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Demonstranten stürmen vor den Reichstag – Steinmeier verurteilt Angriff scharf

Demonstranten stürmen vor den Reichstag – Steinmeier verurteilt Angriff scharf

Demonstranten stürmen vor den Reichstag

dpa/shz.de
Berlin
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Polizisten stehen vor dem Reichstag. Demonstranten gegen die staatliche Corona-Politik haben am Sonnabend eine Absperrung am Reichstagsgebäude in Berlin durchbrochen. Foto: Fabian Sommer/dpa

Für Aufsehen und Empörung sorgten bei der Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen die Ereignisse am Reichstag.

Politiker fast aller Parteien haben sich bestürzt gezeigt über die Ereignisse am Berliner Reichstag während der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. „Das Reichstagsgebäude ist die Wirkungsstätte unseres Parlaments und damit das symbolische Zentrum unserer freiheitlichen Demokratie. Dass Chaoten und Extremisten es für ihre Zwecke missbrauchen, ist unerträglich“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der „Bild am Sonntag“.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den Sturm von Demonstranten auf das Reichstagsgebäude in Berlin am Sonnabend scharf verurteilt. „Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie. Das werden wir niemals hinnehmen“, erklärte Steinmeier am Sonntag.

„Unsere Demokratie lebt“, betonte Steinmeier. Wer sich über die Corona-Maßnahmen ärgere oder ihre Notwendigkeit anzweifele, könne das tun, auch öffentlich, auch in Demonstrationen. „Mein Verständnis endet da, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen.“ Steinmeier dankte den Polizistinnen und Polizisten, „die in schwieriger Lage äußerst besonnen gehandelt haben“.

Demonstranten stürmen die Treppen des Reichstags

Demonstranten gegen die staatliche Corona-Politik hatten am Sonnabend eine Absperrung am Reichstagsgebäude in Berlin durchbrochen und waren auf die Reichstagstreppe gestürmt.

Polizeibeamte drängten die Menschen zurück. Die Polizei setzte Pfefferspray ein, es kam zu Rangeleien. Am Reichstagsgebäude hatte es zuvor eine Kundgebung gegeben. Bei Demonstranten waren auch die von Reichsbürgern verwendeten schwarz-weiß-roten Reichsflaggen zu sehen. Die Polizei löste die Demo dann auf. Einsatzkräfte räumten den Platz vor dem Reichstagsgebäude und schoben die Demonstranten weg.

Videos, die im Internet kursieren, zeigen, wie die Menschen direkt vor der Tür des Reichstags stehen. Nur drei Polizisten standen ihnen noch im Weg.

Polizeisprecher Thilo Cablitz erklärte dazu: „Wir können nicht immer überall präsent sein, genau diese Lücke wurde genutzt, um hier die Absperrung zu übersteigen, zu durchbrechen, um dann auf die Treppe vor dem Reichstag zu kommen.“

„Meinungsvielfalt ist ein Markenzeichen einer gesunden Gesellschaft. Die Versammlungsfreiheit hat aber dort ihre Grenzen, wo staatliche Regeln mit Füßen getreten werden“, sagte Seehofer weiter. Außenminister Heiko Maas (SPD) twitterte: „Reichsflaggen vorm Parlament sind beschämend.“ SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schrieb: „Nazisymbole, Reichsbürger- & Kaiserreichflaggen haben vor dem Deutschen Bundestag rein gar nichts verloren.“

Auf die Frage, ob es vielleicht besser gewesen wäre, die Demonstration zu verbieten, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, er wundere sich, dass der Verfassungsschutz nach eigenen Angaben im Vorfeld keine Hinweise darauf entdeckt habe, „dass hier Rechtsextreme versuchen, diese Demonstration zu unterwandern“. Die Bilder des Tages zeigten etwas anderes. „Das wird man sich nochmal genauer angucken müssen, warum diese Hinweise im Vorfeld anscheinend nicht vorlagen oder nicht vernünftig ausgewertet wurden“, sagte der SPD-Politiker bei „Bild live“. Nun werde im Ältestenrat des Bundestages zu klären sein, „wie Sicherheitskonzepte ausgesehen haben.“

Rund 38.000 Demonstranten am Sonnabend in Berlin

Nach Schätzungen der Behörden nahmen an den Protesten in der Stadt am Sonnabend insgesamt rund 38.000 Menschen teil. Wie Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Abend berichtete, wurden über den Tag verteilt rund 300 Menschen festgenommen, allein vor der russischen Botschaft etwa 200. Dort flogen unter anderem aus einer Menge von rund 3.000 sogenannten Reichsbürgern und Rechtsextremisten Steine und Flaschen auf die Polizei, wie er sagte. Laut Polizei gab es dort auch Gefangenenbefreiungen. Geisel bezeichnete die Ereignisse als vorhersehbar. „Es war erwartbar, was heute passiert ist“, sagte er am Sonnabend in den ARD-„Tagesthemen“.

Festgenommen wurde vor der russischen Botschaft auch der Vegan-Koch Attila Hildmann, der sich selbst „ultrarechts“ und einen Verschwörungsprediger nennt. Zu den Hintergründen der Festnahme Hildmanns äußerte sich Geisel nicht.

Im Laufe des Tages wurden auch Straßen vorübergehend blockiert, Absperrungen durchbrochen und ein Baucontainer angezündet, wie die Polizei weiter mitteilte. Sie war mit rund 3.000 Beamten im Einsatz.

Aufgerufen zum Protest hatte die Stuttgarter Initiative Querdenken 711. Sie hatte mit rund 22.000 Teilnehmern gerechnet, es kamen aber deutlich mehr. Es gab auch Gegenproteste, unter anderem aus der linken Szene.

Der US-Rechtsanwalt, Umweltaktivist und Impfgegner Robert Francis Kennedy junior, Neffe des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy, wandte sich in einer Rede auf der Kundgebung gegen den Aufbau des neuen 5G-Mobilfunknetzes, warnte vor einer Totalüberwachung und attackierte in diesem Zusammenhang unter anderem Microsoft-Gründer Bill Gates.

Polizei ließ einige Demonstrationen auflösen

Einen geplanten Demonstrationszug am Mittag hatte die Polizei nicht starten lassen, weil die Mindestabstände zum Infektionsschutz nicht eingehalten wurden. Nach längeren Verhandlungen mit den Veranstaltern erklärte die Polizei, sie löse die Versammlung auf. Es bleibe „leider keine andere Möglichkeit“. Danach trug die Polizei Demonstranten weg, die auf der Straße sitzen blieben und nicht freiwillig gingen.

Auf Transparenten forderten Teilnehmer den Rücktritt der Bundesregierung sowie ein Ende der Schutzauflagen und Alltagsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie. Auf Plakaten stand „Maulkorb-Demokratie – ohne uns“, „Stoppt den Corona-Wahnsinn“ und „Corona-Diktatur beenden“. Immer wieder skandierte die Menge „Widerstand“ und „Wir sind das Volk“.

Auch AfD-Politiker und andere rechte Gruppen hatten zur Teilnahme aufgerufen. Am Brandenburger Tor und anderen Orten waren auch Flaggen mit Reichsadler, T-Shirts in Frakturschrift und andere Symbole von Rechtsextremisten zu sehen. Insgesamt versammelte sich aber auf der Friedrichstraße, wo die Demo starten sollte, und später an der Siegessäule eine breite Mischung von Bürgern, darunter Junge und Alte sowie auch Familien mit Kindern.

Berliner Behörden wollten Demonstrationen generell verbieten

Der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, warnte vor möglichen Folgen der Corona-Proteste. „Solche Demonstrationen sind für radikale Bewegungen ein ideales Umfeld, um immer mehr Menschen für ihre Ideologien zu gewinnen“, sagte Fiedler der „Rheinischen Post“. „Dort mischen sich Feinde der Demokratie mit Teilen der gesellschaftlichen Mitte, Verschwörungstheorien können so immer schneller um sich greifen.“

Eigentlich wollten die Berliner Behörden die Versammlungen verbieten, sie unterlagen jedoch vor Gerichten. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin gegen das Verbot wurde in der Nacht zum Sonnabend bekannt. Als Grund für die Verbotsverfügung hatte die Polizei angeführt, dass durch die Ansammlung Zehntausender Menschen – oft ohne Maske und Abstand – ein zu hohes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung entstehe. Das habe bereits die Demonstration gegen die Corona-Politik am 1. August in Berlin gezeigt, bei der die meisten Demonstranten bewusst Hygieneregeln ignoriert hätten.

 
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