Leitartikel

„Aufregen bitte!“

„Aufregen bitte!“

„Aufregen bitte!“

Apenrade/Aabenraa
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Jugendliche auf der ganzen Welt demonstrieren derzeit wöchentlich für den Klimaschutz – und müssen sich dafür regelmäßig von den Erwachsenen Kritik und Naivität vorwerfen lassen. Cornelius von Tiedemann ist hingegen der Meinung, dass die Jugendlichen genau das Richtige tun – und fordert sie Weitermachen auf.

Immer wieder freitags demonstrieren Jugendliche weltweit für den Klimaschutz. Auch hier bei uns ist das Phänomen angekommen. Leugner und Zweifler des menschgemachten Klimawandels kritisieren sie bereits als ferngesteuerte Marionetten ihrer Öko-Eltern. Doch stimmt das? Wohl kaum. Denn wären ihre Eltern so unglaubliche Umweltfanatiker, gäbe es vielleicht gar keinen Anlass für die Bewegung, die Greta Thunberg vor einem halben Jahr als Einzelkämpferin in Stockholm losgetreten hat. Gegen den Willen ihrer Eltern.

„Wir können nicht hinter dir stehen. Du musst es ganz allein machen“, hat ihr Vater ihr laut Spiegel gesagt, als sie ankündigte, die Schule zu schwänzen, um wochenlang einsam vor dem Reichstag zu demonstrieren.

Thunberg und die Jugendlichen vieler Länder demonstrieren für Aufmerksamkeit für die wahren wichtigen Themen – und gegen uns Erwachsene, die wir uns blenden lassen von Versprechungen des Konsums und von Politikern, die einfache Lösungen anbieten, die in Wahrheit alles nur noch schlimmer machen.

Die Jugendlichen fordern von uns, dass wir einmal alles auf den Kopf stellen und darüber nachdenken, ob das alles wirklich richtig ist, wie wir es machen. Ob wir nicht mit Tunnelblick durchs leben gehen, eingeengt durch die vermeintlichen Zwänge des Alltags, des Arbeitslebens.

Waren wir weniger glücklich, als es Konsumzwangstage wie Halloween und Black Friday noch nicht gab? Vor vielen Jahren habe ich für eine Reportage in Kiel kurz vor Halloween mit verzweifelten Müttern geredet, die kaum die Miete, geschweige denn die „drohenden“ Nikolaus- (!) und Weihnachtsgeschenke bezahlen konnten, aber ihren Sprösslingen jedes Jahr neue Halloween-Kostüme kaufen mussten, damit sie nicht ausgegrenzt werden.

Ist es wirklich so eine Tortur, mit der Bahn oder wenigstens dem Auto ins Elsass, nach Tirol oder Paris zu fahren, anstatt mit dem Flugzeug nach Mallorca oder Thailand? Reisen bildet, sagte Goethe. Wer sich die Zeit nimmt, wirklich zu reisen, anstatt nur zu jetten, der wird feststellen, wie Recht er hatte.

Die Zahl der Fragen, die wir uns von den Jugendlichen gefallen lassen müssen, ist fast endlos. Die Antwort ist fast immer: „Ihr habt ja recht, aber…“

Aber was?

Ja, die Demos sind natürlich auch eine Mode unter den Schülern. Das haben Bewegungen eben so an sich. Und vielleicht wird sie bald wieder abebben. Weil die Fehlzeiten in der Schule dann doch zu viele werden zum Beispiel. Weil die vermeintlichen Zwänge des Alltags auch die Jugend schon früh in ihren Eisengriff nehmen.

Aber in diesen Jugendlichen, die da auf die Straße gehen, wird ein Keim gepflanzt sein. Das Bewusstsein, dass es wichtig ist, sich für etwas einzusetzen. Das Bewusstsein, dass es andere Wege gibt, wahrgenommen zu werden, das auszudrücken, was einem wichtig ist, als der, sich bei Talentshows zum Lakaien der Laune zynischer Erwachsener zu machen oder Konsumberatung auf YouTube zu betreiben.

Bitte regt euch weiter auf. Auch wenn und gerade weil ihr keine Klimaexperten seid, auch wenn und gerade weil wir Erwachsenen euch Naivität vorwerfen: Ihr stellt die richtigen Fragen zur richtigen Zeit!

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