Boden-Kontamination

Schleswigs Desaster am Wikingeck

Schleswigs Desaster am Wikingeck

Schleswigs Desaster am Wikingeck

Joachim Pohl/shz.de
Schleswig
Zuletzt aktualisiert um:
Die Wiking-Halbinsel: Hier - im Bereich der Callisenstraße - befand sich bis 1952 die Teerpappenfabrik „Erichsen und Menge“. Foto: Robert Keil

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Seit 32 Jahren wissen Stadt und Kreis von der Boden-Kontamination am Schleiufer – erst jetzt ist eine Lösung endlich in Sicht: Warum?

Die scheinbar endlose Geschichte um die versickerten Schadstoffe im Erdreich des Wikingecks feiert in diesem Jahr ein unrühmliches Jubiläum. 1951, also vor genau 70 Jahren, stellte die Dachpappenfabrik Erichsen & Menge ihre Produktion ein. Zu diesem Zeitpunkt dürften die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) und anderen Giftstoffe bereits tief im Erdreich versunken sein. Wie viele Menschen schon damals davon wussten, lässt sich heute nur schwer sagen; der eine oder andere mag sein Wissen mit ins Grab genommen haben.

Heute liegt die Altlast immer noch unberührt da, dann und wann treten Teile davon aus. Mehrere Generationen von Verwaltungsbeamten und Kommunalpolitikern kamen und gingen, die Altlast blieb. Dass sie heute, 70 Jahre nach Einstellung der Produktion, immer noch nicht beseitigt ist, dass jahrzehntelang nur diskutiert und verhandelt, begutachtet und beprobt, aber nicht gehandelt wurde, gleicht einem Skandal. Hier der Versuch einer stark verkürzten, leicht kommentierten Chronologie auf Basis einer im Netz verfügbaren Übersicht mit insgesamt 80 Punkten.

Auf dem Stadtplan-Ausschnitt von 1950 ist die Teerpappenfabrik am Nordufer der Halbinsel und das Gaswerk etwas südlich davon zu erkennen. Rechts angeschnitten die Möweninsel. Auf der Sumpffläche am Öhr steht heute das Friedrichsberger Einkaufszentrum. Foto: Stadt Schleswig

9. März 1989: Erste offizielle Benennung der Boden-Kontaminierung durch die Umweltbehörde des Kreises – 38 (!) Jahre nach Schließung der Dachpappenfabrik. „Beim Ziehen von drei maroden Holzpfählen der Steganlage des Sportboothafens kam es zum Austritt von Teerölen“ – so beginnt die Chronologie.

22. Januar 1990: Erst ein knappes Jahr später erfolgt die Information der betroffenen privaten Grundstückseigentümer an der Callisenstraße.

Obwohl am 31. August 1993 noch verkündet wurde, dass das tiefere Grundwasser und auch das Schleiwasser nicht kontaminiert seien, meldete sich am 15. Oktober 1993 die Wasserschutzpolizei zu Wort: „Bei Niedrigwasser kam es zu großflächiger Verunreinigung der Schlei mit Teerölen. Bis zur Sicherung/Sanierung wurde seitens der Polizei eine Schlängelanlage vorgeschlagen, um das Gewässer Schlei zu schützen.“

Die Teerpappenfabrik „Erichsen und Menge“ auf einer alten Postkarte. Im Vordergrund die Gleise der Kreisbahn, die über den Gottorfer Damm verliefen. Foto: Archiv Rathjen

Schon früh wurden die entscheidenden Fragen gestellt (26. August 1994): „1. Wer soll das Sanierungskonzept beauftragen? 2. Wer ist für die Ermittlung der Störer und die notwendige Inauftraggabe von Untersuchungen zuständig? 3. Wer ist zuständig für den Erlass einer Sanierungsanordnung? 4. Wer hat die Kosten zu tragen?

Heute, über 26 Jahre später, sind diese Fragen größtenteils beantwortet – allein, der Dreck ist immer noch da.

Es dauerte bis zum Mai 1996, um folgende Feststellung zu treffen: „Die Stadt Schleswig ist als örtliche Ordnungsbehörde für die Entsorgung der Altlast zuständig.“ Damit lag der Schwarze Peter zunächst einmal im Rathaus.

Der Sachverständigenring Mücke aus Bad Schwartau lässt 2007 in seinem zusammenfassenden Statement keine Zweifel: „Eine Gefährdung des Menschen ist bei der derzeitigen Situation wahrscheinlich und es konnte bestätigt werden, dass es durch eine schädliche Bodenveränderung zu einer erheblichen Grundwasser-Verunreinigung gekommen ist“. Und weiter: „Es besteht ein dringender Sanierungsbedarf für den Boden und das Grundwasser. Eine Sicherung der Schlei gegen weitere Schadstoffaustritte ist erforderlich.“ Das war 2007, mithin vor über 13 Jahren. Die Beseitigung der Altlast lässt weiter auf sich warten – Stand heute bis 2022.

Wenn man mit einer Stange im Grund vor der Wiking-Halbinsel stochert, treten übel riechende blaue Blasen an die Oberfläche. Foto: Windmann

In der Auflistung weiterer Schritte, Probenentnahmen, Gutachten, Stellungnahmen, Anhörungen, Besprechungen und sonstiger Verwaltungsschritte kristallisiert sich immer klarer eine zentrale Frage heraus: Wer zahlt? Die klare Antwort müsste sein: der Verursacher beziehungsweise seine Rechtsnachfolger. Die Suche nach diesen wurde schon recht bald mangels Aussicht auf Erfolg eingestellt. Angesichts der steigenden prognostizierten Kosten wurde auch immer klarer, dass man nicht darauf hoffen konnte, die heutigen Grundstückseigentümer für einen Großteil der Kosten heranziehen zu können – sie wären dann schlicht insolvent.

Die Frage nach den Kosten stand früh im Mittelpunkt

Also war früh klar, dass nur die öffentliche Hand als Kostenträger in Frage kam. Aber welche? Stadt, Kreis, Land, Bund? Seit kurzem steht fest, dass der Bund rund zwei Drittel der Kosten übernehmen wird, weil ein Großteil der Altlast unter Wasserflächen der Schlei liegt – und Wasserflächen gehören dem Bund. Doch einige Millionen bleiben auf jeden Fall bei Stadt und Kreis hängen.

Dabei hätte das verseuchte Material längst beseitigt sein sollen. So hieß es am 17. März 2009: „Bis zum 30. April 2009 ist die Vergabe der Erstellung eines Sanierungsplans zu bestätigen und bis zum 30. September 2009 ist ein Sanierungsplan vorzulegen.“ Dieser Plan – man ahnt es schon – liegt bis heute nicht vor.

Im April 2009 haben die Rechtsanwälte das Wort. Sowohl die Stadt als auch der Kreis haben Juristen beauftragt, um einen möglichst großen Teil der Kostenlast abzuwälzen. Geschützt werden hier die Finanzen der Gebietskörperschaften, nicht geschützt wird die Umwelt.

Der damalige Schleswiger Bürgermeister Klaus Nielsky macht auch heute noch unumwunden klar, dass es damals darum gegangen sei, die Hauptkostenlast von der Stadt fernzuhalten. „Wir haben die Zuständigkeit der Stadt bestritten.“ Eine schnelle Beseitigung der Altlast war so nicht möglich gewesen. Bis jetzt.

Mehr lesen