Leitartikel
„Die Ich-Partei“
„Die Ich-Partei“
„Die Ich-Partei“
Möglicherweise fing alles damit an, dass man nicht mehr eine Tüte Süßes kaufen musste, sondern sich gleich eine eigene Mischung zusammenstellte. So in etwa läuft es heute auch in der Politik, meint Chefredakteur Gwyn Nissen. Das Ende des Miteinanders?
Was macht man, wenn man mit der Politik der etablierten Parteien nicht zufrieden ist? Man bildet eine eigene Partei, sammelt danach um die 20.000 Wähler-Unterschriften und darf dann für das dänische Folketing kandidieren.
13 Parteien werden bei der bevorstehenden Folketingswahl auf dem Stimmzettel stehen. Wirft man einen Blick zu unseren Nachbarn nach Deutschland oder Schweden waren es bei der vorigen Wahl nur jeweils 7. Schaut man nach Großbritannien, waren es gar nur 6.
Das politische Bild in Dänemark passt zu dem Trend hin zur Individualisierung. Jeder Einzelne möchte sein eigenes Lebens-Paket schnüren und dabei möglichst wenig Rücksicht auf die kollektiven Wünsche der anderen nehmen müssen. Keine Kompromisse: Nur ich bestimme über mein eigenes Leben. Wo bleibt da die Gemeinschaft? Die Solidarität? Ohne, dass man es gleich mit einem roten Stempel versehen braucht.
Das fängt bei den Fernsehprogrammen an, geht über die freie Wahl bei Kinderbetreuung, von Schulen über Hausärzte bis zur Krankenhausbehandlung. Vielleicht fing es damit an, dass man nicht mehr eine Tüte gemischter Bonbons kaufen musste, sondern sich gleich eine eigene Mischung zusammenstellen konnte – nur aus den Lieblingssorten. Was man dagegen nicht mag, bleibt im Geschäft liegen.
So in etwa läuft es heute auch in der Politik. Vielleicht passt einem die Partei des Vertrauens in einem Bereich, aber nicht in einem anderen. Man kann zwar die Partei wechseln und sein Kreuz woanders setzen, aber es bleibt eine gewisse Unzufriedenheit, nicht ganz genau das zu bekommen, was man gerne haben möchte. Im Internet gibt es Kandidatentests. Hier kann man testen, bei welchem Kandidaten es die größte Übereinstimmung gibt. 100 Prozent wird man kaum erreichen können. Reichen also 77 Prozent oder 81?
Wenn nicht, kann man immer noch eine eigene Partei gründen – sogar mit eigenen Namen – oder einfach nur unzufrieden sein, weil man mit niemandem einig ist. Dabei muss man schon feststellen, dass einige der alten Parteien seit mehr als hundert Jahren dabei gewesen sind, trotz Protestbewegungen und Modeparteien, die kommen und gehen. Es gibt aber auch Nischenparteien, die auf der Bildfläche bleiben, die Grünen zum Beispiel in Deutschland, während altehrwürdige Parteien wie die dänischen Christdemokraten – die zwar noch als Partei existieren – fast schon in Vergessenheit geraten sind.
13 Parteien, das ist ein Beweis dafür, dass die Demokratie funktioniert. Aber auch dafür, dass wir uns nicht mehr biegen wollen, um anderen die Hand zu reichen.