Leitartikel

„Manchmal muss man Statuen einreißen“

Manchmal muss man Statuen einreißen

Manchmal muss man Statuen einreißen

Kopenhagen/Nordschleswig
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Derzeit wird über den Abriss von Statuen diskutiert. Für die Sprengung des Bismarckdenkmals auf dem Knivsberg sollte man dem dänischen Widerstand dankbar sein, meint Korrespondent Walter Turnowsky.

Vor allem in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien sind Statuen zunehmend in das Visier der Black-Lives-Matter-Bewegung geraten. Befürworter der Sklaverei und Imperialisten soll man nicht ehren, meinen die Demonstranten.

Einige wurden von den Aktivisten selbst umgerissen oder beschädigt. Andere sind nach Diskussionen offiziell entfernt worden.

In der Nacht zum 21. Juni kam diese Diskussion auch im Königreich Dänemark an. Die Statue von Hans Egede in der grönländischen Hauptstadt Nuuk wurde mit roter Farbe beschmiert und auf den Sockel wurde „decolonize“ geschrieben. Egede hat die dänische Kolonisation Grönlands eingeleitet. In dieser Woche traf es dann auch in Dänemark eine Egede-Statue und (etwas unverständlich) zwei Statuen des Polarforschers Knud Rasmussen.

In Grönland haben die Aktionen intensive Debatten zu den Folgen der Kolonialzeit und zu Egedes Rolle ausgelöst. Einigkeit über die Zukunft der Statue herrscht keine.

In Dänemark dagegen war die Reaktion fast einhellig, man solle die Statuen in Ruhe lassen. Man solle Geschichte nicht ausmerzen, und außerdem müsse man Egede in den rechten historischen Zusammenhang stellen, könne nicht von der heutigen Warte aus urteilen.

Doch die Frage ist, ob diese reflexartige Reaktion nicht ein wenig übereilt und im Übrigen auch geschichtslos ist. Als die kommunistischen Regimes Ende der 80er Jahre zusammenbrachen, wurde eine große Anzahl Statuen eingerissen, wurden Straßen und Städte umbenannt. Dies war Teil eines notwendigen Reinigungsprozesses. Vereinzelt blieben jedoch Denkmäler stehen. In Chemnitz, der ehemaligen Karl-Marx-Stadt, thront der übergroße Kopf eben jenes Marx bis heute im Stadtzentrum.

Auch die Minderheit kennt Fragestellungen zu Statuen und Denkmälern. 1945 haben Mitglieder des dänischen Widerstandes den Turm auf dem Knivsberg, der eine der einen Bismarckstatue enthalten hatte, gesprengt. Ich denke, man sollte ihnen dafür danken – auch wenn Bismarck 1945 nicht mehr Teil des Denkmals war. Denn wäre der Knivsberg ansonsten der Knivsberg, wie wir ihn kennen, wenn Kinder unter diesem Monument spielen und Sport treiben müßten? Hat nicht gerade die Abwesenheit der 45 Meter hohen Denkmal zur Entspannung des Verhältnisses zwischen Mehrheit und Minderheit beigetragen?

Die Minderheit selbst hat in den vergangenen Jahren – wenn auch weniger spektakulär – „Denkmäler“ entfernt. So wurde der „Ehrenhain“ am Knivsberg 2012 in „Gedenkstätte“ umbenannt. Die Namen von Kriegsverbrechern wurden auf den Gedenktafeln entfernt. Eine notwendige und schmerzhafte, wenn auch späte, Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Und erst vor zwei Wochen wurde das Schmidt-Gorsblock-Zimmer im Haus Nordschleswig umbenannt. Das Werk des Dichters Hans Schmidt-Gorsblock enthällt Lobeshymnen auf den Nationalsozialismus.

Der Kulturwissenschaftler Moritz Schramm schlägt vor, dass man Gendenktafeln von weiteren möglichen Kriegsverbrechern stehen lassen sollte. Sie sollten jedoch mit historischen Informationen versehen werden.

Ein Modell, das im Übrigen auch in Nuuk im Gespräch ist.

So gibt es wohl Situationen, in denen man Statuen abreißen soll und andere, wo sie stehen bleiben können. Das Zentrale jedoch ist, dass man sich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzt. Nicht um zu entschuldigen und eigentlich auch nicht unbedingt. um aus ihr „zu lernen“.

Wichtig ist es vor allem, weil die Geschichte uns zu denen gemacht hat, die wir heute sind, als Individuen und als Gemeinschaft.

Was diese Auseinandersetzung betrifft, hat die Minderheit in den vergangenen Jahren wichtige Schritte getan. In puncto koloniale Vergangenheit gibt es in Dänemark wohl noch Nachholbedarf.

Aktualisierung 19.00 Uhr: Ich hatte für den Leitartikel leider nicht genau genug recherchiert. Das Denkmal auf dem Knivsberg bestand aus einem 45 Meter hohem Turm mit einer Bismarckstatue. Die Bismarckstatue wurde 1930 auf Aschberg in Schleswig-Holstein versetzt. Es war somit nur der Turm, der 1945 gesprengt wurde, Zum Glück hat „Der Nordschleswiger“ aufmerksame Leser, die einen auf solche Fehler aufmerksam machen. Der Fehler ist nun korrigiert. wt. 

 

Anschläge sind niemals begrüßenswert

Kommentar zum Leitartikel:

In diesem Leitartikel ist die Formulierung, man solle dem dänischen Widerstand für die Sprengung des Bismarckdenkmals auf dem Knivsberg „dankbar sein“, falsch gewählt. Sie legt nahe, dass man Anschläge wie diese Sprengung, befürworten würde. Dies tun weder ich persönlich noch „Der Nordschleswiger“. Ganz gleich welches Unrecht Mitglieder der Minderheit während der Nazizeit verübt haben, kann dies nicht durch neues Unrecht beglichen werden.

Das Denkmal wurden in der Nacht vom 15. auf den 16. August gesprengt. Zwei Tage später wurde die „Nordschleswigschen Zeitung“ von einem Sprengstoffanschlag getroffen und die Zeitung gelähmt. 

Die Zeitung „Hejmdal“ verurteilte die Anschläge schon damals auf das Schärfste. „Um unserer Zukunft willen ist es notwendig, diesem (den Anschlägen) Einhalt zu gebieten. Die Täter müssen gefasst werden und durch Urteil und Strafe darüber belehrt werden, dass solche Argumente im politischen und nationalen Kampf in einem ordentlichen Rechtsstaat nicht geduldet werden können“, schrieb die dänische Zeitung.

Der damalige dänische Staatsminister Hans Hedtoft hat sich dann auch 1950 bei einem Besuch auf demKnivsberg für die Sprengung entschuldigt. Zugleich hatte er auch zugesichert, dass der dänische Staat (weitgehend) für die Schäden aufkommen würde. Einen Wiederaufbau des Denkmals hatte auch dieKnivsberggesellschaft nicht im Auge.

Mit dem Akt auf dem Knivsberg ist somit auch von offizieller dänischer Seite anerkannt worden, dass der Anschlag nicht rechtens war, und der Staat hat dafür Verantwortung übernommen. Man kann also, auch im Nachhinein nicht, für einen solchen Anschlag dankbar sein.

Dass die Abwesenheit des Turms, wie ich auszudrücken versuchte, der Minderheit in den folgenden Jahren einiges erleichtert haben dürfte, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Auseinandersetzung über das Denkmal hätte innerhalb der Minderheit stattfinden müssen und nicht indem der Turm einfach weggesprengt wurde.

Walter Turnowsky

6. Juli 14.00 Uhr um den Kommentar ergänzt.

 

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