Schleswig-Holstein

Comeback Sayn-Wittgensteins - „Die AfD radikalisiert sich weiter“

Comeback Sayn-Wittgensteins - „Die AfD radikalisiert sich weiter“

Comeback Sayn-Wittgensteins - „Die AfD radikalisiert sich“

Matthias Hoenig/dpa
Henstedt-Ulzburg
Zuletzt aktualisiert um:
Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein (AfD) nimmt auf der Landes-Mitgliederversammlung Schleswig-Holstein Glückwünsche zu ihrer Wahl als Landesvorsitzende entgegen. Foto: Markus Scholz/dpa

Eine Klatsche für den AfD-Bundesvorstand: Die schleswig-holsteinische AfD wählt Doris von Sayn-Wittgenstein überraschend erneut zur Landesvorsitzenden. Dabei will die Bundespartei sie wegen Verbindungen in die rechtsextreme Szene eigentlich rauswerfen.

Die schleswig-holsteinische AfD hat die vom Parteiausschluss bedrohte Doris von Sayn-Wittgenstein erneut zur Landesvorsitzenden gewählt. Die 64-jährige Landtagsabgeordnete setzte sich am Sonnabend in einer Kampfabstimmung beim Parteitag in Henstedt-Ulzburg gegen zwei Mitbewerber durch.

Sie war erst im Dezember zurückgetreten, nachdem der AfD-Bundesvorstand gegen sie ein Parteiausschlussverfahren wegen der Fördermitgliedschaft in einem rechtsextremen Verein eingeleitet hatte.

Der Parteitag geriet zu einem Machtkampf zwischen Anhängern eines politischen Kurses auf der Linie des Bundesvorstands und einer noch rechteren AfD.

Heftige Wortgefechte machten auf dem Parteitag den Riss deutlich, der durch den Landesverband geht.

Sayn-Wittgenstein sprach selbst von einer Richtungswahl. Sie setzte sich mit einer Bewerbungsrede mit nationalistischen, völkischen Tönen durch.

Der schleswig-holsteinische Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz twitterte am Sonntag: „Die AfD radikalisiert sich weiter.“

Der scheidende Landtagsvizepräsident Rasmus Andresen (Grüne) meinte in dem sozialen Netzwerk, „die AfD ist eine rechtsextreme Partei“. Die AfD-Landtagsfraktion müsse sich auflösen.

Ralf Stegner, SPD-Bundesvize und SPD-Landtagsfraktionschef, twitterte, „das sind und bleiben Rechtsradikale, mit denen anständige Demokraten nichts zu schaffen haben wollen.“

AfD-Landtagsfraktionschef Jörg Nobis wertete die Wahl als „schlechtes Signal in die Partei und nach außen“. Der Landesverband habe die Chance, einen personellen Neuanfang zu machen, vertan.

Nach seiner Einschätzung wird es zwischen der Fraktion und Sayn-Wittgenstein - wie schon seit längerem - auch in Zukunft keine Zusammenarbeit geben.

Sayn-Wittgenstein erhielt 137 von 244 abgegebenen Stimmen und damit 56 Prozent. Ihr schärfster Konkurrent, Christian Waldheim, AfD-Fraktionschef in Norderstedt und AfD-Bundesrechnungsprüfer, unterlag mit 100 Stimmen. Er gilt als Verfechter der Linie des AfD-Bundesvorstands.

Das einfache Parteimitglied Jürgen Orlok aus dem Kreisverband Dithmarschen, der sich als Mittler zwischen den Flügeln zur Wahl gestellt hatte, erhielt 4 Stimmen. 2 Stimmen waren ungültig, es gab eine Enthaltung.

Sayn-Wittgenstein hatte ihre Kandidatur lange offen gelassen und erst am Sonnabend definitiv erklärt. In ihrer Bewerbungsrede warf sie dem Bundesvorstand vor, dieser habe sie im vergangenen Dezember „zum Abschuss“ freigegeben.

Dabei sei sie nicht rechtsextrem, sondern halte nur - anders als andere - am alten AfD-Kurs fest: „Wir holen uns unser Land zurück“, sagte sie unter großem Beifall. „Sogar in unserer Partei sind schon jene Kräfte am Werk, die am Tod unserer Nation mitwirken - dies gilt es zu erkennen.“

Zugleich bekannte sie sich zu einer umstrittenen Bundestagsrede des AfD-Abgeordneten Marc Jongen vom 5. April und zitierte daraus: Die Jugend werde systematisch zu Schuld und Scham über ihr Deutschsein erzogen. So solle „der Daseinswille von uns Deutschen als Volk und Nation gebrochen werden“.

Der AfD-Bundesvorstand äußerte sich zunächst nicht zur Wahl und zu den Vorwürfen Sayn-Wittgensteins. Er hält der Politikerin vor, 2014 den vom thüringischen Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Verein Gedächtnisstätte unterstützt zu haben.

Deshalb wurde Sayn-Wittgenstein am 4. Dezember aus der Kieler AfD-Landtagsfraktion ausgeschlossen und ist seither fraktionslos. Der AfD-Bundesvorstand initiierte ein Parteiausschlussverfahren, das vor dem Bundesschiedsgericht anhängig ist. In erster Instanz hat das AfD-Landesschiedsgericht im Norden die Vorwürfe des Bundesvorstands gegen Sayn-Wittgenstein verworfen.

Die Parteispitze entschied im Dezember außerdem, sie „vor dem Hintergrund mutmaßlich strafrechtlich relevanter Vorgänge“ bis zur Entscheidung von der Ausübung aller Parteiämter auszuschließen. Daraufhin trat Sayn-Wittgenstein als Landesvorsitzende zurück.

Nach ihrer Wiederwahl sagte Sayn-Wittgenstein nun, dass sie einem Parteiausschluss durch das Bundesschiedsgericht nicht hinnehmen und gegebenenfalls staatliche Gerichte anrufen werde.

Allerdings würde Sayn-Wittgenstein, wie AfD-Landtagsfraktionschef Jörg Nobis erläuterte, im Falle eines Rauswurfs durch das Bundesschiedsgericht bis zur Klärung durch staatliche Gerichte ihr Amt automatisch erst einmal verlieren.

Auf die Frage nach ihrer Wahl, was sie zu dem Vorwurf im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sage, die AfD dünge den rechtsextremen Sumpf für solche Attentate, antwortete Sayn-Wittgenstein mit einer Gegenfrage: Ob die etablierten Parteien nicht mitschuldig seien für Morde und Vergewaltigungen durch Flüchtlinge in Deutschland seit 2015? Sie sehe jedenfalls eine politische Verantwortung hierfür. Der Fall Lübcke sei ein Einzelfall und müsse so auch bewertet werden - genauso wie es andere mit Verbrechen von Flüchtlingen hielten.

Der neunköpfige Landesvorstand wurde am Samstag in überwiegend neuer Besetzung gewählt. Erster stellvertretender Landesvorsitzender ist Joachim Schneider (Kreisverband Pinneberg), zweiter Stellvertreter Roland Kaden (Dithmarschen).

 

Mehr lesen