Cameron Carpenter

„Bach war ein Fanatiker“

„Bach war ein Fanatiker“

„Bach war ein Fanatiker“

Dagmar Leischow
Büdelsdorf
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Orgelspiel und Inszenierung: Cameron Carpenter beherrscht beides. Foto: shmf/Thomas Grube

Organist Cameron Carpenter über seine Konzerte in Büdelsdorf und sein Verhältnis zur Klassik.

Organist Cameron Carpenter über seine Konzerte in Büdelsdorf und sein Verhältnis zur Klassik.

Der amerikanische Organist Cameron Carpenter, der in Berlin wohnt, gilt als Exzentriker. Zu seinen Auftritten beim Schleswig-Holstein Musik Festival bringt er seine digitale Touring-Orgel mit. Der 36-Jährige hat dieses Instrument selbst entworfen und auf seine persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten. Jetzt reist er mit ihm um die Welt. Um zu beweisen: Die Orgel ist endgültig säkular geworden.

Herr Carpenter, was macht für Sie den besonderen Reiz des Schleswig-Holstein Musik Festivals aus?
Ich kann nur aus der Sicht eines Künstlers sprechen: Ich wurde zu einer Zeit mit dem Leonard Bernstein Award ausgezeichnet, als ich gerade nach Europa gezogen war. Dass die Festival-Macher schon so früh an mich geglaubt haben, werde ich ihnen nie vergessen.

Was bieten Sie dem Publikum bei Ihren Auftritten auf dem NordArt-Gelände?
Ich komme mit meiner digitalen Touring-Orgel, die akustische Präzision garantiert. Ich gebe drei Konzerte pro Tag. Bei meinem ersten Auftritt werde ich mein Soundsystem zu einer Art Barockorgel rekonfigurieren. Dabei orientiere ich mich allerdings nicht an der deutschen Barockorgel, sondern an der amerikanischen Barockorgel aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Bei meinem zweiten und dritten Recital arbeite ich dann mit einem Arenen-Soundsystem.

Sind drei Konzerte pro Tag nicht körperlich wahnsinnig anstrengend?
Eine deutsche Pfeifenorgel zu spielen wäre körperlich eine größere Anstrengung. Für mich steht die mentale Kontrolle im Vordergrund. Ich muss genau darauf achten, wann ich welchen Klang einsetze. Es gilt, die Tasten und Register zu koordinieren. Parallel dazu beschäftigt mich die Frage, wie ich mich bewege. So gesehen saugt mich das Orgelspielen ziemlich aus.

In Büdelsdorf steht unter anderem Bachs Passacaglia und Fuge c-Moll auf dem Programm, zudem haben Sie Ihre CD „All you need is Bach“ veröffentlicht. Ist Bach Ihr Lieblingskomponist?
Nein. Ich vergleiche Bach gern mit der Sonne – er ist einfach da. Verstehen Sie mich nicht falsch: Bach war ein großartiger Komponist.  Jede seiner Kompositionen ist ein Meisterwerk, doch nicht alle sind gleichwertig.
Unter Organisten gilt „Passacaglia und Fuge c-Moll“ als Bachs bedeutendstes Orgelwerk.
Da haben Sie Recht. Aber wie wollen Sie seine Stücke miteinander vergleichen? Ist Passacaglia und Fuge c-Moll besser als die Goldberg-Variationen? Solche Fragen halten mich bisweilen nachts wach.

Hätten Sie sie gern mit Bach  diskutiert?
Bach ist für mich eher eine natürliche Kraft. Als Mensch interessiert er mich nicht. Wer sich seine Schriften ansieht – besonders seine Briefe an reiche Leute, die er ständig um Geld bat –, erkennt schnell: Dieser Mann war ein religiöser Fanatiker. In der heutigen Zeit würden Passanten in Bussen oder Bahnen zu ihm auf Abstand gehen, wenn er ihnen Gott als ultimative Macht preisen würde.
Dennoch gilt Bach vielen als unantastbar. Kann er die Klassik vor ihrem Untergang bewahren?
Wissen Sie, warum die Klassik dem Tod geweiht ist? Weil sie sich mit ihrem Autoritätsgehabe selber zugrunde richtet. Als ich noch an der Juilliard School in New York studiert habe, war ich auch mit dieser Attitüde konfrontiert. Zum Glück hat sie mich nicht zerstört. Ich bin mir sicher, dass jeder Bach so spielen kann, wie er es für richtig hält. Bachs Stücke erlauben einem Musiker, sich selbst auszudrücken. Gerade darin besteht ihre Größe.

Cameron Carpenter live: Heute, jeweils 14, 17 und 20 Uhr, Büdelsdorf, NordArt, Karten: 0431/237070.

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