Leitartikel

„10. Februar 1920-2020“

10. Februar 1920-2020

10. Februar 1920-2020

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Der ehemalige Chefredakteur des „Nordschleswigers", Siegfried Matlok, erinnert an die Volksabstimmung vor 100 Jahren und an den Weg, den die deutsche MInderheit seitdem zurückgelegt hat – mit einer Persepektive, die manche nicht für möglich gehalten haben.

Der 10. Februar war ein Festtag für die Dänen, die „Genforening“ feierten.  Die deutsche Minderheit hat diesen Tag in stillem Gedenken begangen, zweifelsohne wird die damalige Volksabstimmung in der älteren Generation Gefühle hervorrufen in Erinnerung daran, wie eigene Familienmitglieder einst den 10. Februar erlebten. Eine Frau in Tondern berichtete kürzlich in einem Gespräch, dass ihre Mutter geweint habe, als sie von der deutschen Abstimmungsniederlage erfahren hatte.

Wenn man nur daran erinnert, dass damals in Tondern 77 Prozent für Deutschland votiert hatten, kann man – auch aus der Distanz von 100 Jahren – erahnen, welchen Schmerz diese Deutschen damals verspürten.

Dass auch deutsche Mehrheiten in Sonderburg (56 Prozent) und Apenrade (55 Prozent), aber auch in 29 Landgemeinden Nordschleswigs zu verzeichnen waren, sollte nicht in Vergessenheit geraten, weil dieser deutsche Bevölkerungsteil  ja das Rückgrat für die damals wider Willen geborene deutsche Minderheit bildete.

Ebenso wie wir auf dänischer Seite den Gefühlen und Freudentränen der dänischen „Sønderjyder“ mit Respekt entgegentreten, ebenso verdienen auch die deutschen Männer und Frauen vor dem damaligen Hintergrund Respekt. Auf dänischer Seite wird übrigens immer wieder darauf hingewiesen, dass rund 6.000 Dänen im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Dabei wird jedoch – nur aus Unkenntnis? – verschwiegen, dass, wie es die Historikerin Inge Adriansen festgestellt hatte, rund ein Viertel der Gefallenen Deutsche aus Nordschleswig waren. 

Wenn man bedenkt, dass im Zweiten Weltkrieg rund 700 Mitglieder der deutschen Minderheit gefallen sind, kann man sich ja den Aderlass vorstellen, der damals die deutsche Minderheit bei ihrem Aufbau im dänischen Staat getroffen hat.

100 Jahre sind ein langer Weg, und die Minderheit, die 1920 keine Loyalität gegenüber dem dänischen Staat entwickelt hatte, ist diesen schwierigen Weg gegangen: nach dem Versailler Vertrag, den weder Deutschland noch die deutsche Minderheit als Friedensvertrag anerkennen wollten und konnten. Gegangen 1920-2020 mit gefährlichen Umwegen und Irrungen, die in der nationalsozialistischen Zeit auch angesichts der deutschen Besatzung Dänemarks das Verhältnis zum dänischen Nachbarn belastete und vorübergehend sogar vergiftete.

Zu der Verantwortung müssen wir uns auch heute bekennen! Es folgte ein neuer Streit um die Grenze von 1920, nun auf dänischer Seite südlich und nördlich der Grenze gefördert. Die deutsche Minderheit hat nach 1945 durch die Loyalitätserklärung die deutsch-dänische Grenze anerkannt.  Wohl aus innerer  Not heraus auch nach  dem geistigen Zusammenbruch.

Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass die Gründung des Bundes Deutscher Nordschleswiger und dieser Zeitung (!) beim Wiederaufbau nicht nur aus einem Stück Papier bestand, sondern , dass  – auch nach durchaus heftigem internen Ringen –  an diesem demokratischen Kurs festgehalten wurde. 

Einige haben in der Anfangszeit zwar daran gerüttelt, ernsthaft wurde sie von einer Mehrheit der deutschen Minderheit aber nie in Frage gestellt. Das war die Basis für die Wende – für jene Loyalität, die inzwischen seit Jahrzehnten erfreulich das Verhältnis zwischen Deutschen und Dänen prägt und immer weiter vertieft.

Es sollte dabei nicht vergessen werden, dass es auch in Zeiten härtester Konfrontationen couragierte Dänen gab, die der deutschen Minderheit die Hand reichten und sich um eine Linie der Versöhnung bemühten – selbst unter seelischem Druck eigener Landsleute handelnd.

Für die heutige Generation ist 1920 ein Geschichtsdatum – mehr oder weniger, aber zur Gerechtigkeit gegenüber der eigenen Geschichte der deutschen Minderheit gehört, dass ihre Anfangsgeschichte heute nicht einseitig dargestellt wird.

Das gehört zur Fairness und zum gegenseitigen Respekt – auch nach 100 Jahren. Die deutsche Minderheit wurde damals auf dänischer Seite wie ein Fremdkörper betrachtet, inzwischen wird sie auch als kulturelle Bereicherung unseres Landesteils und des Landes anerkannt.

Und gerade deshalb gibt es heute wohl kaum jemanden in der deutschen Minderheit, der die heutige Grenze nicht als richtig anerkennt. Dennoch müssen  wir trotz der späteren Brüche in der eigenen deutschen Geschichte jener gedenken, die damals mit ihrem Bekenntnis eine andere Entscheidung wollten und erst dadurch die historische Voraussetzung  für eine deutsche Minderheit in Nordschleswig schufen. 

Die sich trotz schwerer Krisen nicht nur als lebensfähig erwiesen hat, sondern die nach 100 Jahren auch Zukunftsperspektiven hat, die manche in den Jahrzehnten zuvor nicht mehr für möglich gehalten hatten. 

Mehr lesen

Leitartikel

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
„Europäischer Erdrutsch“

Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Die Bonus-Milliarden für die Minkzuchten sind eine Farce“