Leitartikel

„Der Geächtete“

Der Geächtete

Der Geächtete

Nordschleswig/Sønderjylland
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Kristian Jensen, der frühere Vize der Partei Venstre, hatte am falschen Ort zum falschen Zeitpunkt die falsche Idee. Parteichef Jakob Ellemann-Jensen blieb nichts anderes übrig, als Kristian Jensen einen Denkzettel zu verabreichen, meint Chefredakteur Gwyn Nissen

Wer hätte das gedacht? Nach einem turbulenten Herbst, einem bitteren Machtkampf und dem Abgang des Parteivorsitzenden Lars Løkke Rasmussen und dessen Vize Kristian Jensen, war mit der Neuwahl von Jakob Ellemann-Jensen an der Parteispitze wieder etwas Ruhe eingekehrt in die alte Partei Venstre. Doch am Wochenende funkte es wieder. So richtig.

Der neue Vorsitzende hatte seine Faust auf den Tisch gehauen, und Kristian Jensen somit deutlich die Grenzen aufgezeigt. Jensen, der im Wahlkampf noch seinen Vorsitzenden Løkke für dessen Vorstoß, gemeinsam mit den Sozialdemokraten eine Regierung zu bilden, kritisiert hatte, schlug nun in einem Interview in der Zeitung „Morgenavisen Jyllands-Posten“ selbst vor, Reformen mit der sozialdemokratischen Regierung durchzuführen. Das Problem: Jensen war eigene Wege gegangen und hatte seinen Vorschlag weder mit der Partei noch mit der Parteispitze geklärt.

Jakob Ellemann-Jensen strafte Kristian Jensen keine zwei Stunden nach Veröffentlichung des Interviews ab: Dem früheren Vize wurden sämtliche Ausschuss- und Sprecherposten ersatzlos gestrichen.

Kristian Jensen gab sich überrascht – und einige seiner Kollegen im Folketing ebenfalls, denn mit einer solchen Reaktion vom neuen Parteivorsitzenden hatte niemand gerechnet. Vor wenigen Monaten sagte Ellemann noch, dass seine Partei offen sei für unterschiedliche Meinungen.

Doch dies gilt anscheinend nicht im gleichen Maße für Kristian Jensen – und das hätte der frühere zweite Vorsitzende eigentlich schon vorher einsehen müssen: Er ist an der Krise der Partei maßgeblich beteiligt gewesen und ist nach dem Machtkampf im Herbst von seiner Partei zurechtgewiesen worden. In dieser Situation hätte Jensen sich selbst eine Karenzzeit auferlegen müssen – statt in führenden Medien, bahnbrechende parteipolitische Änderungen vorzuschlagen.

Ellemann-Jensen – bislang dafür kritisiert worden, „zu weich“ zu sein – blieb nichts anderes übrig, als schnell und hart zu reagieren. Härter als unter normalen Umständen. Aber Venstre befindet sich eben nicht in „normalen Umständen“, sondern arbeitet sich erst aus einer existenziellen Krise, in der Jakob Ellemann-Jensen sich gerade als Vorsitzender positioniert.

Jede Art der Aufruhr oder Ungehorsam muss daher von Ellemann in ihrem Keim erstickt werden. Vielleicht steckt darin aber im „Fall Jensen“ auch noch eine Retourkutsche vom Løkke-Zögling Ellemann an Jensen, der maßgeblich am Fall von Lars Løkke Rasmussen beteiligt gewesen war.

Kristian Jensen hat fehlendes Fingerspitzengefühl gezeigt, und seine politische Fehleinschätzung kostet ihm Ansehen in der Partei. Jakob Ellemann-Jensen dagegen hat durch sein Handeln gezeigt, dass in der jetzigen Situation ausnahmslose Loyalität gefordert wird. Für Alleingänge ist in Venstre kein Platz – es sei denn man geht allein von Bord. Das könnte Kristian Jensens nächster Schritt sein. Denn in seiner Partei ist er ohnehin der Geächtete.

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