Leitartikel

„Bewegung(slos) “

Bewegung(slos)

Bewegung(slos)

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Wer sich deshalb über das Aus der Volksbewegung gegen die EU freut, sollte sich nicht zu früh freuen. Im Untergrund des dänischen Volkes gibt es noch immer vulkanische Aktivitäten, die wieder ausbrechen können, wenn die EU jetzt ihre historische Chance nicht verantwortungsvoll nutzt, meint Siegfried Matlok.

Der Einheitssozialist Christian Juhl, aus Hejls bei Christiansfeld stammend und zuletzt Vizepräsident des Folketings, hatte eine böse Vorahnung: Als Mitglied seiner Partei kämpfte er vergeblich dagegen, sich von der Volksbewegung gegen die EU zu trennen und erstmalig eigenständig zu kandidieren. Selbst stimmte er bei der EU-Wahl am Sonntag sogar für die Volksbewegung – vergeblich: Die Volksbewegung büßte ihr einziges Mandat ein.  Es flossen einige Krokodilstränen bei der Einheitsliste, aber es gab auch ein ehrliches Bedauern darüber, dass die Anti-Ära der Volksbewegung nun nach mehr als 40 Jahren zu Ende gegangen ist. Obwohl die bisherige, keineswegs unfähige Abgeordnete Rina Ronja Kari nicht aufgeben will, ist Christian Juhl wohl nicht der Einzige, der die Bewegung nun als hoffnungslos, ja bewegungslos einstuft.

Seit der dänischen EU-Mitgliedschaft am 1. Januar 1973 hat die Volksbewegung gegen die EG – später gegen EU – kräftig die rot-weiße Anti-Karte in Europa gespielt und dadurch auch den Spielraum der Ja-Parteien eingeengt. Drei Perioden lang war die Volksbewegung mit jeweils vier Mandaten im EU-Parlament vertreten, dann mit zwei Abgeordneten, seit 1999 aber nur noch jeweils mit einem Mitglied. Besonders markanter Widerständler war der in Stübbek bei Apenrade gebürtige Jens-Peter Bonde, der – ursprünglich als DKP-Mitglied – zu den Mitbegründern der Volksbewegung gehörte, der sich aber als aktiver EU-Parlamentarier nicht auf Dauer mit einem Njet begnügen wollte.

Im August 1992 beteiligte er sich  maßgeblich an der Gründung der neuen Junibewegung, und zusammen mit zwei anderen Abgeordneten verließ er mitten in der Wahlperiode die Volksbewegung, um nun die Junibewegung im Parlament zu vertreten. Bonde war ein einflussreicher Politiker, u. a.  sogar Mitglied im EU-Konvent, der eine neue europäische Verfassung ausgearbeitet hat. 2009 beschloss die Junibewegung ihre Auflösung. Bonde ist zwar noch heute in Teilbereichen EU-kritisch, aber nach seiner Meinung gibt es realpolitisch nur eine Alternative zur EU – eine bessere EU! Die Volksbewegung als querpolitische Vereinigung bot nun wieder das Sammelbecken für jene politischen Kräfte, die noch immer einen EU-Austritt befürworten. Selbst die Dänische Volkspartei hat nach den für viele Dänen so traumatischen Brexit-Erfahrungen ihre Austrittsfühler zurückgezogen – was auch für die linke Einheitsliste gilt –, aber die Volksbewegung hielt seit 1972 unbeirrt an ihrem Nein fest und wurde nun wegen politischen EU-Stalkings bestraft.

Wenn man auf die Volksbewegung zurückblickt, dann spielten Nordschleswig und das Grenzland damals eine wichtige Rolle. Der südschleswigsche Minderheiten-Chef Karl Otto Meyer war von Anfang an ein scharfer Verfechter der Volksbewegung, was ihm auch in den eigenen Reihen große Schwierigkeiten bereitete. In Nordschleswig gab es u. a. den Sonderburger Hochschulleiter Bent Brier, den Sonderburger Polizeimeister H. P. Christensen, den Sonderburger Redakteur Robert Huhle und auch den Schriftsteller Jens Rosendahl von der Westküste, die maßgeblich die öffentliche Diskussion beeinflusst, ja geprägt haben. Auch das von Pastorin Britt Tryde Haarløv 1997 gegründete  Sønderjyllands-Komitee –  dessen Liste war vorübergehend sogar im nordschleswigschen Amtsrat vertreten – war ein Kind der Volksbewegung.

Unter diesen Personen befanden sich durchaus ehrenwerte Leute, die sich Sorgen machten um den dänischen Nationalstaat und die deshalb z. B. auch gegen die offenen Schengen-Grenzen demonstrierten, aber in den Anfangsjahren gab es auch immer wieder spürbare anti-deutsche Strömungen, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit unter dem Stichwort Region Nord(mark) als geheimen und gefährlichen deutschen Invasionsplan für Nordschleswig betrachteten.  Zielscheibe war stets die deutsche Minderheit mit ihren angeblich hinterlistigen Absichten.  Vor der Volksabstimmung am 2. Oktober 1972 bezeichnete „Ekstra Bladet“ den Chefredakteur des „Nordschleswigers“, Jes Schmidt, sogar als „Straßenräuber“, der nach Ansicht des Anti-Kurs-steuernden Kopenhagener Blattes „finstere Pläne zur Eindeutschung Nordschleswigs nach dem Eintritt Dänemarks in die EWG hegt“.

Diese Zeiten sind hoffentlich glücklicherweise vorbei,  obwohl Geschichte keinen Schlusstrich kennt. Wer sich deshalb über das Aus der Volksbewegung gegen die EU freut, sollte sich nicht zu früh freuen –  egal ob die Nein-Liste nächstes Mal wieder kandidiert oder nicht. Im Untergrund des dänischen Volkes gibt es noch immer vulkanische Aktivitäten, die wieder ausbrechen können, wenn die EU jetzt ihre historische Chance nicht verantwortungsvoll nutzt.

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