Asiatische Pinselkrabbe und Seepferdchen

Invasive Tierarten: Gefährdung für die Nordsee?

Invasive Tierarten: Gefährdung für die Nordsee?

Invasive Tierarten: Gefährdung für die Nordsee?

Jonna Marlin Lausen/shz.de
Nordfriesland
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Das Seepferdchen taucht hin und wieder in der Nordsee auf. Bedroht es andere Arten? Foto: imago images/Ardea

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Klimawandel oder eingeschleppt? In der Nordsee tauchen immer neue Tier- und Pflanzenarten auf – eine Spurensuche.

Mit seinen Scheren krallt sich die kleine Asiatische Pinselkrabbe an dem hölzernen Segelboot fest, das durch den glitzernden, hellblauen Pazifik gleitet. Auf in ein neues Abenteuer, auf nach Nordeuropa, ins Wattenmeer, will die kleine Krabbe und wird ein bisschen wehmütig, wenn sie daran denkt, ihre Verwandtschaft zurückzulassen.

Asiatische Pinselkrabbe. Foto: imago images/TPG

Was sich anhört wie eine Szene aus einem neuen "Findet-Nemo-Trailer", könnte sich so, oder so ähnlich, tatsächlich abgespielt haben. Denn in der Tat gibt es mittlerweile Asiatische Pinselkrabben in der Nordsee. Wie der Name schon sagt, gehört das Krustentier aber nicht wirklich in die hiesigen Gefilde. Und es ist in bester Gesellschaft, denn auch unter Wasser macht sich die Globalisierung bemerkbar. Mittlerweile haben sich beispielsweise die Pazifische Auster, die Amerikanische Schwertmuschel oder die Trapezkrabbe auf die rauen Bedingungen der Nordsee eingestellt – und fühlen sich in dem kalten, grauen Gewässer zum Teil ziemlich wohl.

Schlecht fürs heimische Ökosystem

"Die meisten gebietsfremden Arten werden durch den Menschen beabsichtigt oder unbeabsichtigt eingeschleppt", erklärt Marina Sanns vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN.SH). "Ein Teil von ihnen schafft es, sich im Meer zu etablieren, indem sie sich über mehrere Generationen vermehren. Das kann Auswirkungen auf das Ökosystem haben, die – potenziell – nicht erwünscht sind", erklärt die Meeresbiologin.

Sogenannte invasive Arten haben negative Auswirkungen auf das Ökosystem, auf die menschliche Gesundheit oder die Wirtschaft, beispielsweise durch die Ausbreitung von Parasiten. Als Beispiel nennt Sanns die Pazifische Auster, die in den 1970er Jahren für Aquakulturzwecke durch den Menschen in Aquakulturanlagen eingebracht wurde und sich dann im Wattenmeer ausgebreitet hat. Larven der invasiven Muschel setzen sich etwa auf Miesmuscheln, Strandschnecken oder Seepocken, die mit zunehmender Größe der Austern überwachsen werden und sterben. Dadurch entstehen Lücken im heimischen Ökosystem.

Pazifische Auster am Stand in Schleswig-Holstein. Foto: imago images/Westend61

Viele Arten werden über Häfen eingeschleppt

Das Problem: "Wenn sie einmal da sind, bekommt man sie nur sehr schwer wieder weg. Daher ist es wichtig zu untersuchen, wie sie sich auswirken", sagt Sanns weiter. In einem Team über ein zwischen den deutschen Küstenländern und dem Bund abgestimmten Monitoring-Programm werden seit 2009 alle neuen Arten dokumentiert. An der schleswig-holsteinischen Westküste finden die Untersuchungen in den Häfen List/Sylt und Hörnum/Sylt sowie in den Häfen von Büsum und Brunsbüttel statt.

Warum Häfen? Einer der Haupteintragspfade von gebietsfremden Arten sind Schiffe, die in ihrem Ballastwasser oder im Bewuchs der Schiffsrümpfe gebietsfremde Arten mitführen.

Zahl invasiver Arten steigt weiter

Die Ergebnisse des jährlichen Monitorings werden schriftlich festgehalten. Die Untersuchungen zeigen einen kontinuierlichen Anstieg der Artenzahlen in allen vier Häfen zusammen von 29 Arten im Jahr 2016 auf 44 im Jahr 2019, die meisten der gefundenen gebietsfremden Arten sind in deutschen Küstengewässern seit langem bekannt und etabliert. Dazu zählen etwa die Asiatische Pinselfelsenkrabbe oder der Japanische Beerentang.

Und das Seepferdchen?

Doch nicht alle gebietsfremden Arten schädigen das ökologische Gleichgewicht. So lassen sich einheimische Vögel etwa die Amerikanische Schwertmuschel schmecken. Diese lange, schwertartige Muschel ist im Wattenmeer heimisch geworden, gehört sie doch mittlerweile zum gängigen Repertoire jeder Wattwanderung dazu.

Die Amerikanische Schwertmuschel gehört augenscheinlich zum Wattwandern, allerdings wurde die Muschel durch den Menschen unbeabsichtigt eingeschleppt und schadet den heimischen Wattbewohnern glücklicherweise nicht. Foto: Martin Stock

Das kann man vom Seepferdchen nicht gerade behaupten. Hier liegt die Vermutung nahe, dass dieses aus wärmeren Gefilden eingewandert sein könnte, weil es sich durch den Klimawandel bedingten Temperaturanstieg weiter im Norden nun wohlfühlt.

Falsch: Seepferdchen waren einst im Wattenmeer heimisch. "Sie sind aufgrund des Seegrassterbens in den 1930er Jahren stark im Bestand zurückgegangen und verschwanden schließlich von der Bildfläche", sagt Sanns. In den letzten Jahren berichten Forscher aber wieder von "vereinzelten Funden" in der Nordsee, zuletzt 2020. Konkrete Untersuchungen dazu gebe es bisher noch nicht. Im Multimar Wattforum in Tönning gibt es aber die Möglichkeit, die Tierchen in ihrem Algenwald zu beobachten.

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