Leitartikel

„Hört einfach auf damit, auf eurem angeblichen Recht auf Rassismus zu bestehen!“

Hört einfach auf damit, auf eurem angeblichen Recht auf Rassismus zu bestehen!

Rassismus: Hört einfach auf damit!

Apenrade/Aabenraa
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Cornelius von Tiedemann nimmt die Reaktionen auf einen Polizei-Tweet aus Esbjerg zum Anlass, mit gar nicht mal so gut verstecktem Alltagsrassismus aufzuräumen. Der sei „herzlos und würdelos“ – und alles andere als witzig, findet er.

Die Polizei für Südjütland und Nordschleswig hat kürzlich auf Twitter Folgendes geschrieben:

„Am Sonntag suchten wir auf Twitter nach den Eltern eines kleinen Jungen ohne Sprache, der von einem Bürger in Gråsten gefunden wurde. Der Bürger, der bei dem Jungen war, beschrieb dessen Hautfarbe als gelb, was wir weitergaben. Inzwischen ist uns bewusst geworden, dass die Beschreibung als beleidigend empfunden werden könnte. Das bedauern wir natürlich. Es war nicht unsere Absicht. Wir nehmen die Reaktionen auf den Tweet zur Kenntnis. Wir werden sie berücksichtigen, wenn wir in Zukunft Beschreibungen herausgeben. Unser Ziel war es, das Kind so schnell wie möglich wieder mit seiner Familie zu vereinen, und wir freuen uns, dass uns das gelungen ist.“

Nun, es ist ja wunderbar, dass es nicht die Absicht der Polizistinnen und Polizisten war, rassistische Stereotype zu verbreiten. Getan haben sie es dennoch. Eine Entschuldigung wurde nicht angeboten – immerhin will man in Zukunft die Reaktionen berücksichtigen. Wirkliche Einsicht sieht anders aus. Und nein, der Zweck heiligt auch hier nicht die Mittel!

Das Schlimmste an Tweets wie diesen aber sind die Reaktionen darauf. Die kommen sofort, sind vorhersehbar und kommen nicht nur von sogenannten Trollen und dem äußerst rechten Rand.

Sie spiegeln eine auch in Dänemark besonders offensiv vorgetragene, verbreitete Weltsicht wider: Was bei uns als rassistisch aufgefasst werden darf, bestimmen immer noch wir von der Mehrheitsgesellschaft, schließlich herrscht hier Meinungsfreiheit!

Welche Minderheit sich wann erniedrigt fühlen darf, ist also ein Mehrheitsbeschluss, oder wie?

Sicher ist bei solchen „Debatten“, wie solche Tweets sie auslösen, nur eines: Die Täter verklären sich umgehend selbst zu Opfern, auch, ohne dass ihnen jemand ihren Badelatschen-Rassismus überhaupt vorhält.

Dann wird angeblich die Meinungsfreiheit eingeschränkt, es wird eine Kultur des Beleidigtseins beklagt, und die Frage dränge sich auf, was man denn überhaupt noch sagen dürfe. 

Man darf noch so ziemlich alles sagen. Zum Beispiel, dass die Staatsgewalt Polizei die Aufgabe hat, die Bürgerinnen und Bürger, die diese Gesellschaft ausmachen, zu schützen – auch vor Rassismus.

Man darf sogar polemisch sein und sagen, dass die weiße, hart arbeitende, stets aufrechte, unfassbar witzige und gleichsam christliche und entsprechend bibelfeste, die Frauenrechte gegen den Einfluss fremder Kulturen verteidigende und demnach knallhart feministische Mehrheitsgesellschaft (zu der in diesem Falle auch die deutsche Minderheit gehört) noch einen weiten Weg vor sich hat.

Einen Weg, der vielleicht irgendwann zu einer wichtigen Erkenntnis führt: Nur weil etwas anders ist, ist es nicht schlecht. Nur weil sich etwas verändert, verändert es sich nicht zum Schlechten.  

Das wundervolle Dänemark zum Beispiel hat sich verändert. Es ist ein modernes und wohlhabendes Land und ein Land, in dem es heute eine große ethnische und kulturelle Vielfalt gibt. Dänemark im Jahre 2022 ist auch ein Land, in dem wir kein Blatt mehr vor den Mund nehmen – wenn unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger rassistisch beleidigt oder mit Stereotypen achtlos erniedrigt werden!

Und nein! Es bringt nichts, den Spieß umzudrehen und zu sagen, man selbst sei da nicht so empfindlich.

Denn: Weiße Mehrheitsmenschen werden nicht ständig schräg angesehen. Sie werden nicht systematisch benachteiligt, haben weniger Probleme bei der Wohnungssuche, bei (zum Teil demütigenden) Kontrollen, gelten nicht als „anders“. Im Gegenteil: Sie sind überall im System überrepräsentiert!

Wie die hessische Bildungsstätte Anne Frank schreibt: „Rassismus ist Diskriminierung plus Macht“. Und in den meisten westlichen Gesellschaften ist Macht weiß.

Weiße können sich darauf verlassen, dass ihnen geglaubt wird. Von der Polizei, in den Behörden und so weiter. Weiße sind nicht über Jahrhunderte wegen ihrer Ethnizität diskriminiert worden und nein, dass es anderswo auf der Welt auch Rassismus gibt, macht die Sache nicht besser!

Sich mal kurz im Sozialbauviertel unwohl fühlen, weil man von „nicht-westlich“ aussehenden Jugendlichen schief angesehen wurde, ist vielleicht unangenehm, vielleicht ein Ausdruck verfehlter Stadtplanung, Integrations- und Sozialpolitik, aber nicht dasselbe wie Jahrhunderte währender Rassismus!

Wer sich allen Ernstes darüber beschwert, wie albern es sei, dass man heute bestimmte Wörter nicht mehr verwenden „dürfe“, der zeigt damit keinen Sinn für Meinungsfreiheit oder Tradition, sondern schlicht und ergreifend einen erschreckenden Mangel an Empathie und Reife.

Es geht hier ausnahmsweise mal nicht um dich und wie du dich fühlst, weißer Mehrheitsmensch!

Es ist 2022. Auch der Letzte unter uns sollte endlich damit aufhören, aus dem kindischen Drang, gegen angebliche Tabus aufbegehren zu müssen, aus reiner Impertinenz oder Dummdreistigkeit auf einem überholten und giftigen Rassismus aus den vergangenen Jahrhunderten zu bestehen!

Im Namen der Meinungsfreiheit darauf zu bestehen, als Mehrheit auf Minderheiten herumtrampeln zu können, ist weder christlich noch demokratisch, weder geistreich noch witzig – es ist herzlos, kleingeistig und erbärmlich.

 

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