Diese Woche in Kopenhagen

„Notruf bei der Polizei: Facebook ist nicht zu erreichen “

„Notruf bei der Polizei: Facebook ist nicht zu erreichen “

„Notruf bei der Polizei: Facebook ist nicht zu erreichen “

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Der Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit in Dänemark, Jan Diedrichsen, beschäftigt sich in dieser Woche in seinem Kommentar mit der Bedeutung von Facebook in der heutigen Zeit.

In der vergangenen Woche musste die Polizei darum bitten, dass man doch davon absehen möge, die Notrufnummern zu wählen, um die Beamten darüber zu informieren, dass Facebook offline sei. Am Mittwoch kam es zu einem weltweiten „shutdown“ von Facebook, der manchenorts bis zu 10 Stunden andauerte. Nun mag man darüber schmunzeln, dass Menschen so „abhängig“ sind, dass sie nicht einen Tag ohne Facebook auskommen. Aber das Lachen würde ich mir verkneifen.

Es zeigt uns zum einen, dass ein Großteil der Menschheit mittlerweile das eigene Leben online organisiert. Für diese Menschen ist der Ausfall von Facebook mit dem Gefühl des brennenden Eigenheims vergleichbar. Wir brauchen Hilfe, wir rufen die Polizei! Vergleicht man den Ausfall von Facebook mit der analogen Welt, dann würde das nicht nur bedeuten, dass sämtliche Telefon- und Adressbücher schlagartig gelöscht würden, sondern auch das Wegbrechen der persönlichen und sozialen Infrastruktur. Dies wiederum würde auch in der analogen Welt zu Panikreaktionen führen. 

Millionen von Unternehmen, die jeden Tag ihre Geschäfte über Facebook abwickeln, waren hart getroffen. Bis zu Zweidrittel aller Verweise auf die Internet-Seiten (wie der Nordschleswiger.dk) kommen mittlerweile über die sozialen Medien zustande. Der vergangene Mittwoch – ohne Facebook – fühlte sich für viele Menschen wie eine Katastrophe an.  

Facebook spielte in der vergangenen Woche die digitale Hauptrolle in dem ersten online und live übertragenen Massenmord. Es ist entscheidend, sich zu vergegenwärtigen, dass es neben der Online-Ebene dieses furchtbaren Verbrechens in Neuseeland vor allem die konkrete und furchtbare Tat eines Rassisten war, eines jungen Mannes, der Muslime töten wollte. Der Massenmörder trug eine Helmkamera und strahlte das Gemetzel live auf Facebook aus. Vorab hatte er den Mord auf Twitter angekündigt. 

Diese beiden Beispiele, das Ausfallen von Facebook und der Terroranschlag von Neuseeland, haben nichts miteinander zu tun (wobei es sicher eine Verschwörungstheorie online geben wird, die just dieses behauptet). 

Für die jungen Menschen, die sich heute für den Klimaschutz engagieren, sozial aktiv sind und die Welt zu einem besseren Ort verändern wollen, sind Facebook und die sozialen Medien ebenfalls zentral. Die Onlinemedien sind nicht per se schlecht. Sie sind der Ort und die gesellschaftlichen Kommunikationswerkzeuge, die die Zukunft gestalten werden und bereits die Gegenwart prägen.  Wir müssen uns daher darüber im Klaren sein, dass der Kampf um unsere Zukunft auch und immer stärker online stattfindet. Der Rechtstaat und die liberale Demokratie sind dabei nicht in der Lage, diese neuen gesellschaftlichen, medialen Kampfarenen zu regulieren oder sich gar aktiv einzubringen. Auf der einen Seite versucht „die alte Welt“ zwischen peinlicher Anbiederung und hilflosen kulturpessimistischen Attacken, die „Schöne neue Welt“ (A. Huxley) überhaupt erst zu vermessen und zu verstehen. Auf der anderen Seite ist die konkrete, derzeit in Europa kontrovers geführte gesetzgeberische Diskussion über das Urheberrecht der schlagende Beweis dafür, wie beinah anrührend hilflos das politische System in dieser zentralen Zukunftsfrage agiert und öffentlich scheitert.

Unser Rechtsstaat und unser demokratisches System sind dem neuen Druck, der neuen Wirklichkeit nicht gewachsen. Solange wir es zulassen, dass rechte Troll-Hasser auf Facebook und Co ihre Memes und nun sogar Terroranschläge verbreiten und gleichzeitig die nackte Brust und der Penis aus Kunstwerken und Privatfotos weg-zensuriert werden, solange die gesamte Infrastruktur zum großen Teil von fünf privaten Erz-Großunternehmen (Facebook, Google, Amazon, Apple und Microsoft) beherrscht wird und wir dabei gar nicht merken oder merken wollen, wie der neue „Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff) das kapitalistische System grenzenlos pervertiert, solange werden wir uns in der neuen Welt nicht wiederfinden und hilflose Getriebene einer rasant sich verändernden Wirklichkeit bleiben.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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