Corona-Krise

Deutsche Werften: Hilferufe vom sinkenden Schiff

Deutsche Werften: Hilferufe vom sinkenden Schiff

Deutsche Werften: Hilferufe vom sinkenden Schiff

Markus Lorenz/shz.de
Hamburg
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Quo vadis, deutscher Schiffbau? Blick auf die Hamburger Werft Blohm+Voss Foto: Daniel Bockwoldt

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Nicht nur Corona macht der Schiffbauindustrie schwer zu schaffen. Noch bedrohlicher ist ein unaufhaltsamer Aufstieg.

Die Corona-Krise bringt den deutschen Schiffbau an den Rand ihrer Existenz. In einem dramatischen Appell haben Spitzenvertreter der Branche am Dienstag die Politik zu gezielten Subventionen aufgerufen, um das Schlimmste zu verhindern.

 

Es geht inzwischen um die Frage, ob in Deutschland und Europa in zehn Jahren überhaupt noch zivile Schiffbauindustrie in nennenswertem Umfang bestehen kann.

Bernard Meyer, Meyer Werft

 

„Mit den bisherigen Rahmenbedingungen droht der irreversible Verlust essenzieller Schiffbaufähigkeiten“, warnte Harald Fassmer, Präsident des Unternehmensverbandes für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), anlässlich der Mitgliederversammlung. Es gehe inzwischen um die Frage, „ob in Deutschland und Europa in zehn Jahren überhaupt noch zivile Schiffbauindustrie in nennenswertem Umfang bestehen kann“, unterstrich Bernard Meyer, Geschäftsführer der Papenburger Meyer Werft.

 

 

Infolge der Pandemie sind die Schiffsbestellungen 2020 weltweit um die Hälfte geschrumpft, das Neugeschäft im Markt für Kreuzfahrtschiffe ist nahezu zum Erliegen gekommen. Letzteres trifft die hiesigen Anbieter ins Mark, hatte das Geschäft mit den Luxuslinern zuletzt doch für Stabilität und neues Wachstum gesorgt. Sowohl die Meyer Werft als auch die MV Werften in Mecklenburg Vorpommern reagieren auf die Flaute mit drastischen Sparprogrammen und Stellenabbau.

Ein einziger Neubauauftrag – „ein Wunder“ 

Es sei ein „Wunder“, dass sein Unternehmen kürzlich – als weltweit einziges überhaupt – einen Vertrag zum Bau eines Kreuzfahrtschiffes habe abschließen können, sagte Werftchef Meyer. Der Cruiser für die japanische Reederei NYK sei mit 230 Metern Länge zwar eher klein, für sein Unternehmen aber von immenser Bedeutung. 

Branche mit 200.000 Arbeitsplätzen 

Krisenverlierer ist indes die gesamte zivile Schiffbauindustrie hierzulande mit 2800 Unternehmen. Die Stammbelegschaften auf den Werften zählen 20.000 Mitarbeiter, entlang der maritimen Wertschöpfungskette geht es laut VSM aber um 200.000 Stellen. Beim Marineschiffbau ist die Lage besser, allerdings drohe auch hier mittelfristig ein negativer Corona-Effekt, wenn Staatshaushalte weltweit in Bedrängnis kommen. 

Als deutscher Mittelständler können Sie gegen strategisches Handeln des chinesischen Staates nicht ankommen. 

Harald Fassmer, Präsident VSM

 

Angst macht den Branchenvertretern die wachsende Dominanz der Werften in Fernost mit ihren Dumpingpreisen. Das gelte vor allem für China, das 200 Milliarden Euro in seine staatliche Werftindustrie gesteckt habe und unaufhaltsam Marktanteile übernehme. Das Reich der Mitte steht kurz davor, auch den Markt für Kreuzfahrtschiffe aufzumischen. Wenn in vier bis fünf Jahren, so befürchtet Bernard Meyer, überhaupt wieder nennenswerte Aufträge für die schwimmenden Hotels vergeben würden, dürften chinesische Werften mitbieten. 

Von wirtschaftlicher Chancengleichheit könne keine Rede sein. VSM-Präsident Fassmer: „Als deutscher Mittelständler können Sie gegen strategisches Handeln des chinesischen Staates nicht ankommen. Darum brauchen wir eine aktive Politik.“ 

Überleben mit grüner Antriebstechnik made in Germany 

Ohne Hilfe des Staates kein Überleben in der Krise, so die Ansage der Branchengrößen, es brauche jetzt eine „maritime Wachstumsagenda“. Dazu gehörten kurzfristige Corona-Hilfen, vor allem aber gehe es um eine grundsätzliche Unterstützung beim Wandel hin zu klimafreundlichen Antrieben und Kraftstoffen für Seeschiffe. 

Technologisch sehen sich die deutschen Werften gerade auf diesem Feld an der Weltspitze: „Noch stehen umfängliche technologische und industrielle Fähigkeiten zur Verfügung, um die Schiffbauindustrie in Deutschland in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.“ Die großen Investitionen in den Umbau könne die „ausgelaugte“ deutsche Schiffbauindustrie jedoch nicht allein stemmen, sagte Meyer. 

Liebe Leute in Südostasien: Das lassen wir uns nicht mehr gefallen.

Bernard Meyer, Meyer Werft

 

Der Kampf um die maritime Existenz sei dabei keine nationale Angelegenheit mehr, betonten die Werftverantwortlichen. VSM-Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken forderte ein Zusammenrücken von Politik, Reedereien und Werften in Europa sowie einen „grundlegenden Umbau der Rahmenbedingungen für den europäischen Schiffbau“.

Auch für Bernard Meyer kann die Branche der fatalen Wettbewerbsverzerrung nur mit einem kontinentalen Schulterschluss begegnen: „Werften und Reeder in Europa müssen enger zusammenarbeiten und sagen: Liebe Leute in Südostasien: Das lassen wir uns nicht mehr gefallen.“

Kommentar

Markus Lorenz

Der deutsche Schiffbau funkt SOS. Nicht zum ersten Mal, doch zum müden Schulterzucken ist die Lage viel zu ernst. Das Doppelproblem aus Corona-Krise und der schier übermächtigen Konkurrenz aus Fernost droht den Werften ein für allemal die Luft abzudrücken. 

Nicht von ungefähr wenden sich Unternehmen und Gewerkschaften gleichermaßen hilfesuchend an die Politik. Anders als mit viel Geld aus öffentlicher Hand und einem breiten politischen Bündnis schrumpft die maritime Industrie hierzulande unweigerlich zur reinen Nischensparte, was es zu verhindern gilt. 

Vor allem für den Norden ist und bleibt der Schiffbau eine unverzichtbare Schlüsselbranche, die als nationale Querschnittstechnologie zudem weit in andere Industriebereiche ausstrahlt. Vor allem beim Weg ins Zeitalter klimaneutraler Antriebe. Auch sichert nur eine eigene starke Schiffbauindustrie Knowhow und damit Unabhängigkeit für den Militärschiffbau. 

Klar ist: Die Rettung ist mit der reinen marktwirtschaftlichen Lehre nicht zu schaffen. Freilich: Skrupel vor Staatsinterventionen muss niemand haben. China subventioniert sich gerade hemmungslos zum Weltmarktführer. 

Es gilt zu klotzen, nicht zu kleckern: bei den Fördermilliarden für Forschung und Entwicklung, bei staatlichen Direktaufträgen, aber auch beim europäischen Schulterschluss. denn wie in der Luftfahrt liegt das Heil absehbar in grenzüberschreitender Kooperation. Wie gut das funktionieren kann, haben die Europäer mit dem Beispiel Airbus schon einmal bewiesen. 

 

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