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„Wie Støjberg die Parteienlandschaft aufmischt“

Wie Støjberg die Parteienlandschaft aufmischt

Wie Støjberg die Parteienlandschaft aufmischt

Kopenhagen
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Zwei neue Parteien können bei den kommenden Wahlen die dänische Politik grundsätzlich ändern. Walter Turnowsky hat sich angesehen, wie die Chancen für die Dänemarkdemokraten und die Moderaten stehen und was das für die anderen Parteien bedeutet. 

Inger Støjberg hat es geschafft, in Rekordgeschwindigkeit die notwendigen Stimmen für die Teilnahme der Dänemarkdemokraten an den Folketingswahlen zu sammeln. Lars Løkke Rasmussen hat mit seinen Moderaten ein wenig mehr Anlauf gebraucht. 

Trotz spärlichen Programms haben die beiden Parteien das Potenzial, die dänische Politik zu verändern.

Nur Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) weiß, wann sie die Wahlen ausschreibt, doch derzeit erscheint es wahrscheinlich, dass sie das relativ kurz nach den Sommerferien tun wird. Grund genug also, sich anzusehen, wie die beiden Neuen mit den nicht ganz so neuen Parteichefs dastehen – und welchen Einfluss es auf die übrigen Parteien haben wird.

Die Dänemarkdemokraten

Es zeichnet sich ab, dass die Inger-Støjberg-Partei die dänische Parteienlandschaft gehörig aufmischen könnte. Obwohl die Partei außer der Person der Gründerin noch kaum ein Programm besitzt, deuten erste Umfragen darauf hin, dass sie mit einem fulminanten Ergebnis ins Folketing einziehen könnte. 10 Prozent werden ihr bereits prognostiziert, und da Wählerinnen und Wähler sich gerne einem Erfolg anschließen, nehme ich an, dass die Umfragewerte in den kommenden Wochen noch ansteigen werden.

Es kann Støjberg jedoch passieren, dass sie zu früh ihren Zenit erreicht. Wenn erst die Fragen nach der konkreten Programmatik kommen, kann sich das Blatt wenden. Auch ist die Frage, wer die übrigen Kandidatinnen und Kandidaten sein und wie diese sich schlagen werden.

Trotz dieser Vorbehalte bin ich mir sicher, dass die Dänemarkdemokraten mit einem guten bis sehr guten Ergebnis ins Folketing einziehen werden. Die zentrale Frage ist, wem sie die Stimmen wegnehmen werden.

Die Dänische Volkspartei (DF)

Der jahrelange Abwärtstrend von DF hat sich durch die brutale Auseinandersetzung um den Vorsitz im vergangenen Winter noch deutlich beschleunigt. Nachdem Støjberg vor ein paar Wochen offiziell die Gründung ihrer Partei bekannt gab, befindet sich die ehemals so einflussreiche rechte Partei im Sturzflug. Elf Parlamentarier haben die Partei verlassen, nur noch sechs sind übrig.

Für Parteichef Morten Messerschmidt wäre es schon ein Riesenerfolg, sollte DF die 2-Prozent-Sperrklausel überspringen. Derzeit deutet wenig darauf hin. Nach der Selbstzerfleischung wird Støjberg DF vermutlich den Gnadenstoß erteilen.

Die Neuen Bürgerlichen

Auch der anderen rechten Partei, den Neuen Bürgerlichen, scheint Støjberg nach den ersten Umfragen Stimmen abzunehmen. 

Bei der Wahl 2019 konnten sie mit 2,4 Prozent erstmalig ins Folketing einziehen. Dieses Ergebnis dürften sie steigern können, doch der Höhenflug von Pernille Vermund und Co. scheint vorläufig beendet zu sein.

Die Konservativen

Interessanterweise scheint nach den Umfragen Støjberg auch dem Höhenflug von Søren Pape Poulsen ein Ende zu bereiten. Zwar legen die Konservativen im Vergleich zum Wahlergebnis sehr deutlich zu, doch der Vorsprung zur bürgerlichen Konkurrenz von Venstre ist weggeschmolzen.

Pape Poulsens Erfolgsrezept ist bislang gewesen, möglichst wenig zu sagen – auch zu der Frage, ob er nun Staatsminister werden möchte oder nicht. Die Frage ist, ob das Rezept noch funktioniert, sollten die Dänischen Demokraten ihm zunehmend die nationalkonservativen Wählerinnen und Wähler in Jütland abknöpfen. 

Für die Konservativen gilt es zu verhindern, in einen Abwärtsstrudel zu geraten. Denn ähnlich wie gute Umfragewerte sich selbst verstärken können, gilt das mit umgekehrten Vorzeichen für sinkende Werte. 

Pape Poulsen wird das Ergebnis von 6,6 Prozent bei den jüngsten Wahlen deutlich übertreffen. Doch könnte ihm die Støjberg-Partei, sollte es eine bürgerliche Mehrheit geben, die Chance auf den Staatsministerposten vermasseln. 

Die Sozialdemokratie 

Die bislang beschriebenen Verschiebungen haben sich ausschließlich innerhalb des bürgerlichen Lagers abgespielt und somit keinen Einfluss darauf, ob Mette Frederiksen sich nach der Wahl weiterhin Staatsministerin nennen kann.

Die Dänischen Demokraten können nämlich auch der Sozialdemokratie Stimmen abnehmen. 2019 war es Frederiksen mit einer Kombination aus harter Ausländerpolitik und Sozialdemokratie Classic, sich die Stimmen zurückzuholen, die die Arbeiterpartei an DF „ausgeliehen“ hatte. Von den Stimmen wird sich Støjberg einige schnappen können.

Die Mink-Affäre wird für die sozialdemokratische Kernwählerschaft keine große Rolle spielen, doch diese Gruppe ist nicht mehr sehr groß.

Die Dänischen Demokraten spricht, ähnlich wie zuvor die Dänische Volkspartei, Wählerinnen und Wähler an, die sich vom politischen Mainstream ausgegrenzt fühlen. Unter ihnen gibt es so einige, die „Mette-Mink“ gerne eins auswischen möchten.

Insgesamt könnte das den roten Block die Mehrheit kosten.

Die Moderaten

Und damit wären wir bei den anderen „Neulingen“ angekommen. Lars Løkke Rasmussen will keinem der Blöcke zugerechnet werden, sondern strebt eine Regierung über die Mitte hinweg an.

Im Gegensatz zu Støjberg kann er sich nicht sicher sein, dass er ins Folketing einziehen wird. Die Umfragen sehen die Moderaten zwar derzeit über der Sperrklausel, doch das kann leicht noch schiefgehen. Løkke hat in letzter Zeit ein wenig müde gewirkt, und da auch seine Partei in erster Linie seine Person als Programm hat, ist das kritisch.

Wer den Politveteran kennt, weiß jedoch, dass er immer wieder im Wahlkampf zur Höchstform aufgelaufen ist. Dabei kann ihm zugutekommen, dass die Umfragen wiederholt die Moderaten als Zünglein an der Waage gesehen haben. Spielt Løkke die Karte des Königsmachers geschickt aus, kann er damit das Interesse der Medien und der Wählerschaft auf sich ziehen.

Die Moderaten dürften die meisten Stimmen im blauen Block holen, doch einige wohl auch im roten – und zwar bei:

Radikale Venstre

Die Partei hat historisch die Rolle des Züngleins an der Waage gespielt. Einiger ihrer Wählerinnen und Wähler könnten durch Løkkes Angebot in Versuchung geraten.

Bereits bevor die Moderaten und die Dänischen Demokraten auf der Bildfläche auftauchten, wurde der Abstand zwischen den Blöcken immer geringer. Die Radikalen brauchen daher nur wenige Stimmen an Løkke abzugeben, bevor die rote Mehrheit weg ist.

Venstre

Das könnte die Chance für Jakob Ellemann-Jensen werden.

Venstre scheint nämlich keine Stimmen an Støjberg abzugeben. Løkke dürfte sich jedoch einige holen. Doch muss er möglicherweise eben jenen Løkke, der sein Vorgänger als Venstre-Chef war, überzeugen. Denn es kann durchaus sein, dass er entscheidet, ob die Regierungschefin oder der Regierungschef Mette, Jakob, Søren oder sogar Lars heißt.

Erdrutsch?

Die Situation erinnert ein wenig an die Wahl 1973, die als Erdrutsch-Wahl bekannt geworden ist. Damals zog eine rechte Partei, die Fortschrittspartei, mit großer Stimmenzahl und eine Zentrumspartei, die Zentrumdemokraten, mit kleinerer Stimmenzahl in das Folketing ein. Die Wahl hat die dänische Politik nachhaltig verändert. 

Die Frage ist, ob bei der Wahl 2022 Ähnliches geschehen wird.

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