FUEN-Kongress 2021

Nicht nur in den USA: Minderheiten verurteilen rassistisch motivierte Polizeigewalt mitten in Europa

Minderheiten verurteilen rassistisch motivierte Polizeigewalt in Europa

Minderheiten verurteilen Polizeigewalt gegen Sinti und Roma

Triest/Trieste/Trst
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Stanislav Tomáš
Beerdigung von Stanislav Tomáš am 24. Juli 2021 Foto: Ondrej Hajek/AP/Ritzau Scanpix

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Der Fall George Floyd und die folgenden Proteste gingen von Amerika aus um die Welt. Ein ganz ähnliches Ereignis in Tschechien erregt derweil die Gemüter bei den Minderheiten Europas.

Die Delegierten der Mitgliedsorganisationen der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) haben auf ihrer Delegiertenversammlung in Triest ohne Gegenstimmen eine Resolution verabschiedet, mit der die mehr als 100 Minderheitenverbände Europas den Tod des zu den Roma gehörenden Stanislav Tomáš „infolge unverhältnismäßiger Gewaltanwendung“ verurteilen.

Tod nach Polizeieinsatz – Polizei schiebt es auf Drogen

Tomáš starb im Juni 2021 unmittelbar nach einem Polizeieinsatz im tschechischen Teplice (Teplitz) unter ähnlichen Umständen wie George Floyd während eines Polizeieinsatzes in den Vereinigten Staaten. Ein Video zeigt, wie sich bis zu drei Polizeibeamte auf Tomáš knieten. Einer der Polizisten hat sich sechs Minuten lang auf den Nacken und den Rücken des auf dem Boden Liegenden gekniet und das auch dann noch, als der sich nicht mehr bewegte.

Während der Festnahme schrie Tomáš immer wieder, und Passanten versuchten, die Polizeikräfte darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht mehr atmen könne. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus in einem Rettungswagen.

Die tschechische Polizei behauptete anschließend, er sei an einer Überdosis Amphetamin gestorben. Bei einer gerichtlich angeordneten Autopsie wurde denn auch kein Zusammenhang zwischen dem Tod von Stanislav Tomáš und dem Polizeieinsatz festgestellt. Die Behörden, einschließlich des tschechischen Innenministers, verteidigten die laut FUEN „offensichtlich unverhältnismäßige Gewaltanwendung der Polizeibeamten“.

Für den Minderheiten-Dachverband unverständlich: Der Antrag auf eine unabhängige Autopsie wurde abgelehnt.

Antiziganismus wird bestritten, aber nicht untersucht

„Die unverhältnismäßige Gewaltanwendung gegen Stanislav Tomáš ist nur ein Beispiel für eine Reihe von Fällen polizeilichen Fehlverhaltens und brutaler Gewalt gegen Sinti und Roma, die in vielen Fällen zu schweren Verletzungen oder sogar zum Tod der Opfer führten. Dazu zählt auch ein Vorfall, bei dem ein junger Roma nach einem Streit mit einer anderen Person von der Polizei erschossen wurde“, heißt es in der Resolution. „Ein mögliches rassistisches oder antiziganistisches Motiv als Grund für die unverhältnismäßige Gewaltanwendung oder das Fehlverhalten im Allgemeinen wird in den meisten Fällen nicht untersucht oder bestritten“, so der Vorwurf.

FUEN: Tschechien muss unabhängige Untersuchung garantieren

Die FUEN fordert die tschechische Regierung unter anderem dazu auf, den Fall unabhängig untersuchen zu lassen, „entsprechend der Forderung des Europarates nach einer dringenden, gründlichen und unabhängigen Untersuchung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention. Diese sollte herausfinden, ob es ein antiziganistisches Motiv im Handeln der Polizeibeamten gab“.

Sinti und Roma sollen nicht rassistisch vorverurteilt werden

Sämtliche europäischen Länder sind laut FUEN-Resolution aufgefordert:

  • ihre Bemühungen zu verstärken, um gegen Fehlverhalten und Brutalität von Polizeibeamten sowie ethnische Profilerstellungen („ethnic profiling“) gegenüber Sinti und Roma vorzugehen;
  • eine nicht diskriminierende Behandlung durch die Strafverfolgungsbehörden sicherzustellen;
  • Fehlverhalten, Brutalität und rassistische Profilerstellungen („racial profiling“) gegen Sinti und Roma durch Polizeibeamte aufzuzeichnen, zu untersuchen und gegebenenfalls zu sanktionieren;
  • geeignete Schulungsprogramme für Strafverfolgungsbehörden zum Thema Antiziganismus und dessen Bekämpfung zu gewährleisten;  
  • die zunehmende Verbreitung von Hass gegen Sinti und Roma und von Antiziganismus in Medien und politischen Diskursen öffentlich zu verurteilen;
  • die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Antiziganismus, wie sie im neuen „EU-Strategierahmens für Gleichstellung, Eingliederung und Teilhabe der Roma“ und in den Empfehlungen des Europäischen Rates zur Gleichstellung, Eingliederung und Teilhabe der Roma vorgesehen sind, umzusetzen.
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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Wenn Minderheiten als Gefahr für andere dargestellt werden“