Parlamentswahl in Russland

Kremlpartei feiert Sieg - Opposition spricht von Wahlbetrug

Kremlpartei feiert Sieg - Opposition spricht von Wahlbetrug

Kremlpartei feiert Sieg - Opposition spricht von Wahlbetrug

dpa
Moskau (dpa) –
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Russische Bürger geben ihre Stimmzettel ab. Foto: Mindaugas Kulbis/AP/dpa

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Die Wahl zur neuen Staatsduma in Russland gilt für Präsident Putin als ein wichtiger Stimmungstest. Es gibt massive Vorwürfe, dass bei der Abstimmung nicht alles sauber war. Wird sich Putin dazu äußern?

Bei der Auszählung der Stimmen zur Parlamentswahl in Russland haben Gegner der Kremlpartei und Beobachter Unregelmäßigkeiten in der Hauptstadt Moskau beklagt.

Auch mehr als zwölf Stunden nach Schließung der Wahllokale gab es am Montagmorgen keine Ergebnisse der Online-Abstimmung für die Staatsduma. «Wir sind überzeugt, dass die Stimmen der elektronischen Abstimmung noch nicht veröffentlicht sind, weil sie so die Wahlen fälschen wollen», teilte der parteilose Kandidat Michail Lobanow mit. Der Hochschullehrer und sein Stab kündigten an, um jede Stimme zu kämpfen.

Auch Medien in der Hauptstadt wunderten sich, dass Stimmzettel von Hand schneller ausgezählt wurden als die der Online-Abstimmung. Die Wahllokale hatten am Sonntag um 20.00 Uhr (19.00 Uhr MESZ) geschlossen. Aus anderen Teilen des Landes waren die Ergebnisse der Online-Abstimmung wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale veröffentlicht worden.

Lobanow hatte sich von den Kommunisten aufstellen lassen und wurde auch von der zur Wahl nicht zugelassenen Opposition um den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny unterstützt. Nawalnys Team kritisierte Unregelmäßigkeiten und Verzögerungen bei der Auszählung. Die Opposition hatte zur Protestwahl gegen die Kremlpartei Geeintes Russland aufgerufen.

Laut ersten Ergebnissen lagen in einigen Wahlkreisen in Moskau andere Direktkandidaten als die der Kremlpartei vorn. Nawalnys Unterstützer befürchteten, dass mit einer späten Veröffentlichung der Ergebnisse der Online-Abstimmung dann am Ende der Bewerber der Kremlpartei durchgesetzt werden soll. Nach ersten Auszählungen hat die Kremlpartei Geeintes Russland die Wahl wie erwartet gewonnen.

Putin-Partei bleibt stärkste Kraft

Nach Auszählung von knapp 55 Prozent der Stimmzettel kam die Machtbasis von Präsident Wladimir Putin auf 46,6 Prozent, wie die Wahlkommission in der Nacht zum Montag in der Hauptstadt Moskau mitteilte. Mit Spannung wird erwartet, ob sie in der neuen Staatsduma ihre absolute Mehrheit verteidigen kann. Die Opposition um den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny sprach dagegen von Wahlbetrug, den niemand hinnehmen sollte.

Den ersten Ergebnissen zufolge werden im neuen Parlament mit seinen 450 Abgeordneten mindestens vier Parteien vertreten sein. Die Kommunisten erhielten demnach 21,3 Prozent. Die rechtspopulistische Partei LDPR des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski kam auf 8 Prozent und Gerechtes Russland auf 7,6 Prozent. Sie alle gelten als systemtreue Parteien und waren bereits in der Duma vertreten.

Hoffnungen auf einen Einzug kann sich eine neue Kraft machen: die Partei Nowyje Ljudi - auf Deutsch Neue Leute. Sie landete nach dem Zwischenstand bei der Auszählung auf knapp 6 Prozentder Stimmen. Die im März vergangenen Jahres gegründete Bewegung kann demnach auch bei den Regionalwahlen in einigen Gebieten auf Erfolge hoffen. Bereits im vergangenen Jahr war sie bei Wahlen auf Regionalebene erfolgreich.

Die Wahlbeteiligung hatte die Wahlkommission am Abend mit 45 Prozent angegeben. Am Montag sollte mitgeteilt werden, wie viele Menschen tatsächlich wählen gegangen sind. In Russland und im Ausland waren rund 110 Millionen Menschen zur Abstimmung aufgerufen.

Am Montag wollte Putin zudem mit Wahlleiterin Ella Pamfilowa die Abstimmung auswerten. Die Wahl galt als ein wichtiger Stimmungstest für den Kremlchef und seine Politik. Wegen steigender Preise bei gleichzeitig sinkender Löhne war der Unmut zuletzt gewachsen.

Bei einer Wahlfeier in Moskau kündigten Parteifunktionäre bereits an, dass der Kurs Putins fortgesetzt werde. Obwohl der Staatschef wegen mehrerer Coronafälle in seinem Umfeld nicht anwesend war, wurde er von Anhänger mit «Putin, Putin, Putin»-Rufen gefeiert.

«Schmutziger als 2011»

Am Tag nach der Wahl wollen auch die Anhänger von Nawalny Bilanz ziehen. Sie hatten mit der «schlauen Abstimmung» zu einer Protestwahl gegen Geeintes Russland aufgerufen, um so ihr Machtmonopol zu brechen. Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow meinte, diese Methode habe in einzelnen Regionen Erfolge erzielt - konkret lässt sich das allerdings erst nach Vorlage der vorläufigen Endergebnisse sagen.

Wolkow kritisierte im Kurznachrichtendienst Twitter: «Diese Wahlen sind schmutziger als die von 2011 - viel schmutziger.» Die unabhängigen Wahlbeobachter der Organisation Golos haben mehr als 4000 Verstöße aufgelistet. Besonders verbreitet war demnach das Vollstopfen der Wahlurnen mit packenweise Stimmzetteln, aber auch erzwungene Stimmabgaben etwa unter Staatsbediensteten.

Der Politikwissenschaftler Gleb Pawlowski erwartete, dass beim Auszählen der Stimmzettel das Ergebnis zugunsten der Kremlpartei nachgebessert werde. «Geeintes Russland ist nicht mehr die Partei der Macht», sagte er dem unabhängigen Internet-Fernsehkanal Doschd.

Der Parteichef der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, glaubt, dass Geeintes Russland bei «objektiver Betrachtung» nicht mehr die absolute Mehrheit erreicht habe. Er warnte nach Angaben der Agentur Interfax einmal mehr vor Wahlbetrug. Die Kommunisten meinten, dass unter der Kremlpartei und Putin kein Fortschritt zu erwarten sei.

Kritik am Wahlverlauf kam auch aus Deutschland. Die FDP-Politikerin Renata Alt sprach in Berlin von einer «schlechten Inszenierung». Die Manipulationsvorwürfe «erlauben massive Zweifel an der Legitimität der Wahlergebnisse», sagte sie. «Tatsache ist: den wahren Willen des russischen Volkes werden wir heute nicht erfahren haben.» Der FDP-Außenexperte Michael Link sagte der «Heilbronner Stimme», Putin versuche in «fast schon paranoider Manier, die Stimmung in der russischen Bevölkerung in seinem Sinne zu kontrollieren».

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