Leitartikel

„Elses Botschaften“

Elses Botschaften

Elses Botschaften

Aarhus/Kopenhagen
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Der Pflegeskandal aus Aarhus sollte für sämtliche Kommunen ein Anlass sein, einen kritischen Blick auf die Seniorenpflege vor Ort zu werfen, meint Korrespondent Walter Turnowsky.

Das Video ist mittlerweile wohl den meisten in Dänemark bekannt. Die 90-jährige demenzkranke Else hängt sieben Minuten lang in einem Lift über ihrem Bett, während zwei Pflegerinnen erzwingen wollen, dass sie ihren Stuhlgang in eine Windel auf dem Bett verrichtet. Else verleiht deutlich ihrem Schmerz Ausdruck und fleht darum heruntergelassen zu werden.

Venstre-Sprecherin Jane Heitmann hat als Konsequenz eine Durchforstung des gesamten Seniorenbereichs (360 graders eftersyn) gefordert. Donnerstag reagierte nun auch der verantwortliche Minister Magnus Heunicke (Soz.) und möchte ein breites Treffen mit Kommunen, Gewerkschaft, Verbänden, Angehörigen und Mitarbeitern einberufen.

Gut, schön, richtig! Denn Else sendet uns mit ihren Hilferufen mehrere Botschaften. Die wichtigste ist selbstverständlich, dass so ein menschenverachtender Umgang mit Senioren schlichtweg nicht stattfinden darf.

Man kann immer auf fehlende Mittel und Zeitmangel verweisen. Doch hier werden Grenzen in einer Weise überschritten, dass man sagen muss: Wer so handelt, hat in der Seniorenpflege nichts verloren. Wer so etwas als Leiter zulässt, ebenfalls nicht.

Zeitmangel kann in der konkreten Situation nicht als Entschuldigung dienen. Die sieben Minuten, in denen Else gequält wird, hätte man sich ihrer auch fürsorglich annehmen können. Hier muss ganz offensichtlich mit einer Verrohung aufgeräumt werden.

Dabei muss man sich fragen, warum die Verwaltung der Kommune Aarhus anscheinend von den Zuständen im Pflegeheim „Kongsgården“ nichts bemerkt hat. Denn Angehörige von anderen Bewohnern berichten ebenfalls von Versagen. Doch auch die verantwortliche Ratsherrin Jette Skive (DF) will, vor den heimlichen Aufnahmen von TV2, von all dem nichts gewusst haben. Die Frage steht im Raum, warum Elses Angehörige zu den versteckten Aufnahmen greifen mussten, bevor man ihnen zugehört hat.

So richtig die Initiativen der Landespolitik sind, bleibt festzuhalten, dass die Pflege von Senioren Verantwortung der Kommune ist. Sollte also nicht eine weitere Botschaft von Else sein, dass nun sämtliche Kommunen die Seniorenpflege auf den Prüfstand stellen?

Dabei geht es nicht darum, sämtliche Pflegeheime und Mitarbeiter zu verdächtigen, sie würden die Bewohner vernachlässigen. Im Gegenteil geht es auch darum, die guten Beispiele zu finden. Denn die Mehrheit unserer Pflegeheime und ihre Mitarbeiter leisten gewiss gute Arbeit, zeigen das nötige Verantwortungsbewusstsein und die erforderliche Fürsorge.

Denn auch das zeigt uns das Video. Eine dritte Pflegerin betritt den Raum und setzt der Quälerei ein Ende. Sie tröstet Else. Heute wohnt Else in einem anderen Pflegeheim, und die Familie berichtet, dass sie nun wesentlich fröhlicher ist. Es geht also auch anders.

Selbst wenn man als Kommunalpolitiker davon überzeugt ist, dass die Pflegeheime in der eigenen Kommune so gut funktionieren, wie Elses neues Zuhause, sollte man überlegen, ob man nicht doch noch einmal genauer nachschauen sollte. Denn so weit wie auf „Kongsgården“ darf es nie kommen. Schon viel früher muss korrigiert werden.

Dies gilt im einzelnen Pflegeheim, wenn ein normalerweise engagierter Mitarbeiter erste Zeichen von Erschöpfung erkennen lässt, wenn die lokale Leitung Unterstützung benötigt. Vor allem aber sollte man sich als Stadtratsabgeordneter fragen, ob den Angehörigen gut genug zugehört wird. Ob auch dem Personal das Gefühl vermittelt wird, dass Verbesserungsvorschläge, aber auch das Benennen von Problemen willkommen sind.

Selbstverständlich ist dies auch eine Frage der Mittel und der Organisierung des Pflegebereichs. Dies sollte selbstverständlich ebenfalls diskutiert, aber nicht auf diese Fragen reduziert werden.

Stadtratsabgeordnete könnten eventuell den Sommer dazu nutzen, in alle Ruhe darüber nachzudenken, wie man eine konstruktive Diskussion über die Seniorenpflege gestalten könnte. Eine Diskussion darüber, wie wir sicherstellen, dass man seine letzten Lebensjahre in Würde verbringen kann. Dies gilt auch in Hadersleben, Apenrade, Sonderburg und Tondern.

Denn das schulden wir den Angehörigen. Wir schulden es der Mehrheit der engagierten und fürsorglichen Mitarbeiter. Aber vor allem schulden wir es unseren Eltern und Großeltern. Wir schulden es Else.

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