Zweiter Weltkrieg

SH: Tausende Tonnen Munition und Bomben in den Böden

SH: Tausende Tonnen Munition und Bomben in den Böden

SH: Tausende Tonnen Munition und Bomben in den Böden

Michael Kierstein, SHZ
Kiel
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Die Experten Thomas Otte (von links), Mark Wernicke, Alan Bock und Dr. Kai Kulschewski informieren über die Arbeit der Luftauswerter. Foto: Michael Kierstein, SHZ

Die Arbeit der Luftbildauswerter ist langwierig und wichtig. Alleine in Schleswig-Holstein gelten 90 Gemeinden als besonders belastet mit Hinterlassenschaften aus dem zweiten Weltkrieg.

Der 2. Weltkrieg hat in Schleswig-Holstein gravierende Spuren hinterlassen. Neben Verwüstungen und Kampfhandlungen auch Bombardements. Bis heute stellen diese flächendeckenden Luftangriffe das größte Problem dar.

45.000 Tonnen Bomben werden in den Böden des Landes vermutet. 29.000 Tonnen alleine in der Hauptstadt Kiel. Doch die Bomben sind nicht das alleinige Problem. „Sie sind nur am prominentesten. Viel mehr beschäftigt uns Munition“, erklärt Alan Bock, Leiter der Schleswig-Holsteinischen Luftbildauswertung.

Zusammen mit seinem Kollegen Mark Wernicke nahm er am 8. Symposium des Kampfmittelräumdienstes zu Kriegsluftbildern teil. Bei diesem treffen Fachleute aus ganz Deutschland zusammen und tauschen sich aus. So war auch Dr. Kai Kulschewski aus Nordrhein-Westfalen im Kieler Rathaus vertreten, wo das diesjährige Symposium stattfindet.

Austausch mit Kollegen

Auch die Stadtstaaten schickten Vertreter. Thomas Otto war aus Hamburg in den hohen Norden gekommen. Sie alle brachten Fachwissen mit und tauschten sich über die Entwicklungen aus.

Das Thema hat großen Einfluss auf das Leben der Bürger. Alleine in und um die Landeshauptstadt herum mussten im letzten halben Jahr immer wieder wichtige Verkehrsachsen wie die B76 gesperrt werden, um Bomben zu entschärfen.

Damit der Kampfmittelräumdienst jedoch überhaupt aktiv werden kann, müssen erst Luftbilder ausgewertet werden.

Großer Bildbestand

88.000 Fotos stehen ihm und seinem Team zur Verfügung, um Verdachtsfälle zu finden, so Bock. „Das ist etwa die Hälfte der Bilder, die es gibt.“ Doch jedes einzelne Bild ist teuer. 91 Euro kostet es, ein Foto in die Datenbank aufzunehmen. Diese müssen bei der „National Collection of Aerial Photography“ im schottischen Edinburgh bestellt werden.

Trotzdem investiert das Land hier. In den letzten Jahrzehnten wurde der Bestand bereits um 60.000 Fotografien aufgestockt. „Um auf einen Verdachtsfall zu kommen, brauchen wir drei Fotos. Eins vom Vortag des Bombardements, eins vom Tag des Bombardements und eins vom Folgetag“, so Bock.

Wenn man diese Bilderfolge zur Verfügung hat, kann man durch Vergleichen der einzelnen Fotos mögliche Bombentrichter finden. In Schleswig-Holstein setzen die Luftbildauswerter nun verstärkt auf Digitalisierung. „Neben den Bildern ziehen wir auch weitere Daten, wie Berichte aus dem zweiten Weltkrieg zu Rate“, sagt Mark Wernicke vom Schleswig-Holsteinischen Kampfmittelräumdienst.

Alleine diese 90.000 Meldungen beinhalten rund 1,7 Millionen Einzelteile. Abgeschlossen ist die Datenbank jedoch bei weitem nicht. Besonders bei Munition und Bomben, die in Nord- und Ostsee oder in Binnengewässer geworfen wurden, gibt es Probleme. „In Ufernähe kann man die Krater auf den Bildern noch sehen. Weiter draußen müssen wir uns auf Berichte aus der Zeit verlassen“, so Bock.

Folgen für Häuserbauer

Neben Kiel und Neumünster gelten 88 weitere Gemeinden im Norden als belastet. In diesen Gemeinden muss jeder, der ein Haus bauen oder in den Boden eingreifen will, das Erdreich überprüfen lassen. „Dazu kann man ein Antragsformular ausfüllen. Wichtig ist, dass man uns dabei das exakte Flurstück mitteilt“, erklärt Wernicke.

Was einfach und schnell gemacht klingt, hat einen großen Haken: Immer mehr Anfragen prasseln auf die Luftbildauswerter ein. „Wir brauchen aktuell etwa 27 Wochen, um eine Anfrage zu beantworten“, gibt Wernicke zu.

Auch deshalb sei es gar nicht möglich, von alleine auf die Suche zu gehen. Die bestehenden Kräfte sind durch die Abarbeitung von Anfragen gebunden. Zum Start des Symposiums überbrachte Innenstaatssekretär Torsten Geerdts deshalb eine gute Nachricht: Vier neue Stellen sollen in Schleswig-Holstein geschaffen werden. Sie sollen helfen, die immer weiter steigenden Bearbeitungszeiten abzufedern.

Immer mehr Anfragen 

In diesem Jahr erwarten die Auswerter bundesweit deutlich mehr Anfragen, die es zu bearbeiten gilt. In Hamburg geht Thomas Otto, Referatsleiter der Gefahrenerkundung Kampfmittelverdacht, von 11.000 Anfragen aus. Das sind 1000 mehr als im Vorjahr. 2021 werden bis zu 16.000 Anfragen erwartet.

„Politisch gewollt ist, dass wir jede Anfrage in vier Wochen beantworten. Das schaffen wir aber nicht“, erläutert Thomas Otto, Referatsleiter der Gefahrenerkundung Kampfmittelverdacht. Realistischer sei eine Wartezeit von 16 Wochen.

Dass sich der Weg der konsequenten Digitalisierung lohnen kann, sieht der Dezernent des Kampfmittelräumdienstes Nordrhein-Westfalen, Dr. Kai Kulschewski. Hier hatte man vor Jahren mit dieser Arbeit begonnen und kann deshalb nun eine Bearbeitungszeit von zwei bis drei Wochen vorweisen.

Grund der langen Wartezeiten

Als Grund für die langen Wartezeiten im Norden gilt der Bauboom. Immer mehr Leute bauen sich ein Haus und stellen deshalb eine Anfrage an die Luftbildauswerter. Hinzu kommen Erdarbeiten wie beispielsweise für den Breitbandausbau.

Ein weiterer Punkt, der zu einer Verzögerung führen kann ist, wenn entsprechende Luftbilder nicht vorhanden sind. Diese müssen dann bestellt werden, was ebenfalls dauern kann.

Gefahr für Menschen

Die Tonnen an Munition und Bomben in den Böden Schleswig-Holsteins stellen eine ernst zu nehmende Gefahr dar. „In Einzelfällen kann eine Bombe detonieren“, betont Mark Wernicke. Dies sei zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber dennoch möglich.

Meistens kommt es dazu, dass eine Bombe mit einem vorgespannten Zünder im Boden eine Kurve einschlägt. Dadurch kann der Zünder dann seine Arbeit nicht machen. Man spricht dann von einem Blindgänger.

Noch bis Donnerstag beherbergt das Kieler Rathaus 85 Experten aus der ganzen Republik, die sich mit der Auswertung von Luftbildern beschäftigen. In Fachvorträgen behandeln sie dabei die Schwierigkeiten beim Auswerten von Nachtaufnahmen, aber auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

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