung. Der Ukraine-Konflikt zwischen Russland und dem Westen rückt gefährlich näher. Der russische Botschafter in Kopenhagen, Vladimir Barbin, beklagte im dänischen Fernsehen die „dänische Anbiederung“ gegenüber der Ukraine und kritisierte scharf die dänische Politik.

Sein Amtskollege aus der Ukraine, Mykhailo Vydoinyk, forderte hingegen Dänemark zur Unterstützung seines durch den russischen Aufmarsch so bedrohten Landes auf, am liebsten auch mit Waffen.

Die dänische Regierung reagierte prompt: Sie ließ in Korsør die Fregatte „Peter Willemoes“ auslaufen mit dem Ziel, im Nato-Flottenverband russische Ostsee-Aktivitäten zu beobachten, und gleichzeitig wurde beschlossen, drei F-16-Kampfmaschinen ins Baltikum zu verlegen, um dort zunächst für drei Monate den Luftraum zu kontrollieren, eine Aufgabe, die die dänische Luftwaffe bereits mehrfach im Rahmen von „Baltic Air Policing“ durchgeführt hat. Insgesamt handelt es sich um rund 250 dänische Soldaten, die der Nato zur „Abschreckung“ zusätzlich zur Verfügung gestellt werden; beachtlich für das „kleine“ Mitgliedsland!

Dänisches Militär ist seit Jahrzehnten im Ausland präsent, allein 11.000 Soldaten dienten von 1955 bis 1966 in UNO-Einheiten im Gaza-Gebiet, aber während die früheren Einsätze allein der Friedenserhaltung galten, haben dänische Militär-Operationen seit der aktivistischen Außenpolitik von Staatsminister Fogh Rasmussen sich auch an „friedensschaffenden“ Einsätzen beteiligt.

Besonders der Irak-Krieg an der Seite der USA ist noch in Erinnerung – ebenso wie zuletzt die Teilnahme am Afghanistan-Krieg mit dem unwürdigen Abschluss; nicht zu vergessen dabei auch die im internationalen Vergleich hohen dänischen Verluste. Heute laufen dänische Aktionen unter anderem in Afrika (Küste von Guinea, Mali), in der Hormus-Straße am Persischen Golf, aber auch zwischen Süd- und Nordkorea sind die dänischen Soldaten gegenwärtig aktiv.

Man kann sagen, dass alle internationalen Missionen bisher weit weg von zu Hause stattgefunden haben bzw. stattfinden, aber durch den Einsatz von „Peter Willemoes“ und der F-16-Maschinen in der Ostsee rückt ein Konflikt näher an die eigene Haustür. Staatsministerin Mette Frederiksen sprach in ihrer jüngsten Neujahrsansprache von einem „aggressiven“ Russland – nach Beginn der militärischen Eskalation in der Ukraine und drumherum. Was in Dänemark seit Jahren Besorgnis hervorruft, sind nicht nur die häufigen Verletzungen des dänischen Luftraums über Bornholm durch russische Maschinen – das ist schon fast tägliches Training für die F-16-Piloten in Skrydstrup –, sondern insbesondere richtet sich der sorgenvolle dänische Blick gen Arktis, wo russisches Militär – sogar atomar bewaffnet – immer mehr Stärke demonstriert, verbunden mit geo-strategischen Interessen Moskaus. Das wiederum hat die bereits in Thule auf Grönland stationierten Amerikaner alarmiert, übrigens nicht allein bekundet durch Trumps „freundliches“ Kaufangebot für die Insel im Nordatlantik.

Dänemark hat der Ukraine finanzielle Hilfen bereitgestellt, und nachdem Außenminister Jeppe Kofod selbst vor Ort die russischen Panzer an der Grenze zur Ukraine in Augenschein genommen hat, beschloss jetzt eine Mehrheit im Folketing, nicht nur eigenes Militär in die Krisen-Region zu entsenden, sondern auch Waffenlieferungen an die Ukraine. Zwar wird darauf hingewiesen, dass es sich nur um militärisches Gerät für die ukrainische Heimwehr handelt, nicht um Anti-Luftschutz-Raketen wie vom ukrainischen Botschafter Mykhailo Vydoinyk erbeten, aber die – offiziell ja nur defensive – dänische Unterstützung für die Regierung in Kiew ist in Moskau natürlich mit Verärgerung zur Kenntnis genommen. Ja, der russische Botschafter Vladimir Barbin warf den dänischen Politikern und den Medien angebliche Falsch-Informationen vor: Geradezu lächerlich antwortete darauf Verteidigungsministerin Trine Bramsen.

Klar ist jedoch, dass Dänemark im Gegensatz zu Deutschland Waffenlieferungen bereitstellen will. Die neue Bundesregierung hat dies bisher strikt abgelehnt, und im Verhältnis zum Ukraine-Konflikt ist es kein Geheimnis, dass die dänische Politik mehr oder weniger deutlich von Berlin erwartet, dass die Ampel beim umstrittenen Nordstream-2-Projekt nun auf Rot umschaltet.

Wenn Regierung und Folketing in diesen Tagen ihren antirussischen Kurs noch verstärken, dann hat dies nicht nur rationale, sondern auch emotionale Gründe. Dänemark empfindet historisch eine besondere Verpflichtung gegenüber den drei baltischen Staaten.

Die dänische Regierung war unter Außenminister Uffe Ellemann-Jensen die erste westliche, die die Unabhängigkeit von Estland, Litauen und Lettland anerkannte, als die Sowjetunion zusammenbrach.

Hinzu kommt, dass im Ultimatum von Putin auch die Forderung enthalten ist, dass Schweden und Finnland sich nicht künftig der Nato anschließen dürfen. Dass die schwedische Armee jetzt sogar Panzer auf der Ostsee-Insel Gotland rollen lässt, hat beim Brudervolk am Öresund tiefen Eindruck hinterlassen, sodass selbst jene Politiker, die noch gezögert haben, inzwischen von der Notwendigkeit überzeugt sind, auch im eigenen Interesse eine neue „Breschnew-Doktrin“ im Norden abzulehnen. Die volle Nato-Solidarität Dänemarks steht jedenfalls außer Zweifel; politisch und auch militärisch, vor allem in enger Abstimmung mit den Amerikanern.

Sehr interessant erscheint, dass die dänische Regierung in ihrem Hilfsprogramm für die Ukraine auch Maßnahmen unterstützen will, die einen Dialog zwischen den verfeindeten Bevölkerungsgruppen in der Ost- und West-Ukraine ermöglichen sollen.

Eine Russland-Expertin – keine Putin-Versteherin – sieht darin sogar einen möglichen Ansatz zu einer Konfliktlösung, deren Vorbild im deutsch-dänischen Grenzland zu finden ist.

Volksabstimmungen wie bei uns 1920!

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