Leitartikel

„Kai-Uwe von Hassel mit einem ,l’“

Kai-Uwe von Hassel mit einem ,l’

Kai-Uwe von Hassel mit einem ,l’

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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In Kiel wird nächste Woche des 1997 verstorbenen Ministerpräsidenten Kai-Uwe von Hassel gedacht. Der CDU-Politiker hat sich auch in der Bundes- und Europapolitik große Verdienste erworben. Der frühere Chefredakteur Siegfried Matlok erinnert an ihn und an seine hohe Bedeutung für die deutsche Minderheit und die deutsch-dänische Grenzlandpolitik.

In Kiel hat die Hermann-Ehlers-Akademie für Donnerstag zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 25. Todestages des früheren Ministerpräsidenten Kai-Uwe von Hassel eingeladen, der am 8. Mai 1997 verstarb. Dabei werden natürlich die großen Verdienste des früheren Ministerpräsidenten, Bundesministers, Bundestagspräsidenten und Europa-Abgeordneten der CDU gewürdigt, zu Recht auch seine Grenzlandpolitik, wobei seine Bedeutung gerade für die deutsche Minderheit in Nordschleswig gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Dass der 1913 in Deutsch-Ostafrika geborene von Hassel sich nach 1945 so für die deutsche Minderheit eingesetzt hat, mag sicherlich auch auf seine familiären Wurzeln aus Apenrade zurückzuführen sein, denn seine Mutter Emma war eine gebürtige Jebsen, die 1906 den damaligen Hauptmann in Deutsch-Ostafrika, Theodor von Hassel, geheiratet hatte. Aber seine Arbeit hatte vor allem politische, nationale Motive – ja auch europäische, die jedoch erst spät voll anerkannt wurden.

Der Historiker Volker Koop hat 2007 in seiner politischen Biografie „Kai-Uwe von Hassel“ darauf hingewiesen, aus heutiger Sicht könne man versucht sein, von Hassel, um es vorsichtig auszudrücken, einen Nationalisten zu nennen. Er charakterisiert ihn als National-Konservativen, als Werte-Konservativen, richtig, aber ohne eine für die damalige Zeit mutige nationale Haltung ist eine Einschätzung falsch, auch wenn heute national leider zu oft mit nationalistisch gleichgesetzt wird.

Es bedurfte eines klaren nationalen Kompasses, um die Herausforderungen nach 1945 anzupacken und zu meistern und um richtungsweisend die Weichen für eine bessere Zukunft von Deutschen und Dänen auf beiden Seiten der Grenze zu stellen. Bei aller Freude über die heutige Zeit darf und kann aber nicht vergessen werden, was sich an menschlichen und psychischen Herausforderungen in einem oft unversöhnlich ausgetragenen Grenzkampf damals in den Weg stellte.

Nach der deutschen Katastrophe – auch durch die nationalsozialistische Teilhabe der deutschen Minderheit in Nordschleswig in den Jahren der deutschen Besatzung in Dänemark von 1940-1945 – drängte die dänische Minderheit massiv auf eine Grenzverschiebung. Als Bürgermeister von Glücksburg erlebte von Hassel direkt den dänischen Sturm auf die Grenze von 1920, die auch zahlreiche Deutsche – darunter auch viele Flüchtlinge – in den Bann zog in der Hoffnung auf ein rot-weißes Paradies mitten in schwerster Not. Dass es – sogar einheimische – Landsleute gab, die für dänische Butter das nationale Hemd wechselten, empfand nicht nur von Hassel entwürdigend, doch auch die dänische Regierung in Kopenhagen widerstand den südschleswigschen Verlockungen, die sie im Kern als nicht echt einschätzte, mit den berühmten Worten vom 9. Mai 1945: Die Grenze liegt fest!

Gleichzeitig gab es jedoch dänische Forderungen nach einer administrativen Trennung von Schleswig und Holstein, und erst die unter Mitwirkung der britischen Besatzungsmacht durchgesetzte „Kieler Erklärung“ brachte 1949 einen ersten Durchbruch – ebenso wie die Gründung der Bundesrepublik.

Bei der Landtagswahl am 8. Mai 2022 in Schleswig-Holstein kann der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) möglicherweise sogar die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, also just jene Sperrklausel, die in den Nachkriegsjahren heftigster Streitpunkt zwischen Deutschen und Dänen war. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte eine Klage des SSW gegen die in Kiel vorübergehend beabsichtigte Erhöhung der gegen Splitterparteien gerichteten Sperrklausel von 5 auf 7,5 Prozent abgewiesen und damit die Sperrklausel gegenüber der dänischen Minderheiten-Partei sogar bestätigt. Als der SSW 1954 bei der Landtagswahl an der Fünf-Prozent-Klausel scheiterte, die Partei der deutschen Minderheit aber 1953 mit viel weniger Stimmen als der SSW ein Mandat im Folketing erreicht hatte, gab es heftige Proteste in Dänemark, wo viele sogar die eigene Minderheit demokratisch bedroht sahen.

Jetzt schlug die historische Stunde für von Hassel, der im Oktober 1954 den kurz zuvor verstorbenen Friedrich-Wilhelm Lübke als Ministerpräsident abgelöst hatte. Von Hassel sprach sich unmissverständlich für die Gegenseitigkeit als Doktrin seiner Grenzlandpolitik aus, die deutsche Minderheit sollte nach seinen Worten nördlich der Grenze grundsätzlich so behandelt werden wie die dänische südlich der Grenze.

Die Sperrklausel-Frage für den SSW war sozusagen der Schlüssel für von Hassel, um auf eine Lösung für beide Minderheiten bestehen zu können. Die dänische Seite lehnte aus historischen Gründen einen deutsch-dänischen Minderheitenvertrag ab – ebenso wie die dänische Minderheit (bis heute!) eine Anerkennung der durch die zwei Volksabstimmungen festgelegte Staatsgrenze 1920 verweigert unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht.

Die Regierung in Kopenhagen sah jedoch angesichts des drohenden Kalten Krieges die dringende Notwendigkeit, die Nachbarschaft zu (West-)Deutschland auf eine neue stabile demokratische Grundlage zu stellen – unter Einbeziehung der dänischen Minderheit. Nach einem Vier-Augen-Gespräch mit Staatsminister H. C. Hansen am Rande einer Nato-Sitzung in Paris signalisierte Bundeskanzler Konrad Adenauer die bundesdeutsche Bereitschaft zu einer zwischenstaatlichen vertragsähnlichen Einigung.

Von Hassel hat sich, wie der Historiker Koop feststellt, dabei keineswegs – wie oft behauptet – eine Lösung durch Bonn aufdrängen lassen, sondern selbst in direkten Gesprächen mit Adenauer dem Bundeskanzler deutlich gemacht, dass ein Kompromiss ohne eine Berücksichtigung von Wünschen der deutschen Minderheit in Nordschleswig politisch in Kiel nicht zu erreichen sei. Dass diese von-Hassel-Linie durchgehalten wurde, ist auch der klugen Einsicht des damaligen SPD-Oppositionsführers Wilhelm Käber zu verdanken, die der CDU-Ministerpräsident später auch öffentlich gewürdigt hat.

Auf dänischer Seite wollte man bei den deutsch-dänischen Verhandlungen anfangs überhaupt nicht über die deutsche Minderheit in Nordschleswig reden, aber von Hassel hielt fest an seinem Grundsatz: Quid pro quo, also Geben und Nehmen. Dennoch bezeichnete er später die mehrtägigen Verhandlungen zwischen den beiden Regierungsdelegationen in Kopenhagen als „Ritt über das Eis des Bodensees“.

Sein Kieler Unterhändler drohte sogar mit einem Abbruch, doch von Hassel, der im Südtiroler Meran Urlaub machte, konnte per Post erst drei Tage später über den Verhandlungsstand unterrichtet werden – und just zu diesem Zeitpunkt hatte man die Bonn-Kopenhagen Minderheitenerklärungen unter Dach und Fach gebracht. Dazu gehörte die Befreiung von der Fünf-Prozent-Sperrklausel für den SSW und für die deutsche Minderheit vor allem neue Schulrechte, etwa auch die Errichtung des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig.

Seine Politik der Gegenseitigkeit und Fairness hat von Hassel auch nach 1955 bewiesen. Als die Bonner CDU nach einer Landtagswahl die Ansicht vertrat, ein Däne (K. O. Meyer) dürfe als Zünglein an der Waage kein deutsches Bundesland regieren, widersprach von Hassel dem damaligen Generalsekretär Heiner Geißler energisch und betonte auch später die 1955 zugesicherte Vollwertigkeit eines SSW-Mandats.

Nordschleswig hat er dabei auch nie vergessen: Auf einem Parteitag der dänischen Konservativen in Kopenhagen versprach er dem damaligen Staatsminister Poul Schlüter seine Unterstützung für 100-prozentige Schulzuschüsse für die dänische Minderheit, bat als „Gegenleistung“ zugleich um ein deutsches Sekretariat in Kopenhagen, das 1983 – übrigens auch in seiner Anwesenheit – eingeweiht wurde.

Kai-Uwe von Hassel war getragen vom Wunsch einer deutsch-dänischen Verständigung unter Einbeziehung beider Minderheiten mit dem Ziel einer engeren europäischen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Vor Beginn der Verhandlungen über die Kopenhagen-Bonner Erklärungen, die 1955 auch eine Voraussetzung für die bundesdeutsche Nato-Mitgliedschaft waren, hat man sich auf dänischer Seite gründlich vorbereitet und auch die handelnden deutschen Personen genauer „untersucht“. Dabei haben die Dänen festgestellt, dass Kai-Uwe von Hassel nicht – wie wohl von einigen in Kopenhagen geglaubt – mit dem bekannten und leider 1944 hingerichteten Widerstandskämpfer und Diplomaten Ulrich von Hassell verwandt sei, denn – so hieß es – Kai-Uwe von Hassel schreibt sich nur mit einem „l“.

Dass vor allem die dänische Minderheit lange Zeit Kai-Uwe von Hassel, der übrigens nie Nazi-Mitglied gewesen war, verdächtigte und ihn in die rechte Ecke als „Hardliner“ hingestellt hat, ist inzwischen sehr revisionsbedürftig.

Für die deutsche Minderheit steht hingegen historisch einwandfrei folgendes Urteil fest: Ohne Kai-Uwe von Hassel hätte die deutsche Minderheit nicht schon 1955 eine lebenswichtige zweite Chance bekommen – und seitdem erfolgreich nutzen können!

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