Corona-Krise

Pandemie schwächt die Schwächsten in SH

Pandemie schwächt die Schwächsten in SH

Pandemie schwächt die Schwächsten in SH

Margret Kiosz/shz.de
Kiel/Hamburg
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Bislang vor allem im Blick der Bürger: Die Hilfsbedürftigen - für sie haben die Menschen in der Pandemie an vielen Orten an „Gabenzäunen“ Nahrungsmittel und Kleidung gehängt. Foto: imago/Seeliger

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Sozialverbände in Schleswig-Holstein und Hamburg mahnen: Die Politik muss mehr die Hilfsbedürftigen im Blick haben.

Ein Jahr Corona – die Statistik des Sozialverbandes SoVD in Hamburg in Schleswig-Holstein spricht Bände: Die Anzahl der Anträge, Widersprüche und Klagen im Bereich Hartz IV nimmt deutlich zu. „Wir sehen jeden Tag in unserer Beratung, dass viele Betroffene mit der derzeitigen Situation überfordert sind und Unterstützung brauchen“, so Klaus Wicher, Verbandschef in Hamburg.

Viele haben momentan Schwierigkeiten, ihre Miete zu zahlen – zum Beispiel, weil sie ihren Job verloren haben oder in Kurzarbeit sind. Allein die Zahl der Wohngeldanträge ist um 53 Prozent gestiegen. Schleswig-Holsteins Sozialverbands-Vorsitzender Alfred Bornhalm fordert deshalb eine zügige Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes.

Besonders stark zeigen sich die Corona-Auswirkungen im Bereich der Pflege. Egal ob es um die Einstufung in einen Pflegegrad, um Pflegesach- oder Kombinationsleistungen geht: Die Anzahl der SoVD-Verfahren hat um durchschnittlich 45 Prozent zugenommen, weil sich laut Bornhalm die Pflegekassen hartnäckig weigern, Leistungen zu übernehmen. „Das liegt vor allem daran, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen aufgrund der Pandemie keine Hausbesuche mehr macht und Gutachten jetzt nach einem Telefongespräch verfasst.“

„Die Politik muss dringend etwas tun“

Solche „praxisfernen Entscheidungen“ seien fatal für die Betroffenen und führten oft zu Beschwerden und Widersprüchen, so Bornhalm. Es sei erschütternd, dass diejenigen, die die häusliche Pflege übernehmen – meist Frauen – im Regen stehen gelassen würden. Der SoVD fordert deshalb eine Aufwertung unbezahlter Sorgeleistungen und eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.

Finanziell prekär ist nach wie vor auch die Lage von Pflegebedürftige in stationären Einrichtungen. Hier stellt der Sozialverband Anträge, wenn die Betroffenen ihre Heimkosten nicht mehr selbst zahlen können. Die Zahl der Verfahren ist im Corona-Jahr besonders in Schleswig-Holstein um die Hälfte gestiegen. „Im Schnitt kostet solch ein Platz 1900 Euro pro Monat, die durchschnittliche Rente beträgt aber nur 1300 Euro“, rechnet der Kieler vor. „Die Politik muss dringend etwas tun. Es kann nicht sein, dass immer weniger Pflegebedürftige sich ihren Heimaufenthalt leisten können“, so Bornhalm.

Übersehen wird laut SoVD auch die prekäre Lage vieler Rentner, die sich bisher mit 450-Euro-Jobs ein Zubrot verdient haben. Wenn diese Jobs coronabedingt gestrichen werden, fallen die Betroffenen nicht unter die Kurzarbeitsregelung und bekommen keinen Gehaltsausfall. Entsprechend stiegt die Zahl der Menschen, die Grundsicherung im Alter nötig haben. Für Hamburg fordert Wicher eine Anhebung der Grundsicherung aus städtischer Kasse nach Münchener Vorbild. „Das Leben ist hier ähnlich teuer“, sagt Wicher.

Die SoVD-Landesvorsitzenden sind sich einig: „Derzeit verlieren Politiker gerade die Menschen aus dem Blick, die ganz besonders unsere Hilfe benötigen.“ Und sie sind stolz: Im Corona-Jahr haben sie mehr als 53 Millionen Euro an einmaligen Nachzahlungen für ihre Mitglieder erstritten.

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