Leitartikel

„Ärzte auf Abwegen“

Ärzte auf Abwegen

Ärzte auf Abwegen

Apenrade/Aabenraa
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Eine moralische Bankrotterklärung des Ärztestandes nennt Cornelius von Tiedemann die Berichte über dänische Mediziner, die im Internet über Patienten lästern und deren Daten weitergeben. Das wird Folgen haben, prophezeit er – und das sei das einzig Gute an der Sache.

Schon mal vom Eid des Hippokrates gehört? Ein Gelöbnis, benannt nach dem Arzt Hippokrates von Kos, der rund 400 Jahre vor Christus gelebt und gewirkt hat und schon damals wusste, dass ein Arzt eine ganz besondere Verantwortung hat.

„Was ich bei der Behandlung sehe oder höre oder auch außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen, werde ich, soweit man es nicht ausplaudern darf, verschweigen und solches als ein Geheimnis betrachten“, so der uralte Hippokrates-Eid. Im Original naturgemäß auf Altgriechisch.

Heute wird weder in Dänemark noch in Deutschland von Ärzten noch ein vergleichbares ethisches Gelöbnis geleistet. Auch, wenn der Uralt-Eid auch umstrittene Passagen enthält (zu den Themen Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe etwa), gilt er doch, wenn auch nicht in den Detailanweisungen, so doch in seiner Absicht, die Ärzte ihrer außerordentlichen Verantwortung für das Schicksal ihrer Mitmenschen zu gemahnen, noch heute als ethische Grundlage für alle Ärzte. Und als Vorlage für Nachfolge-Erklärungen wie das Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes, das Ärzten weltweit als Teil der Berufsordnung gilt.

„Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen“, heißt es da einleitend.

Das Vertrauen in die Ärzte ist hoch, eben auch, weil sie nach so hehren ethischen Grundlagen arbeiten. Umso schockierender, was jetzt von Journalisten des Radiosenders „Radio24syv“ aufgedeckt wurde.

In einem Forum auf der amerikanischen Internetseite Facebook, dem rund 11.000 Ärzte aus Dänemark angehören, haben zahlreiche Ärzte sich herablassend über ihre Patienten geäußert und Details über ihnen anvertraute Kranke verbreitet, durch die auf die Identität der betreffenden Person geschlossen werden kann.

Auch wurden Fotos von Patientenakten dort verbreitet.

Das ist nicht nur illegal. Das ist eine Schande und eine moralische Bankrotterklärung des Ärztestandes. Nicht alle 11.000 Ärzte in der Gruppe haben solche Beiträge geteilt. Nicht alle haben sie gesehen. Aber dass es erst die Aufklärung von Journalisten braucht, bevor die Sache öffentlich und hoffentlich unterbunden wird, ist ein ebenso großer Skandal wie der Umstand des massiven Vertrauensbruchs durch die Ärzte selbst.

Warum ist keiner der 11.000 (!) Ärzte früher an die Öffentlichkeit gegangen? Wie kann es sein, dass dänische Ärzte so fahrlässig sind, sich in einem Forum wie Facebook über vertrauliche Patientendaten auszutauschen? Auch diejenigen von ihnen, die keine kritischen Angaben und Bilder hochgeladen haben, müssen doch wissen, was Facebook ist.

Wie sollen sich Menschen noch sicher fühlen, wenn sie nicht einmal beim Arzt mehr auf Vertraulichkeit setzen können? Wenn sie damit rechnen müssen, vor 11.000 Menschen bloßgestellt zu werden?

Es gibt Menschen, die ohnehin Angst haben, zum Arzt zu gehen oder die Schwierigkeiten haben, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Das Verhalten der Ärzte in dieser Gruppe ist für sie ein Schlag ins Gesicht und könnte ernsthafte Folgen haben, wenn Patienten sich nun nicht mehr trauen, sich mitzuteilen.

Auch wenn der Bericht der Kollegen von Radio24syv vielleicht viele Patienten verunsichern wird, ist er beispielhaft für die Rolle des Journalismus als gesellschaftlicher Wachhund. Die Ärzte- und Patientenverbände müssen den „Göttern in weiß“ nun (knallhart die Leviten lesen und ihnen ihre Verantwortung bewusst machen – und den Schaden, den sie angerichtet haben.

Und Polizei und Staatsanwaltschaften müssen ermitteln. Einige der betreffenden Beiträge auf Facebook sind bereits gelöscht. Doch das, was vielen an Facebook missfällt, kommt hier der Gerechtigkeit zugute: Der US-Konzern vergisst nie. Die Ärzte, die sich an der ärztlichen Ethik und dem Vertrauen ihrer Patienten vergangen haben, werden zur Rechenschaft gezogen werden.

Und auch, wenn Abschreckung weder ein sonderlich edles noch ein immer wirkungsvolles Mittel der Erziehung ist: Es scheint an der Zeit, dass wir einige Ärzte wieder an ihre Verantwortung erinnern müssen. Und an den Eid des Hippokrates.

 

 

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