Leitartikel

„Kleine SSW-Revolution“

Kleine SSW-Revolution

Kleine SSW-Revolution

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Der SSW hat angekündigt, bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr wieder antreten zu wollen. Seniorkorrespondent Siegfried Matlok macht sich Gedanken darüber, wie sich dieser Comeback-Versuch auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr auswirken könnte.

Die Partei der deutschen Minderheit hat nach einem nicht gelungenen Debüt entschieden, nicht ein zweites Mal an der Regionswahl teilzunehmen; in der dänischen Minderheit tickt die Uhr anders. Der SSW kündigt einen Comeback-Versuch bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr an. Der SSW-Pressedienst spricht sogar von einer „kleinen Revolution“ – aber nur auf dem Stimmzettel, wie es beruhigend heißt. Obwohl der Landesvorstand der Partei im Juni einstimmig die Teilnahme empfohlen hat, soll darüber erst im Herbst endgültig entschieden werden.

Das wäre dann sozusagen ein Spätgeschenk der Familie Meyer. Der über die Minderheit hinaus legendäre K.O. Meyer, der 25 Jahre lang dem Landtag angehörte und in Kiel sogar mit dem Dannebrog vor dem Landeshaus verabschiedet wurde, hatte sich zu Lebzeiten vergeblich für eine SSW-Bundestagskandidatur ausgesprochen. Sohn Flemming, der am 1. August sein Landtagsmandat (seit 2009) freiwillig abgibt, trat in die Fußstapfen seines Vaters, blieb aber auch als SSW-Vorsitzender zunächst ohne Mehrheit in eigenen  Reihen für den Gang nach Berlin. Vor seinem Abgang als Abgeordneter und 2021 als Vorsitzender hat er jedoch den Landesvorstand überzeugt, nach fast 60 Jahren ein Comeback zu starten. 

1961 endete das Kapitel Bundestag mit 24.951 Stimmen, doch zuvor hätte der SSW fast deutsche Geschichte schreiben können. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 gelang dem SSW mit 75.000 Stimmen der Sprung ins Bonner Parlament, und der Abgeordnete Hermann Clausen – zuvor SPD-Bürgermeister in Schleswig – war sogar Zünglein an der Waage bei der Wahl des ersten Bundeskanzlers. Konrad Adenauer erhielt nur dank der eigenen Stimme die absolute Mehrheit; SSW-Clausen hatte sich damals enthalten – 1953 ging das Mandat dann verloren.

Seit den Bundestagsjahren hat sich der sperrklauselfreie SSW auf das Landesparlament in Kiel konzentriert, mit schwankenden Resultaten. Der Höhepunkt lag 1949 bei fast 100.000 Stimmen! 2012 wurden unter Anke Spoorendonk als K.O.-Nachfolgerin 61.025 Stimmen erzielt. Mit Ministerin Spoorendonk zog der SSW gemeinsam mit SPD und Grünen sogar in die sogenannte Küsten-Koalition unter MP Albig, doch bei der Wahl 2017 büßte diese Regierung die Mehrheit ein. Der SSW behauptete zwar seine drei Mandate, aber nach dem Ausscheiden von Spoorendonk  gab es unter Spitzenkandidat Lars Harms herbe Stimmenverluste – „nur“ noch 48.968 Stimmen. Mit einer solchen Stimmenzahl würde man bei der Bundestagswahl sehr wahrscheinlich leer ausgehen, und deshalb stellt sich die Frage, warum der SSW jetzt plötzlich für Berlin antreten will.

Flemming Meyer hat dafür zahlreiche Gründe genannt, sich bemerkenswert „als die einzige Partei in Deutschland geoutet, die in Schleswig-Holstein verwurzelt ist“. Historisch höchst ungewöhnliche Töne! In einer Rede in Harrislee hat der Vorsitzende nicht nur darauf hingewiesen, dass sich die Welt 2019 auch für die dänische Minderheit anders darstellt als in dieser Frage 2009 und unterstrichen, nach seiner Ansicht könne sich die Partei diesen Verzicht gar nicht erlauben, weil sie dadurch in der Öffentlichkeit „unsichtbar“ wird. Also auch eine mediale Frage, aber die ist natürlich davon abhängig, wen der SSW dann als Spitzenkandidat ins Rennen schicken wird. Meyer (68) hat selbst seinen Rückzug mit Frau und Familie begründet, die angesehene ehemalige Ministerin Anke Spoorendonk wird ebenfalls nicht zur Verfügung stehen.

Als heißer Kandidat gilt der Flensburger Christian Dirschauer, der just in diesen Tagen Meyer im Kieler Landtag ablösen wird und der bereits als Partei-Vize für den Bundestag plädiert hat. Als Personalchef im Flensburger Rathaus kennt der 39-Jährige nicht nur jeden Tarifvertrag, er gilt auch als rhetorisch begabt. Vom kompetenten SSW-Fraktionschef im Landtag, Lars Harms, ist bekannt, dass er bei der kommenden Landtagswahl eine Koalition mit CDU-Ministerpräsident Günther im Blick hat – mit Ministerambitionen. Dirschauer könnte also die Bundestagswahl nutzen, um sein eigenes Profil zu stärken, aber auch wenn die SSW-Chancen nur als theoretisch bezeichnet werden, könnte der SSW ausgerechnet zum Spielverderber werden für einen Mann, dessen dänisch-nordische Sympathien weit in die Minderheit hineinreichen. Grünen-Chef Robert Harbeck – Flensburger Jung – tritt im Wahlkreis 1 Flensburg-Schleswig erstmalig an und möchte CDU-Amtsinhaberin Petra Nicolaisen schlagen. Wer Kanzlerkandidat seiner Partei werden will wie Harbeck, der muss seinen Wahlkreis direkt gewinnen. Und just hier können ihm die befreundeten Stammwähler des SSW einen Strich durch die Rechnung machen!

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