Leitartikel

„Impfnationalismus: Vom Paulus zum Saulus?“

Impfnationalismus: Vom Paulus zum Saulus?

Impfnationalismus: Vom Paulus zum Saulus?

Apenrade/Aabenraa
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Dänemark und die EU haben mit Covax eine historische Allianz für das Gute in der Welt geschaffen und wollten dafür sorgen, dass die Welt die Corona-Pandemie solidarisch bekämpft. Doch jetzt, wo es ans Eingemachte geht, zeigt sich so manche Regierung wohlhabender Staaten willensschwach, meint Cornelius von Tiedemann.

Am 27. Juni sollen alle Bewohner Dänemarks gegen Corona geimpft worden sein. Das ist die Prognose – und das ist unser aller Licht am Ende des Corona-Tunnels.

Doch was wäre, wenn dieses Licht kaum zu erahnen wäre? Wenn wir erst, wie es in einigen Ländern der Fall ist, 2024 damit rechnen könnten, geimpft zu werden?

Für viele Menschen ist das die Wirklichkeit. Weil sie in Ländern leben, deren Kaufkraft nicht reicht, um sich gegen die reichen Länder beim Wettbieten um die Impfstoffe durchzusetzen.

Es ist tröstlich, dass die EU und die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits im April vergangenen Jahres das Covax-Programm ins Leben gerufen haben, um sicherzustellen, dass es weltweit einen gleichmäßigen und gerechten Zugang zu Impfstoffen gibt. Man kauft gemeinsam ein und verteilt dann untereinander – solidarisch.

So die Idee. Doch die Wirklichkeit sieht mitunter anders aus. Reiche Staaten preschen vor und verhandeln auf eigene Faust. Die USA natürlich, sie sind Covax gar nicht erst beigetreten. Aber auch andere Länder machen Deals abseits der Einkaufsgemeinschaft.

Auch in Dänemark hat es erst kürzlich einen solchen Vorstoß gegeben, als die Behörde für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten (SSI) erfolglos versuchte, eine Sonderabsprache mit Pfizer zu treffen. Ohne die EU. Die Radikalen und SF waren verärgert, die bürgerlichen Parteien erfreut über den Versuch. Gescheitert ist er so oder so – wohl auch, weil Dänemark zwar wohlhabend, im Vergleich zu anderen Wettbewerbern aber auch klein, ja, geradezu zwergenhaft ist, und sich beim Vordrängeln an der Kasse gegen die einwohnerstarken Kolosse, die zig-millionenfach Impfungen ordern, einfach nicht durchsetzen kann.

Da ist es doch sinnvoll, in der Gemeinschaft vorzugehen. Denn wenn die EU den Laden betritt, dann wird in der Erwartung klingelnder Kassen der rote Teppich ausgerollt.

Ein Umstand, der durch Covax dazu führen sollte, dass auch die Menschen in den armen Ländern bald geimpft werden können. Passiert dies nicht, sind die Konsequenzen unabsehbar. Gut möglich, dass es etliche Menschenleben kosten wird. In den kaufschwachen Ländern – aber auch bei uns.

Denn wenn das Virus außerhalb der wohlhabenden Länder weiter wüten kann, drohen weitere Mutationen und weitere Infektionswellen auch zu uns zu schwappen. Von den internationalen politischen Folgen einer sich so unnötig lang hinziehenden weltweiten Pandemie ganz zu schweigen.

WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus spricht bereits davon, dass die Welt „am Rand eines katastrophalen moralischen Versagens“ stehe.

Hoffen wir, dass er Unrecht hat und dass sich bewahrheitet, was jene sagen, die den nationalen Egoismus mancher Regierender zumindest zum Teil verteidigen. Sie sagen, dass die massiven Investitionen der einzelnen Regierungen und ihr Wettrennen um die Impfdosen die Forschung schneller vorantreiben, als ein gemeinsamer Einsatz dies tun würde, und dass dies letztlich auch den Menschen in den ärmeren Ländern zugutekommen würde. Und sie sagen, dass der Westen dem Rest der Welt besser helfen können wird, wenn er die Krankheit bei sich selbst überwunden hat.

Leider wissen wir, zum Beispiel aus den Wirtschaftswissenschaften, dass es der Gesamtgemeinschaft nicht hilft, wenn es nur einigen Privilegierten besonders gut geht. Das Gegenteil ist der Fall. Der Mensch ist halt sich selbst der nächste. Ansonsten wären Gebote wie die berühmten zehn des Juden- und des Christentums ja gar nicht nötig.

Dass Dänemark und die EU sich mit Covax nun selbst ein solidarisches Gebot auferlegt haben, zeigt, dass der Wille da ist, nationalen Egoismus, den Kampf um die Gunst des eigenen (Wahl-) Volkes,  beiseite zu stellen und das zu tun, was auf lange Sicht, soweit wir wissen, für alle am besten wäre.

Dass Covax trotz der Unterstützung aus Kopenhagen, Berlin und Brüssel immer wieder unterlaufen wird und dass das Unterfangen, vieler Millionen auch aus Kopenhagen zum Trotz, noch immer hoffnungslos unterfinanziert ist, zeigt aber auch, dass dieser Wille nicht stark genug ist, um das Handeln im politischen Alltag durchgehend zu lenken.

Dabei wusste, um in der christlichen Diktion zu bleiben, doch schon Paulus: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient.“

Fast 500 Jahre nach der Bibelübersetzung Luthers sollten wir das doch jetzt langsam mal draufhaben.

 

 

 

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