Online-Unterricht

Lehrerin: Homeschooling zerrt an den Nerven aller

Lehrerin: Homeschooling zerrt an den Nerven aller

Lehrerin: Homeschooling zerrt an den Nerven aller

Mira Nagar/shz.de
Flensburg
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Lehrerin Nicole Stoppel unterrichtet an der Kurt-Tucholsky-Schule. Foto: Privat

Mails von Eltern und ungewollte Gäste im Online-Unterricht: Lehrerin Nicole Stoppel berichtet vom Homeschooling-Alltag.

Wegen anhaltend hoher Corona-Zahlen bleiben in Flensburg die Schulen weitgehend geschlossen. Für Lehrerinnen und Lehrer bedeutet das: Weiter Online-Lernen, teils mit plötzlichen Erlassen, unmotivierten Schülern und nett gemeinten Tipps von Eltern. Nicole Stoppel ist Lehrerin an der Flensburger Kurt-Tucholsky-Schule und berichtet von Abenteuer Distanzunterricht.

Für Flensburgs Schulen geht der Distanzunterricht weiter. Wie geht es Ihnen damit?

Die derzeitige Situation zehrt und zerrt an den Nerven aller. Gefühlt gibt es jeden Tag mehrmals auch für uns neue Informationen, die wir versuchen, bestmöglich an die Schülerinnen, Schüler und Eltern weiterzugeben. Dabei stehen wir vor der Aufgabe, die neuen Verordnungen und Erlasse des Ministeriums bestmöglich und vor allem schnell umzusetzen. Das auch diese Organisation mit Zeit für Beratungen für den besten Weg seitens der Schulleitungen, Weitergabe und Umsetzung des Beschlossenen einhergeht, wird dabei oft vergessen.

Wieviel Zusatz-Arbeit macht denn die Organisation?

Das, was in den Medien häufig als Schlagworte, wie z.B. „Präsenzunterricht für alle Abschlussklassen“ genannt wird, ist für Schulen in den Verordnungen und Erlassen meist noch deutlich differenzierter und meist nicht so schnell und einfach umsetzbar, wie es sich alle vorstellen. Schulen erhalten die Informationen auch nicht früher als die Bevölkerung, die es betrifft. Meist werden die Erlasse ein bis zwei Tage nach solchen Kundgebungen der Bildungsministerin an uns geschickt.

Welche Probleme gibt es?

Vieles von dem, was in Foren zur Zeit auftaucht, sind negative Äußerungen darüber, wie wenig die Lehrer auf den digitalen Unterricht vorbereitet seien und dass vieles nicht funktioniert. Dazu ist zu sagen, dass die Digitalisierung für Schulen bei Weitem noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie sie es zum Zeitpunkt eines Lockdowns sein müsste. Auch die Netze für den Videounterricht sind zum Großteil vormittags völlig überlastet, selbst, wenn es heißt, dass die nicht ausgelastet seien, so dass die Schülerinnen und Schüler häufig aus dem Unterricht „fliegen“. Dazu kommt, dass einige Schüler, die auf dem Land wohnen von vornherein eine schlechte Verbindung haben.

In letzter Zeit haben die Schülerinnen und Schüler ebenfalls für sich entdeckt, dass es „Spaß“ macht, Online-Unterricht durch die Weitergabe von Zugangsdaten an Dritte zu stören oder stören zu lassen. Was sie dabei vergessen, ist, dass wir Ihnen in den Videokonferenzen helfen wollen, Sachverhalte zu verstehen, damit sie auch Arbeitsbögen bearbeiten können. Sie stehlen damit nicht nur sich sondern auch ihren Mitschülerinnen und Mitschülern die Gelegenheit Fragen zu stellen. Denn immer häufiger müssen Kolleginnen und Kollegen Videounterricht abbrechen, weil diese, trotz aller möglichen Sicherungen des Unterrichtsraumes, nicht mehr möglich sind. Das ist mehr als ärgerlich und hilft vor allem niemandem.

Wie engagieren sich Lehrerinnen und Lehrer?

Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die sich sehr viele Gedanken machen, wie sie die Schülerinnen und Schüler bestmöglich versorgen können. Sie stehen über das normale Maß hinaus für Fragen bereit und in Kontakt mit den Eltern – und das obwohl sie selbst eventuell gerade Kinder zu Hause haben, die, wie bei allen anderen auch, versorgt werden müssen. Sie versuchen mit technischem Wissen weiterzuhelfen, wenn Eltern und Schüler mit beispielsweise Leihgeräten der Schule oder den verwendeten Programmen nicht umzugehen wissen, obwohl die Schulen den Umgang mit den Geräten und Programmen nach dem ersten Lockdown bis auf Äußerste geübt haben.

Wie ist die Reaktion der Eltern?

Anhand der Mails, die ich in dieser Zeit bekomme, merke ich, dass viele Eltern sich zurecht in der Rolle des „Hilfslehrers“ überfordert sehen und wir gefordert sind, diese Eltern zu beruhigen. Es geht uns nicht darum, dass alle Aufgabenbögen perfekt bearbeitet sind, aber wir erwarten, wie im normalen Unterricht auch, dass gearbeitet wird.

Des Weiteren haben wir in diesem Feld auch mit Eltern zu tun, die uns gerne Vorschläge machen, wie wir den Online-Unterricht aus ihrer Sicht verbessern könnten, hierbei allerdings auch manchmal zu weit gehen, indem sie die Kompetenz der Lehrer untergraben. Dies hängt mit Sicherheit damit zusammen, dass die Eltern im Gegensatz zu uns Lehrkräften lediglich ihren häuslichen Teil sehen, jedoch nicht, was die von Eltern gemachten Vorschläge für den Ablauf in Schule oder den einzelnen Lehrer und die einzelne Lehrerin bedeuten. Dann kommt es gelegentlich zu Reibungspunkten, so dass auch hier die Wut und das Unverständnis, dass man die Vorschläge nicht umsetzt, bei uns „abgeladen“ wird.

Gelegentlich kommt aber auch bei uns an, dass die Eltern dankbar und froh über die Struktur sind, die durch das Abbilden des Stundenplans bei uns gegeben wird. Auch, dass die Eltern bei Rückfragen auf offene Ohren stoßen, wird als positiv wahrgenommen.

Woher kommt der Frust der Eltern?

Die Eltern sind in dieser Zeit eh schon über das normale Maß hinaus belastet. Dann passiert es schon mal, dass Mails oder Schreiben, die wir herausgeben, nicht oder nur unzureichend gelesen werden, weswegen dann Verunsicherungen bei Eltern auftreten, Gerüchte entstehen, wie was zu regeln sei. Der Unmut darüber, wenn dann herauskommt, dass es doch ganz anders ist, wird bei uns „abgeladen“. Nachfragen sind an sich hervorragend und wir helfen immer gern, aber auch an dieser Stelle ist für uns die Art und Weise wichtig, wie das passiert. Wie sagt man so schön… „Der Ton macht die Musik.“

Ziehen die Schülerinnen und Schüler mit?

Viele Lehrerinnen und Lehrer sind damit beschäftigt, einige Schülerinnen und Schüler überhaupt dazu zu bewegen, am Online-Unterricht teilzunehmen. Häufig genug erhalten wir keine Rückmeldungen und manchmal sind ganze Familie nicht mehr erreichbar. Die Motivation teilzunehmen ist aber generell gut. Schülerinnen und Schüler haben selbst ein hohes Interesse daran, die Mitschüler und ihre Lehrer im Videounterricht zu sehen und eine Abwechslung vom Alltag, in dem sie ja gerade auch nicht viel dürfen, zu haben. Einige von ihnen treffen sich sogar nachmittags von sich aus in Videomeetings, um zum Beispiel an den Matheaufgaben zu arbeiten und laden dazu die Mathelehrerin auf einen „Schnack“ ein.

Wie schätzen Sie den gesellschaftlichen Lerneffekt aus dem Distanzlernen ein?

Alle sind in dieser Situation mehr als über das normale Maß hinaus gefordert und wir sehen aus unserer Berufsgruppe heraus auch, wie viel von allen Seiten (Eltern, Schüler, ...) geleistet wird, damit Unterricht möglich ist. In manchen Familien sind es zum Teil drei Kinder aus drei unterschiedlichen Schulen, die alle vormittags online Unterricht haben, und zum Teil ein Elternteil alles allein koordinieren soll. Dies ist eine wahnsinnige Leistung. Familien wie auch wir lernen, viel flexibler mit einigen Situationen umzugehen. Auch denke ich, wird die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen, wenn man selbst nicht mehr weiter weiß, gesenkt und das sehen wir als positiven Schritt, da man einfach nicht alles wissen kann.

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