Leitartikel

„Aufwachen, Meister Jakob“

Aufwachen, Meister Jakob

Aufwachen, Meister Jakob

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Nordschleswig/Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:

Wie kann der Parteivorsitzende der Liberalen, Jakob Ellemann-Jensen, die momentane Situation um Parteivize Inger Støjberg in den Griff bekommen, fragt sich Seniorkorrespondent Siegfried Matlok.

Die sozialdemokratische Minderheits-Regierung sitzt trotz ihres Gesetzesbruchs beim bitteren Ende der Nerze vor dem Jahreswechsel so sicher im Sattel, wie man es noch vor wenigen Tagen kaum erwartet hatte.

Dass die hohen Umfragewerte für Mette Frederiksen fast ungebrochen sind, hängt nicht nur damit zusammen, dass die Bevölkerung in der Corona-Pandemie vor allem den Wunsch hat, „geführt“ zu werden, mit anderen Worten, dass jemand klar die Richtung angibt und bestimmt und dass deshalb so viele unter dem wärmenden Mantel von Mutter Mette Schutz suchen und zu finden glauben.

Die Opposition hat zurzeit wenig Spielraum: die größte Oppositionspartei, die liberale Venstre, macht den Sozialdemokraten das Regierungs-Leben jedoch nicht schwer, sondern leicht(er), weil sie nach dem erzwungenen Rücktritt von Ex-Staatsminister Lars Løkke nicht zur Ruhe gekommen ist, und weiterhin mit sich selbst beschäftigt ist. 

Der neue Parteivorsitzende, Jakob Ellemann-Jensen, hat – ehrlich genug – einen schwierigen Start eingeräumt. Unglücklich ist vielleicht das bessere Wort, wobei er ja die inneren Gegensätze noch von Løkke übernommen hat. In der Corona-Krise eine einheitliche bürgerliche Opposition unter seiner Leitung zu etablieren, ist auch angesichts der medial dominanten Regierungschefin mehr als nur eine stilistische Herausforderung, aber wenn man darüber hinaus auch noch mit hausinternen Problemen zu kämpfen hat, dann ist eher von einem Urias-Posten die Rede.

Sein Versuch, die Flügel in der eigenen Partei dadurch zu integrieren, dass er die frühere Integrationsministerin Inger Støjberg zu seiner Stellvertreterin gemacht hat, trägt nun albtraum-ähnliche Züge. Støjberg hat mit ihrer polarisierenden Ausländerpolitik seit langem nicht nur das Land gespaltet, sondern auch die eigene Partei.

Ellemanns Glauben an die Unschuld von Støjberg in allen Ehren, aber viele hatten ihn gewarnt, mit ihr als Vize ein zu hohes Risiko einzugehen, da das Ergebnis der Anordnungs-Kommission für die Venstre-Politikerin negativ ausfallen könnte. Jetzt hat Ellemann den Salat, nun fliegen ihm Kräfte um die Ohren, die er nicht  in den Griff bekommen kann, nachdem die Kommission die Politik der damaligen Ministerin gegenüber einreisenden Ausländer-Paaren mit einer minderjährigen Partnerin als eindeutig illegal beurteilt hat.

Die Radikale Venstre hat bereits mit einem Reichsgerichts-Verfahren die Höchststrafe gegen Støjberg gefordert, und die „blaue“ Oppositionsfront hielt dem politischen Unwetter nur wenige Stunden stand, bis die Liberale Allianz den Radikalen bei diesem Schritt gefolgt ist, mutig und konsequent. 

Nun steht Ellemann vor einem Scherbenhaufen: die Fraktion ließ zwar Inger Støjberg nicht fallen und hat sich einer neuen juristischen Bewertung durch das Folketing angeschlossen, aber wegen der Verjährungsfrist muss Venstre vor dem 10. Februar im Parlament Farbe bekennen.

Natürlich wird den Støjbergschen Unschuldsbeteuerungen nach außen hin nicht widersprochen, aber Ellemanns Dilemma steckt auch darin, dass die Dänische Volkspartei und vor allem die Neue Bürgerliche nun Inger Støjberg applaudieren und sogar höchst unangenehm umarmen, während er sich zunächst strikt neutral verhalten muss.

Im Klartext: trennt er sich von seiner Stellvertreterin, die vor allem in Jütland eine starke Venstre-Basis hinter sich weiß, dann läuft er Gefahr, dass die Partei gesprengt wird und durch eine Kernschmelze in eine Abwärtsspirale gezogen wird, vergleichbar mit dem Abstieg nach Machtkämpfen der Konservativen vor der Ära Schlüter.

Was soll der gute Mann machen? Warten, bis das Reichsgericht die Politikerin eventuell sogar ins Gefängnis schickt, oder sie dazu zwingen, als Stellvertreterin selbst das Handtuch zu werfen? Wer Kämpferin Støjberg kennt, braucht nicht  lange darüber zu rätseln, dass sie sich selbst als Ritterin im ideologischen Kreuzzug für das bedrohte Abendland betrachtet und ihre Mission nicht für beendet erklärt – im Gegenteil! 

Manche spekulieren darauf, ausgerechnet Staatsministerin Mette Frederiksen könnte ihm einen Notausgang anbieten. Da die Sozialdemokraten in der Nerz-Affäre selbst ein Reichsgerichts-Verfahren befürchten, könnten sich die beiden großen Parteien ja auf einen Deal einigen, so nach dem Motto „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“.

Solche faulen Kompromisse hat man schon früher gesehen – zum Beispiel im Steuer-Skandal. Das würde den festen Glauben im Lande an den Parlamentarismus schwer erschüttern, aber letztlich würde dies auch Venstres und Ellemanns Problem mit Inger Støjberg nicht beseitigen.

Ding, dang, dong: Meister Jakob muss endlich aufwachen, wenn er selbst überleben will!

Mehr lesen

Leserbrief

Meinung
Kristian Pihl Lorentzen
„Hærvejsmotorvejen som grøn energi- og transportkorridor“

Leserbrief

Meinung
Asger Christensen
„På tide med et EU-forbud mod afbrænding af tøj“