LEITARTIKEL

„Der Fall F.: Diskussion über die gesellschaftlichen Konsequenzen muss später sachlich geführt werden“

Der Fall F.: Wir brauchen eine sachliche Diskussion über die Konsequenzen

Der Fall F.: Sachliche Diskussion über die Konsequenzen

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Kopenhagen
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Der Entführungsfall F. ist frei von Emotionen schwer zu diskutieren, aber der frühere „Nordschleswiger“-Chefredakteur Siegfried Matlok macht auf eine ernste gesellschaftliche Herausforderung aufmerksam, die durch die Ermittlungen zur Rettung der 13-Jährigen als Gefahr auf uns alle zukommt.

Am Sonntag erlebte Dänemark ein kollektives Aufatmen: Erleichterung und Glücksgefühle, die die meisten im Lande darüber empfunden haben, dass die Polizei nach 27 Stunden die entführte 13-jährige F. lebend retten konnte. Dass dies gelang, war nicht nur ein Verdienst der Polizei von Sydsjælland-Lolland-Falster, sondern auch der tatkräftigen Unterstützung durch  – wohl entscheidende – Hinweise aus der Bevölkerung.

Allein rund 600 Hinweise verzeichnete die Polizei – höchst ungewöhnlich, dass so viele Bürgerinnen und Bürger an einem Sonnabendmorgen auf einer Landstraße in einem kleinen seeländischen Dorf so viel Wertvolles für die Aufklärung beobachtet haben. 

Bei allen Glücksgefühlen der Eltern gab es leider auch einen traurigen Aspekt: Der Stiefvater, der nach der Befreiung des Mädchens Polizei und Bevölkerung in bewegten Worten dankte, machte darauf aufmerksam, dass die Familie, die stundenlang mit Todesangst um ihre Tochter zu Hause auf den wichtigen, befreienden Anruf gewartet hatte, insgesamt rund 500-mal – offenbar vor allem von Kindern und Jugendlichen nur so aus „Spaß“– angerufen worden ist.

Konsequenzen für Telefon-Streiche?

Er bat die Eltern dringend, ein ernstes Gespräch mit ihren Kindern zu führen. Das ist zwar verständlich, aber wissen denn die meisten Eltern, wen die Kinder – nur aus so Spaß – anrufen? Gewiss werden viele Eltern mit ihren Kindern über den Fall und auch über dieses Thema gesprochen haben, aber es wäre dennoch wünschenswert, wenn die Polizei diesen Falschanrufen nachgeht und – soweit möglich – auch präventiv Geldstrafen verhängt. Bei der heutigen Technik lassen sich die Telefonnummern leicht ermitteln.

Hier sollte die Polizei ebenso hart vorgehen wie mit ihrer Mitteilung, dass sich jene, die die Identität des Verdächtigen auf den sozialen Kanälen preisgeben, strafbar machen. Schon wenige Stunden nach der Festnahme des 32-jährigen Entführers gab es Bilder mit seinem Namen auf Facebook.

Privates Video-Material führte zum Ermittlungserfolg

Bei allen Glücksgefühlen stellt sich aber noch eine andere, sehr ernste gesellschaftspolitische Frage. Von der Polizei wird dankbar das von Bürgerinnen und Bürgern umfassende Video-Material hervorgehoben, das in seinem Umfang auch die Polizei überrascht hat. Dass es privat Überwachungskameras gibt – gerade auch auf dem Lande –, ist bekannt, aber darüber haben nun bereits erstaunlich viele Menschen in ihren Autos Dashcams installiert, die im Fall F. offenbar sogar den Durchbruch gebracht haben.  

Welch ein Glück, doch gleichzeitig stehen wir vor einer grundsätzlichen Problematik, die schwer lösbar ist. Vor Jahren gab es in Deutschland eine harte Diskussion darüber, ob die Polizei durch Anwendung von Gewalt einen Tatverdächtigen in einem Entführungsfall in Frankfurt dazu zwingen durfte, den Aufenthaltsort seines Opfers preiszugeben.

Dänemark, der Überwachungs-Staat?

In Dänemark werden wir bereits kontrolliert, und unser ganzes Leben wird überwacht. Das demokratische Vertrauen in den Staat scheint unerschütterlich, aber nach diesem Fall drängt sich leider ein Verdacht auf: Sind wir nun auf dem Wege zur totalen Überwachung? Verstoßen die Dashcam-Aufzeichnungen nicht zum Beispiel gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht?

In diesem Zusammenhang ist an eine heftige Diskussion zu erinnern, die der damalige sozialdemokratische Justizminister Nick Hækkerup 2019 mit einer Rede im Folketing ausgelöst hatte. Er schockierte nicht wenige mit seinem Satz, mehr Überwachung schaffe mehr Sicherheit und Geborgenheit vor Kriminalität und bringe so auch mehr Freiheit. 

Die These, mehr Überwachung mit mehr Freiheit gleichzusetzen, ist ja nun wirklich gewagt, und deshalb hagelte es auch Proteste gegen den Justizminister, dem sogar DDR-Stasi-Methoden vorgeworfen wurden. Hækkerup versuchte, seine Äußerung dadurch zu relativieren, dass es ihm darum gehe, die richtige Balance zwischen Überwachung und Freiheit herzustellen. Also nur ein Freud’scher Versprecher? Nein, denn in Wirklichkeit geht es um eine Kernfrage der Demokratie: um die Sicherung der persönlichen Freiheit.

Darf man überhaupt diese Fragen stellen, wenn man erfährt, dass jetzt diese neue Form der Überwachung vermutlich das Leben der 13-Jährigen gerettet hat?

Die Glücksgefühle darüber, dass das Mädchen lebt, erfassen uns alle, und in diesen Tagen eine Antwort darauf zu geben, ist emotional schwierig, ja wohl unmöglich.

Eine Diskussion über die gesellschaftlichen Konsequenzen muss aber später sachlich geführt werden.

Redaktionelle Anmerkung: Überschrift und Inhalt würden nachträglich angepasst, da in der ersten Fassung des Textes der Vorname des Opfers genannt wurde.

 

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