Leitartikel

„Leben auf Pump“

Leben auf Pump

Leben auf Pump

Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Schnelles Geld einfach leihen – das suggeriert die Werbung. Doch dahinter steht ein Geschäftsmodell, das auf die Zahlungsunfähigkeit der Kunden setzt. Gut, dass die Politik dem, gerade in der Krisenzeit, weitgehend einen Riegel vorgeschoben hat – meint Cornelius von Tiedemann.

Die Menschen in Dänemark sind nicht nur immer wieder unter den glücklichsten der Welt – sie sind auch unangefochtene Europa- und Weltmeister im Schuldenmachen. Wir führen sowohl die EU-Statistik von Eurostat zum Schulden-Einkommensquotienten mit gehörigem Abstand an als auch die OECD-Weltrangliste zur Verschuldung der privaten Haushalte.

Das bedeutet aber nicht, dass das System Dänemark vor dem Kollaps steht – im Gegenteil. Es sagt viel darüber aus, dass wir hohen Wohlstand und Vertrauen in eine stabile Entwicklung haben. Das passt deshalb zusammen, weil die Menschen in Dänemark hohe Kredite aufnehmen, um Immobilien und andere wertbeständige oder an Wert zunehmende Investitionen zu erstehen. Und sie zahlen fleißig ab und nähren so ihren Reichtum. Wer wohlhabend werden will, verschuldet sich. Die Finanzstruktur in Dänemark ist auf dieses Modell ausgelegt, ja, regt geradezu dazu an, die eigene Zukunft auf Pump zu planen.

Soziale Absicherung, hohe Altersvorsorge, umfangreiche öffentliche Dienstleistungen und ein flexibler, aber abgesicherter Arbeitsmarkt mit niedriger Arbeitslosenquote heißen summa summarum: Das Risiko, seine Tilgungen nicht zahlen zu können, ist in Dänemark viel geringer als in manch anderen Ländern.

Doch die Leichtigkeit, mit der in Dänemark Schulden gemacht und Kredite vergeben werden, birgt gerade für diejenigen Gefahren, die um sich herum den Wohlstand sehen – und auch ein kleines Stück vom Kuchen haben wollen, ohne vernünftige Sicherheiten stellen zu können.

Warum? Weil das kleine Stück vom Kuchen häufig schnell aufgegessen ist. Smartphone, Computer, Musikanlage, Rennrad, Kleidung, Urlaub (derzeit weniger aktuell), Weihnachtsgeschenke und so weiter – Konsum- oder Verbrauchsgüter verlieren rasend schnell an Wert. Und in Krisenzeiten wie der aktuellen ist die Wahrscheinlichkeit, Einnahmequellen zu verlieren, bei aller Absicherung, deutlich höher. Gerade für Menschen in Berufen mit niedrigeren Einkommen.

Die in TV und Internet in Rotation mit Witz, freundlicher Stimme und schmissiger Musik als vollkommen unproblematisch und einfach beworbenen schnellen Privatkredite („kviklån“) erweisen sich auch deshalb für viele als kurze Party – mit langem Kater. Geschenkt gibt es nichts. Im Gegenteil: Zumal dann, wenn es um vergleichsweise kleine Beträge geht, können Zinssätze weit in den zweistelligen Bereich reichen, die tatsächlichen Kreditkosten liegen noch viel, viel höher.

Der Volkswirtschaft und der Gesellschaft insgesamt tun die Finanzinstitute, die solche Kredite anbieten, keinen Gefallen. Denn ihr Geschäftsmodell setzt unter anderem darauf, dass die Kunden nicht abzahlen können und so heftige Strafzinsen fällig werden.

Zwar wird kurzfristig die Konjunktur befeuert – doch mittel- und langfristig werden viele Menschen aus dem Spiel genommen. Für sie heißt es statt neuestes iPhone und größeres Sofa dann: Zinsen zahlen für längst vergangene Freuden. Einziger Gewinner sind die Kreditgeber.  

Nicht nur ökonomisch betrachtet ist das problematisch – auch menschlich gesehen. Denn die Schuldenfalle, sie macht krank, zerrüttet Familien und soziale Beziehungen. Zum Glück haben wir in der Minderheit zusätzlich zum dänischen Hilfsnetz noch den Sozialdienst und die Selbsthilfe, die solchen Situationen vorbeugen und helfen können, sie abzumildern.

Und manchmal muss man sich halt auch einfach etwas leihen, nicht um zu investieren, sondern um zu verbrauchen oder zu tilgen.

Deshalb ist es ein weiser Beschluss, den das Folketing ausgerechnet im Corona-Jahr 2020 (ohne die Stimmen der Konservativen und der Liberalen Allianz) gefasst hat, um dem Wucher Grenzen zu setzen. Die Gesamtkosten von Schnellkrediten dürfen jetzt maximal das Doppelte des Kreditbetrages betragen. Werbung darf nur noch für Kredite gemacht werden, deren Gesamtkosten sich in einem noch engeren vorgegebenen Rahmen halten.

Dennoch werden wir weiterhin im Internet, zum Beispiel auf YouTube, mit Kreditreklame geradezu bombardiert. Die negativen Folgen des durch diese Kampagnen genährten Dranges, unbedingt ein Stück vom Kuchen haben zu wollen, sind jedoch abgemildert worden. Immerhin.

 

 

 

 

 

 

 

 

Mehr lesen

Leserbrief

Meinung
Kristian Pihl Lorentzen
„Hærvejsmotorvejen som grøn energi- og transportkorridor“

Leserbrief

Meinung
Asger Christensen
„På tide med et EU-forbud mod afbrænding af tøj“