KINDERARZT IM INTERVIEW

Kinder im Elternbett: Wo ist das Problem?

Kinder im Elternbett: Wo ist das Problem?

Kinder im Elternbett: Wo ist das Problem?

Mark Otten/shz.de
Hamburg
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Kinder, die im Bett weinen, geben oft erst Ruhe, wenn sie ins Bett der Eltern dürfen. Das möchten aber nicht alle Eltern. Foto: shz.de/imago images/biky

Darf das Kind ins Elternbett? Die Frage kann Eltern spalten. Kinderarzt Herbert Renz-Polster macht das „etwas traurig".

Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster ist unter anderem für seine Bücher "Kinder verstehen" und "Schlaf gut, Baby" bekannt. Er selbst ist Vater von vier mittlerweile erwachsenen Kindern. Im Interview mit unserer Redaktion spricht über die Gründe, warum Eltern sich teilweise so schwer damit tun, wenn Kinder im Bett der Eltern schlafen möchten.

Herr Renz-Polster, warum ist es für viele Eltern so eine heikle Frage, ob Kinder im eigenen Bett schlafen?

Renz-Polster: Zunächst einmal finde ich es auffällig, dass ausgerechnet so etwas Normales wie Schlafen viele Eltern in eine schwierige Beziehung zu sich und ihren Kindern bringt. Und das macht mich auch etwas traurig.

Was steckt dahinter?

Eltern verhandeln bei dem Thema ihre grundsätzlichen Erziehungsbilder: Kann ich vertrauen oder muss ich kontrollieren? Wenn ich Vertrauen habe, sage ich: 'Das wird schon werden, Hauptsache mein Kind fühlt sich wohl und kommt nicht in Not'. Dann schläft das Kind eben mit im Bett. Bei Kontrolle ist der Ansatz: 'Ich muss dafür sorgen, dass das Kind was wird.'

Ist es denn wichtig, dass Kinder im eigenen Bett schlafen?

Wichtig ist, dass Kinder gut schlafen. Dazu müssen sie sich sicher fühlen und entspannen können. Bei uns Erwachsenen ist es doch auch so. Wenn wir uns nicht sicher fühlen, können wir auch nicht schlafen. Und Kinder fordern zurecht die Nähe zu ihren Lieben ein, um sich geschützt zu fühlen.

Warum bestehen Eltern darauf, dass das Kind im eigenen Bett schläft – selbst wenn es im Nebenzimmer weint?

Oft haben Eltern Angst, dass die Kinder nicht selbstständig werden und man sie verwöhnt, wenn sie nicht lernen, im eigenen Bett zu schlafen. Und Eltern verbinden Schlaf mit Erziehung. Die Angst ist dann: 'Wenn wir nachgeben, und das Kind bei uns schläft, dann bestimmt ja das Kind – und dann erziehen wir ja nicht.'

Was sagen Sie diesen Eltern?

Ich nehme diese Sorgen ernst – aber aus meiner Sicht sind sie nicht hilfreich. Ein Kind entwickelt nicht mehr Selbstständigkeit, indem man ihm Nähe wegnimmt. Selbstständigkeit entsteht von innen heraus. Kinder wollen selbstständig werden. Wenn ein Kind sich sicher fühlt, dann wird es mutig, dann will es die Welt entdecken.

Warum zieht es Kinder nachts zu den Eltern?

Wir alle haben ein evolutionäres Gepäck: In der Vergangenheit war Nähe beim Schlafen unverhandelbar, denn sonst war die Chance groß, dass man den nächsten Morgen nicht erlebt. Diese Sicherheit brauchen Kinder auch heute. Und die bekommen sie nur, wenn sie dafür sorgen, dass jemand in der Nähe ist und für Sicherheit sorgt.

Sollten Kinder also im Bett der Eltern schlafen?

Das müssen die Eltern selbst entscheiden. Ich finde es auch okay, wenn Eltern das nicht möchten. Allerdings: In manchen Kulturen versteht man die Frage gar nicht; da ist es selbstverständlich, dass Familien nah beieinander schlafen. Das Wichtigste für mich ist: Man sollte die Kinder nie sich selbst überlassen. Denn wenn Kinder tagsüber betreut sind, aber abends immer wieder die Erfahrung machen: 'Wenn ich in Not bin, ist niemand für mich da', das halte ich für ein schlechtes Muster.

Ab welchem Alter sollte ein Kind in seinem eigenen Bett schlafen?

Es ist ganz schwer zu sagen: 'Das ist normal und das ist falsch.' Es ist auch wieder eine Frage des kulturellen Hintergrunds. Im asiatischen Raum schlafen Kinder teilweise bis circa elf Jahre im Zimmer der Eltern. Ich kenne Schulkinder, die noch bei ihren Eltern schlafen. Mir ist wichtig, dass diese Kinder im Alltag mutig sind.

Und was sagen Sie Eltern, die das Kind mit im Bett schlafen lassen, weil sie gerne kuscheln – also mit einem Hauch von Egoismus?

Ich finde es voll okay. Ein Problem ist es, wenn Eltern nicht erkennen, dass das Kind schon seinen eigenen Weg gehen will. Wenn Eltern wachsam sind: Was soll da schief laufen? Wenn Eltern dabei entspannen können, ist das gemeinsame Schlafen auch eine gute Gelegenheit, die Bindung zum Kind zu vertiefen. Gerade dann, wenn das Kind tagsüber in Fremdbetreuung ist.

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