Diese Woche in Kopenhagen

„Ein 15-stündiges Ritual mit Seitenhieben und Humor“

Ein 15-stündiges Ritual mit Seitenhieben und Humor

Ein 15-stündiges Ritual mit Seitenhieben und Humor

Kopenhagen
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Ein wenig wie letzter Schultag ist die Abschlussdebatte im Folketing, meint Walter Turnowsky, der die Diskussion am Montag verfolgt hat.

Montag, pünktlich 9.00 Uhr, eröffnet der Vorsitzende des Folketings, Henrik Dam Kristensen (Soz) die Sitzung.

Nach ein paar einleitenden Formalitäten kann Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz) dann die eigentliche Debatte um 9.02 Uhr einleiten.

„Heute schließen wir das Folketingsjahr ab. Es wurde anders, als wir gedacht hatten“, sind ihre ersten Worte.

Bis 0.30 Uhr tagten die Abgeordneten Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

„Wer nach Dänemark kommt und die Sprache nicht lernt, der bittet ja Andere zur Arbeit zu gehen, damit für einen Dolmetscher gezahlt werden kann. Dass halt ich nicht für angemessen“, schließt sie die Debatte um 0.27 Uhr mit einer Antwort an Peter Hvelpelund (EL) zur Eigenbezahlung für Dolmetscher im Gesundheitssystem.

Man braucht also schon eine ganze gute Ausdauer, um die 15 ½ Stunden Debatte durchzustehen. Dies gilt nicht zuletzt für die Fraktionssprecher, die in erster Linie für die Schlagabtausche zuständig sind.

EU-Socken

Die Stimmung hat bereits von Anfang an so etwas wie letzter Schultag, auch wenn die Arbeit im Folketing noch nicht aus ist. Diese Woche wird noch im Saal getagt und auch danach arbeiten eine Reihe Ausschüsse noch weiter.

Eine Bemerkung von DF-Chef Thulesen Dahl amüsiert offensichtlich Ulla Tønæs (Venstre) und Sophie Løhde (Venstre). Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Dies ändert jedoch nichts daran, dass man insgesamt ausgelassener und lockerer ist als sonst. Seitenhiebe werden eher mit Humor und einer gewissen Eleganz ausgeteilt. So erwähnt Morten Østergaard (Rad. V.), der seinen Platz neben Jakob Ellemann-Jensen (Venstre) und Kristian Thulesen Dahl (DF) hat, dass nur zwei der drei vergangenen Woche in EU-Socken gekleidet gewesen seien. Ellemann-Jensen, an den die Bemerkung gerichtet ist, repliziert, er wolle zur Ehrenrettung vom erklärten EU-Gegner Thulesen Dahl betonen, er sei der andere gewesen.

Anrede in dritter Person

Bei allem Humor müssen jedoch die Formen im Folketing strikt gewahrt werden. So spricht man sich mit „Herr“ und „Frau“ und in der dritten Person an. Da kann einem weniger erfahrenen Abgeordneten wie dem Radikalen Nils Sjøberg schon Mal ein Ausrutscher passieren, welches ihm dann prompt eine milde Rüge vom Vorsitz einbringt.

Politische stehen Pernille Skipper (EL) und Jakob Ellemann-Jensen (Venstre) sehr weit auseinander. Beim Kaffeeplausch nicht unbedingt. Die Abgeordneten pflegen einen kollegialen Umgang miteinander. Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Auch der Ablauf ist strikt geregelt. Rein formal ist die Abschlussdebatte eine Anfrage sämtlicher Parteien an die Staatsministerin zur innen- und außenpolitischen Situation. Diese beantwortet sie dann in ihrer einleitenden Rede, die jedoch zunächst nicht debattiert wird.

Genaue Spielregeln

Die Debatte beginnt erst bei den Reden der Fraktionssprecher, die schön der Reihe nach, anfangend mit der größten Fraktion, gehalten werden. Jede Rede darf maximal zehn Minuten dauern.

Nach jeder Rede können dann zunächst die Fraktionssprecher vom Saal aus kurze Bemerkungen oder Fragen an den Redner richten. Hier geht es auch wieder von groß zu klein in der Reihenfolge. Jeder hat zwei kurze Bemerkungen, die erste darf eine Minute dauern, die zweite 30 Sekunden. Hier ist der Vorsitz des Folketings recht streng, wenn jemand überzieht.

SF-Vorsitzende Pia Olsen Dyhr Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Nach den Fraktionssprechern können dann auch die übrigen Abgeordneten kurze Bemerkungen einbringen. Insgesamt sind für die Debatte zu jedem Redner 45 Minuten vorgesehen. Ein wenig Kopfrechnen erklärt dann auch bei 14 Parteien im Parlament, warum die Abschlussdebatte so lange dauert, und dieses Jahr sogar besonders lange – Erklärung folgt.

Während des Marathons geht es in Saal eher locker zu. Man vertreibt sich die Zeit unter anderem, indem man miteinander plaudert. Zwei Abgeordnete, die sich noch Minuten früher einen harten Schlagabtausch geleistet haben, trinken jetzt locker eine Tasse Kaffee miteinander.

Die Lakslaus

Die Reihenfolge der Redner bedeutet, dass der färöische Abgeordnete Sjúrður Skaale von dem sozialdemokratischen Javnaðarflkkurin üblicherweise der letzte Redner ist. Ihm ist bewusst, dass die Kollegen zu später Stunde schon ein wenig Müde sind und so würzt er seine Reden immer mit reichlich Humor. Dieses Jahr mit einer längeren Erzählung über die Lakslaus, welches ein weiteres Mal die erhoffte Wirkung nicht verfehlt.

Bertel Haarder (Venstre) und Jakob Ellemann-Jensen (Venstre) sehen amüsiert zu während Morten Østergaard (Rad. V.) spricht. Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Doch dieses Jahr geht es nach der unterhaltsamen und dennoch ernsten Rede von Skaale weiter. Mit der Zersplitterung der Alternative und dem Austritt von Simon Emil Amnitzbøll aus der Liberalen Allianz sind noch vier parteilose Redner an der Reihe.

Debatte zu Rassismus

Unter ihnen sorgt der Ex-Alternative Sikkandar Siddique als letzter Redner noch einmal dafür, dass der Saal so richtig wachgerüttelt wird. Er bittet um eine Schweigeminute für George Floyd und „andere die ihr Leben durch Rassismus verloren haben“. George Floyd ist der amerikanische Bürger, dessen Tod eine weltweite Welle von Protesten ausgelöst hat. 

Siddiques Aktion führt zu später Stunde noch zu einer hitzigen Debatte darüber, ob es Rassismus in Dänemark gebe. So hart war den ganzen langen Tag nicht diskutiert worden

Mette Frederiksen (Soz.) im Gespräch mit dem Konservativen Vorsitzenden Søren Pape Poulsen Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Nach ihm hat die Staatsministerin noch einmal das Wort, wo sie auf die bisherige Debatte antwortet. Auch hier gibt es noch einmal eine Runde mit kurzen Bemerkungen bis dann die Abschlussdebatte endgültig vorbei ist.

 

Eingeschlafen ist dieses Jahr, so weit bekannt ist, keiner.

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Cornelius von Tiedemann
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