Architektur

Biennale der Ideen in Venedig: Eine grüne, leise Stadt

Biennale der Ideen in Venedig: Eine grüne, leise Stadt

Biennale der Ideen in Venedig: Eine grüne, leise Stadt

dpa
Venedig/Berlin
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Was haben lebende Brücken aus Indien mit der Welt von morgen zu tun? Wie ändert sich unser Wohnumfeld? Deutschland präsentiert auf der Architekturbiennale in Venedig Vorschläge für nachhaltiges Bauen.

Städte ohne Lärm, Bauwerke aus lebenden Pflanzen und neue Ideen für das Recycling von alten Gebäude-Bauteilen: Solche Dinge sollen für die Architektur der nahen Zukunft eine größere Rolle spielen.

Das erwarten die beiden Mit-Kuratoren des deutschen Beitrags bei der Architekturbiennale in Venedig, Arno Brandlhuber und Olaf Grawert. Die internationale Architekturschau in der Lagunenstadt öffnete jetzt für das Publikum. Dann können sich Besucher aus aller Welt bis 21. November ansehen, was den Kreativen rund um den Globus zum Biennale-Motto «How will we live together?» (Wie werden wir zusammenleben?) eingefallen ist.

Kreislauf-Denken beim Bauen

«In den nächsten Jahrzehnten wird nachhaltige Architektur sexy. Auch aus finanzieller Sicht», sagt Grawert, 33 Jahre alt, Architekt und Autor, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Sichtbeton, Marmor und Naturstein werden dafür nicht mehr der Maßstab sein. Sondern die Betriebsmodelle hinter den Architekturen, die nächsten Generationen eine Teilhabe ermöglichen.»

Grawert und Brandlhuber, Professor an der der ETH Zürich, setzen mit ihrem fachübergreifenden Expertenteam auf ökologisches Kreislauf-Denken beim Bauen - aber bitte bezahlbar. Sie glauben an die Kraft positiver Visionen, die im deutschen Pavillon auf multimediale Weise in den Raum geworfen werden sollen. Sie wollen, wie sie im Gespräch via Internet mit Begeisterung schildern, zudem viele Bürger in eine Debatte über künftige Wohnwelten hinein locken.

Mitgewirkt hat eine lange Liste von Leuten, darunter Taiwans prominente Digitalministerin Audrey Tang, der niederländische Künstler Jonas Staal und der in Belarus geborene Technik-Autor Evgeny Morozov.

Lebende Brücken

Baubotanik habe Potenzial, schwärmen die Kuratoren. Dieses Fachwort fällt mehrfach. Technik und Pflanzen verbinden sich dabei zu neuartigen Konstruktionen. Sie nennen auch lebende Brücken aus Wurzeln und Ranken in Indien als ein Beispiel. Technikgetrieben dagegen ist das Modell, Bauelemente schon beim Entstehen eines Hauses mit einem Code zu markieren, der Informationen über eine spätere Wiederverwertung an anderer Stelle enthalten soll, wenn die Erstnutzung vorbei ist.

Dabei besteht die Präsentation des deutschen Beitrags mit dem Namen «2038 - The New Serenity» (2038 - Die Neue Gelassenheit) in Venedig nicht aus Modellen oder Zeichnungen, sondern schwerpunktmäßig aus Filmen.

«2038 ist ein positiver Rückblick aus der Zukunft, in der noch mal alles gut gegangen ist. Erzählt wird dieser Rückblick in Form von Filmen zwischen Fakt und Fiktion», sagt Grawert. Die inhaltliche Klammer sei der Kurzfilm «Interrail 2038», dessen Hauptfiguren in der Pandemiekrise geboren wurden. «Darin treffen sich zwei 18-Jährige in Venedig und blicken auf ihr Erwachsenwerden und die Entwicklungen zurück.» Worüber sie sprechen, wird in anderen Beiträgen, den «History Channels», vertieft. Hier kommen die Experten zum Zuge.

Dass wegen der Corona-Pandemie zum Gesundheitsschutz nur eine eingeschränkte Zahl von Zuschauern in den Pavillon darf, sehen die Kuratoren als Chance: Denn ihre Arbeit ist nicht nur dort, sondern auch im Netz zu erleben über «2038.xyz». Jetzt erreiche man so womöglich zusätzlich zu den Architektur- und Kunstfans vor Ort ein viel breiteres Publikum, hoffen sie.

«Wir alle, egal ob vor Ort in Venedig oder zu Hause, sehen die Filme auf die gleiche Art und Weise, nämlich über unser jeweiliges Device. Sie unterscheiden sich auch nicht. Die Besucherinnen in Venedig sehen die gleichen Filme wie die Besucherinnen im Cloud-Pavillon», versichert der 57-jährige Brandlhuber.

Die Städte werden leise

Und welche Vorstellung hat er selbst vom künftigen Bauen und Wohnen? «2038 wird sich nur noch eine Minderheit ein Einfamilienhaus im Grünen wünschen - anders als heute», meint Brandlhuber. «Denn die Städte werden viel leiser und grüner geworden sein, viel weniger stressig. Und die Menschen werden wieder richtig Lust haben, in der Stadt zu leben.» Wobei solche Aussagen und das Projekt in Venedig auch als Debattenangebot zu verstehen sind. Grawert sagt, «2038» sei «eine Einladung zur Verhandlung über unsere Zukunft».

In der norditalienischen Stadt zeigen bei der 17. Architekturbiennale - geleitet vom libanesisch-amerikanischen Architekten Hashim Sarkis - jedenfalls mehr als 100 Teilnehmer aus 46 Ländern weitere, sicher oft ganz andere Bau-Ideen. Außerdem kann das Publikum in rund 60 anderen Länderpavillons nach Inspirationen und Debattenstoff suchen.

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