Leserbrief

„Eine deutsch-dänische Geschichte“

Eine deutsch-dänische Geschichte

Eine deutsch-dänische Geschichte

Hilde Bruns
Hamburg/Tingleff
Zuletzt aktualisiert um:

Als kleines Geschenk zum 75. Geburtstag des „Nordschleswigers“ und zum 100. Geburtstag der Minderheit hat Leserin Hilde eine kurze Geschichte über ihren Bedstefar geschrieben. Hilde Bruns lebt seit rund 50 Jahren in Hamburg und kommt ursprünglich aus Baistrup bei Tingleff.

Im Norden: Dänemark, im Süden: Deutschland und dazwischen eingeklemmt: Sønderjylland.
Der nördliche Nachbar wollte das Land, Steuern und Soldaten – der südliche Nachbar auch.
Streit seit Jahrhunderten.
Mit Krieg und Kanonen schob man die Grenze mal rauf und mal runter und die menschlichen Gemüter mit – im Großen wie im Kleinen:
Jens Hansen stritt mit Hans Jensen, Jes Petersen mit Peter Jessen. Sie hauten sich die Köpfe ein, weil der eine dänisch, der andere deutsch.

Und genau hier war Krissen zu Hause, noch genauer: in Gehlau am großen Bommerlunder Wald.
Klar, schriftlich hieß er Christian, aber in Sønderjylland sprach man nicht schriftlich, sondern sönderjysk und da sagte man Krissen.

An einem schönen Frühjahrstag um 10 wurde im Dorf ein Zettel ans Scheunentor geklebt.

„BEKANNTMACHUNG!

Heute, Donnerstag, der 13. Mai 1902, wird seine Majestät, der König von Dänemark zwischen 11 und 14 Uhr unsere historische Brücke am Alten Heerweg zu Pferde passieren.
Jeder Bewohner von Gehlau und Umland, dessen Herz für die dänische Sache brennt, sei geheißen, unseren König festlich zu begrüßen.“

Das reichte.
Die Meldung rannte wie ein Lauffeuer durchs Dorf und drang bis in den letzten Winkel – und war die Kuh ins Wasser gefallen oder das Kind in den Brunnen – wo ein dänisches Herz pochte, da gab es heute nur eines: „Der König kommt! Nichts wie hin!“

Ein Gedränge den ganzen Wegrand entlang! Jeder trat dem andern auf die Füße. Geschnatter und Gegacker, lauter als im Hühnerhof.
Und jeder war gekommen im besten Zwirn, mit frisch gewaschenem Hals und aufgeräumtem Festtags-Gesicht.

Nur einer nicht: Krissen!

Krissen war 12 Jahre alt und bestimmt ein netter Junge – doch jeder hat mal einen schlechten Tag, und den hatte Krissen genau heute.
Dennoch!
Sohn einer guten, dänischen Familie, deren dänische Herzen für die dänische Sache glühten – da gab es keine Diskussion! – Krissen musste hin! So!

Und da stand er – mitten in dem freudig erregten Haufen – mit trotzigem Gesicht und Wut im Bauch.

Es dauerte!
Endlich von vorn der Ruf: „Er kommt!“
Sofort sank in der Menge das Geschnatter herab zum gedämpften Murmeln.
Dann ein Schrei – und der Jubel brach aus: „Kongen skal leve! Hurra, hurra, hurra!“
Man war außer sich, man kannte sich selbst nicht wieder: „Hurra, hurra, hurra!“
Alle schwenkten Fahnen und Tücher, Männer ihre Hüte – alle!

Nur Krissen, der Lümmel, der nicht.
Der dachte nicht daran!
Seine Mütze blieb, wo sie saß: auf‘m Kopf!

Der König von Dänemark ritt direkt an ihm vorüber.
Krissen roch den Schweiß des edlen Pferdes.

Seine Majestät, kerzengerade im Sattel, warf ein sparsam gnädiges Lächeln herunter zum Volk.
Marta Mathiessen sackten die Knie weg. Sie wurde ohnmächtig.

Krissen stand. Er dachte: „Auf so‘m tollen Pferd, in so‘ner  feinen Uniform – reihenweise blanke Knöpfe! – Pah! Da könnt ich auch gut aussehen und in die Gegend grinsen!“

Plötzlich: zack!
Die Mütze war weg!
Jemand hatte Krissen die Mütze vom Kopf gerissen!
Nein! Das war zu viel!
Krissen schreit – keiner hört ihn! Will um sich schlagen – ist eingeklemmt, keinen Arm kriegt er hoch! Krissen platzt! Er kocht!
Die Leute jubeln.

„Verdammte Scheiße! Verdammt…
Die werden noch sehen, was die davon haben! Ich werd‘s ihnen zeigen!
Ab heute bin ich DEUTSCH! – So!
Selbst Schuld!“                                                                  

Der König von Dänemark war schon vorbei.
Krissen sah gerade noch den Pferdearsch
– aber auch der war nicht schlecht.
„Tolles Pferd!“, dachte er laut. „Und ich! Ich muss Oskars alten Ackergaul leihen, wenn ich zum Ringreiten will!
Aber so‘n Pferd krieg ich auch noch!“

Der König überquerte die historische Brücke ganz nach Plan.

Bei Krissen zu Hause gab‘s Ärger. Die Tür schlug zu.

Krissen musste nun beim Großbauern sein Futter selbst verdienen.
Doch ein pfiffiger Kerl wie er, der schafft das und noch mehr dazu.
Er war deutsch – und nach ein paar Jahren schon ein gestandener Mann.
Er hatte seine Frieda, hatte Haus und Hof,
3 Kühe, 5 Kinder – und noch ein paar Jahre drauf – sein eigenes Pferd! Und was für eines!

Und Krissen wurde König, König für einen Tag: Ringreiterkönig vom Deutschen Ringreiter
Verein in Bajstrup. – Und das nicht nur ein Mal!

Der König von Dänemark fiel vom Pferd und starb. Dänemark kriegte einen Neuen.
Der Kaiser von Deutschland fiel vom Thron und starb. Deutschland wollte keinen Neuen.

Krissen wurde 80 und saß immer noch fest im Sattel!
Und die Zeitungsschreiber rissen sich um ein Wort, um ein Bild von ihm, von Krissen, dem ältesten Ringreiter Dänemarks!
Und er ritt in gemäßigtem Galopp durch den Galgen und spießte den Ring auf seine Lanze – der alte Linkshänder.

Als er schließlich meinte, es sei an der Zeit,
die Jungen ran zu lassen, erwischte ein Wurstmacher noch schnell ein Bild von
ihm für seine Werbung.

Und so war der alte Krissen im ganzen
Land auf allen Ringreiterfesten wieder
dabei: nun, vom großen Plakat am
Pölsewagen, lud er JEDEN ein zu einer
knackigen Bratwurst.

 

Christian Wortmann - der älteste Ringreiter Dänemarks Foto: Karsten Espersen/Tinglev Lokalarkiv
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