Schleswig-Holstein

Harrislee: Zwischen Wildschweinzaun und Grenzkontrollen

Harrislee: Zwischen Wildschweinzaun und Grenzkontrollen

Harrislee: Zwischen Wildschweinzaun und Grenzkontrollen

Antje Walther, shz.de
Harrislee/Harreslev
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Vorbereitung auf den Grenzgipfel: Direkt vor dem Grenzübergang nehmen die Landtagsabgeordnete Sybilla Nitsch und Bjørn Ulleseit aus Harrislee (beide SSW) die Situation in Augenschein. Foto: Sebastian Iwersen

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Südlich der deutsch-dänischen Grenze ärgern sich weiter viele über die dänischen Grenzmaßnahmen. Der Zaun und die Kontrollen sind dort noch immer umstritten und halten sich hartnäckig. Für den Alltag der Menschen in Harrislee bedeuten sie Verdruss und stören die grenzüberschreitende Nachbarschaft.

Spaziergang in Wassersleben (Sosti) an einem Wochentag zwischen den Jahren: Langsam rollt ein Fahrzeug der Bundespolizei den Dammweg hinunter. Der führt zum Grenzübergang Schusterkate. Ein eher idyllischer Ort mit leidlich in Schuss gehaltenen Grenzhäuschen. Über die Fußgängerbrücke führt der Weg in den Kollunder Wald, Entern schnattern und Schwäne dümpeln, der Blick über die Förde trifft die Flensburger Werft und die Marineschule Mürwik.

Die Polizisten steigen nicht aus, verweilen ein wenig und ziehen sich wieder zurück. Die Warnbake auf der Fußgängerbrücke hindert nicht am Eintritt ins dänische Königreich. Drüben blitzen Scheinwerfer aus dem Wald aus Richtung Kupfermühle (Kobbermølle) und nähern sich. Ein dänisches Politi-Fahrzeug macht genau das, was die deutschen Kollegen gerade getan haben: Es fährt langsam an die Schusterkate heran, nur von der anderen Seite. Die Menschen grüßen freundlich aus dem Inneren des Wagens, der parkt für ein Weilchen und zieht von dannen.

300 Vollzeitstellen der dänischen Polizei für Grenzkontrollen

300 Vollzeitstellen soll die dänische Polizei für die Überwachung der Grenzen aufbringen. Dabei trat Dänemark der Schengen-Zone bei und fielen die stationären Grenzkontrollen 2001 weg. Doch infolge der Flüchtlingsbewegungen seit dem Herbst 2015 gibt es sie seit Anfang 2016 wieder.

Nachdem die Kontrollen im Mai 2022 erneut um ein halbes Jahr verlängert worden waren, schafften sie es als Thema in den dänischen Wahlkampf. Noch vor der neuen Regierung kündigte die alte die nächste Verlängerung (seit Mitte November) an.

Bewohner, Bürgermeister, Politiker und Grenzpendler, ja selbst die dänische Polizeigewerkschaft halten die aktuellen Grenzkontrollen für mindestens reine Symbolpolitik, wenn nicht gar Unsinn. Die dauerhafte Terrorbedrohung diene nur als Vorwand. Die neue Regierung, so hört man, will die Grenzkontrollen flexibler gestalten. Von Abschaffung ist bislang nicht die Rede.

Für die Menschen im Harrisleer Kern ebenso wie in den Ortsteilen Niehuus (Nyhus), Kupfermühle und Wassersleben bedeuten die hartnäckigen Kontrollen noch immer Zeitverzug zu Stoßzeiten beim alltäglichen Grenzübertritt.

Staus wegen Grenzkontrollen vor allem in Ferienzeiten und sonnabends

Wer mit dem Auto Einlass nach Dänemark begehrt, wird als Einheimischer zwar oft durchgewinkt. Aber einreihen in die Schlangen der Reisenden muss er sich auch. Vor allem in Ferienzeiten und zum gefürchteten „Bettenwechsel“ an Sonnabenden heißt das für die Harrisleer: Stau vor Krusau (Kruså), auf dem Ochsenweg und im Pattburger Bogen.

Das ging in diesem Sommer so weit, dass sich im idyllischen Niehuus plötzlich jede Menge fehlgeleitete Touristen verirrten. Und ein durch Blechlawinen eingekesselter Hotelchef in der Sackgasse in Kupfermühle machte sich nicht nur eine Einkaufsliste, sondern auch Gedanken über einen Zeitplan, wann er am besten Besorgungen erledigt, damit alles und alle wieder rechtzeitig an Ort und Stelle sind.

Eine Anwohnerin im Pattburger Bogen wiederum empfand die Verkehrsbelastung in den ersten beiden Corona-Jahren als größer als in diesem Jahr.

Ebenfalls im Sommer nannte die Region Sønderjylland-Schleswig, mit Sitz in Pattburg (Padborg), die Staus „unerträglich“ insbesondere für Bewohner und Grenzpendler und die Situation eine „Belastung“ und verlangte Lösungen vom dänischen Justizminister.

Die Abschaffung der Kontrollen forderten gerade auch Schleswig-Partei und SSW bei einem gemeinsamen Gipfel von der neuen dänischen Regierung.

25 Jahre grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Ähnlich gescholten und ähnlich hartnäckig wie die Kontrollen an der Grenze hält sich der Wildschweinzaun. In diesem Jahr wurde die 1997 besiegelte Kooperation Flensburgs und der Kreise Schleswig-Flensburg und Nordfriesland mit dem Amt Nordschleswig (Sønderjyllands Amt) 25 Jahre alt.

Aus diesem Anlass veröffentlichte die Region Sønderjylland-Schleswig fünf Interviews, das erste davon mit der scheidenden Oberbürgermeisterin Flensburgs. Simone Lange benannte darin „zwei einschneidende Begebenheiten“, die für sie „als Tiefschlag der deutsch-dänischen Beziehungen stehen: den Bau des sogenannten Wildschweinzauns entlang der deutsch-dänischen Grenze und die Wiedereinführung der Grenzkontrollen.“

Der Stahlmattenzaun, fast 70 Kilometer lang und in der Regel anderthalb Meter hoch, wurde vor inzwischen drei Jahren fertiggestellt als Maßnahme gegen die Afrikanische Schweinepest. Seit dem Beschluss bis ungefähr heute soll sich der dreistellige Schwarzwildbestand auf eine einstellige Zahl in Dänemark reduziert haben.

Schon im ersten Jahr verendeten laut Presseberichten am Zaun zudem vier Rehe und drei Rothirsche.

Unter anderem der Verein Alte Schule Niehuus zeigte sich betroffen vom „unsäglichen“ und für Mensch wie Tier „gefährlichen Viehgitter“, das beide Länder voneinander trennte.

Die Absage der traditionellen und verbindenden Kaffeetafel am Grenzübergang Rönsdam befeuerte wie erhofft die öffentliche Debatte. Auf beiden Seiten der Grenze wurde protestiert, unter anderem für ein „Schengen für Hirsche und Rehe“. Bewegt hat sich trotzdem wenig, der Zaun steht. Und auch die Grenzkontrollen gibt es weiterhin.

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