Wacken Open Air

Lübecker Wissenschaftler erklärt: „Metal macht friedlich“

Lübecker Wissenschaftler erklärt: „Metal macht friedlich“

Lübecker Wissenschaftler erklärt: „Metal macht friedlich“

Michael Althaus/shz.de
Schleswig-Holstein
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Ausgelassen und gut drauf - zwei Metalfans genießen Wacken. Foto: dpa

Laute und schnelle Musik trifft nicht jeden Geschmack - sie baut aber Aggressionen ab.

Laute und schnelle Musik trifft nicht jeden Geschmack - sie baut aber Aggressionen ab.

Nico Thom (38) ist Musikwissenschaftler an der Musikhochschule Lübeck und befasst sich dort unter anderem mit populärer Musik. Im Interview erzählt er, warum Wacken-Fans so friedlich sind und warum Metal kein Mainstream ist.

 

Herr Thom, das Wacken Open Air ist eines der friedlichsten Festivals in Deutschland. Liegt das am Metal, der dort gespielt wird?
Ja. Ich glaube, dass gerade diese harte Musik es schafft, eventuell vorhandene Aggressionen abzubauen. Wenn man schlecht drauf ist, kann man diese Musik hören, dazu tanzen und laut mitsingen. Dadurch reguliert sich der emotionale Haushalt, das heißt man wird ruhiger und entspannt sich.

Also je härter die Musik, desto eher werden Aggressionen abgebaut?
Ja, das würde ich sagen. Es kommt natürlich immer auf den Kontext an. Wichtig ist, dass man sich unter Menschen bewegt, die alle das gleiche wollen, nämliche fröhliche Zerstreuung. Beim Wacken Open Air ist das so. Man bewegt sich unter Gleichgesinnten und das hat natürlich etwas Angenehmes.

Was macht denn Metal-Musik eigentlich aus?
Im Vordergrund steht die elektronisch verstärkte Gitarre. Dieses Hauptinstrument wird in allen möglichen Formen zelebriert, bis hin zur vollständigen Verzerrung, wenn man die Akkorde gar nicht mehr richtig hören kann, sondern nur noch ein kratzendes, verschwimmendes Geräuschspektrum wahrnimmt. Und natürlich sind Lautstärke und Geschwindigkeit wichtige Faktoren.

Die modernen Formen des Metal unterscheiden sich sehr vom klassischen Heavy Metal. Wohin geht die Entwicklung in diesem Genre?
Wie bei allen Musikstilen ist die Tendenz: höher, schneller, lauter. Allerdings stößt man irgendwann an Grenzen. Ein Schlagzeuger kann ja nur bis zu einer gewissen Geschwindigkeit schnell spielen und auch ein Gitarrist kann sein Instrument nur bis zu einer gewissen Tonhöhe bearbeiten. Das Gleiche gilt auch für die Lautstärke. Natürlich gibt es wahnsinnig kraftvolle Musikanlagen, die Menschen sogar taub machen können. Aber das ist ja nicht der Sinn eines Festivals.

Metal erzeugt ja nicht unbedingt in jedem Zuhörer eine friedliche Reaktion, oder?
Das ist völlig normal: Wenn man eine Vorliebe für eine bestimmte Musik hat, dann hat man zugleich auch eine gewisse Abneigung gegenüber Musik, die sehr anders organisiert ist. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Klassik-Fan gleichermaßen Metal mag. Und umgekehrt sind auch Metal-Fans in den seltensten Fällen Freunde klassischer Kammermusik. Jeder Mensch hat musikalische Vorlieben, die durch das soziale Umfeld und durch eigene Erfahrungen geprägt sind. Bereits in einem relativ jungen Alter ist man festgelegt, was den Musikgeschmack angeht.

Nico Thom erklärt, warum Metal auf manche so entspanend wirkt. Foto: Michael Althaus

Ist das allein die Sozialisierung oder liegt das an der Musik selber?
Da kommen ganz viele Phänomene zusammen. Das Wichtigste sind die Hörgewohnheiten. Würde uns Metal tagtäglich umgeben, würden sich unsere Hörgewohnheiten mehr an diese Musik anpassen. Aber die Mehrheit der Musik, die wir im Alltag zum Beispiel im Radio oder auf Stadtfesten hören, bewegt sich eher in einem mittleren Spektrum – sowohl in Bezug auf die Geschwindigkeit als auch die Lautstärke und die Tonhöhe. Metal-Musik fällt da von vornherein raus, weil sie extrem laut und schnell ist und ein breites Frequenzspektrum ausschöpft. Daher ist sie nicht massenkompatibel.

Aber Metal ist nicht nur Lärm, sondern auch Kunst, oder?
Es ist natürlich Kunst. Man muss allerdings differenzieren. Es gibt Metal-Musik, die mit sehr einfachen musikalischen Mitteln arbeitet, und es gibt sehr, sehr anspruchsvolle Metal-Musik, die einen hohen Grad an Expertise voraussetzt. Üblicherweise bezeichnet man solche Formen als Progressive Metal. Sie nehmen Einflüsse anderer Stile auf, beispielsweise aus dem Jazz oder Folk, die die Künstler dann natürlich beherrschen müssen.

Es scheint, dass der durchschnittliche Metal-Fan immer älter wird. Spricht Jüngere diese Musik demzufolge nicht mehr so an?
Das würde ich nicht sagen. Das hat auch etwas mit der öffentlichen Wahrnehmung zu tun. Üblicherweise sagt man ja, dass Pop-Musik im Allgemeinen eher etwas für jüngere Leute ist. Was man dabei leicht aus dem Blick verliert, ist, dass die Leute, die damit sozialisiert wurden, auch älter werden. Wenn jemand mit den Beatles aufgewachsen ist, dann wird er auch im hohen Alter noch die Beatles mögen. Und wenn jemand in den 80er-Jahren mit Judas Priest aufgewachsen ist, dann wird er auch jetzt, wenn er schon 50 ist und eigene Kinder hat, immer noch Judas Priest mögen. Dieses Phänomen ist unabhängig von der Musik. Das geht den Techno-Fans genauso wie den Hip-Hop-Fans.

Aber es gibt doch wenig junge, erfolgreiche Metal-Bands. Die großen Stars sind alle schon relativ alt.
Das hat etwas mit der Musik-Industrie zu tun. Es gibt schon immer noch genügend Nachwuchs. Nur nimmt man die jungen Bands weniger wahr. Sie bleiben meistens in ihrer Region verhaftet. Wenn man in Schleswig-Holstein durch die Dörfer fahren würde, könnte man eine ganze Menge Metal-Bands finden. Weil Metal aus dem populären Musik-Spektrum weitgehend rausfällt, werden sie allerdings weniger forciert durch die Musik-Industrie und brauchen demzufolge ziemlich lange, bis sie bekannt werden.

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