Präzisionsarbeit

Malte Bickel bringt bis zu 230 Meter lange Schiffe durch NOK

Malte Bickel bringt bis zu 230 Meter lange Schiffe durch NOK

Malte Bickel bringt bis zu 230 Meter lange Schiffe durch NOK

Aljoscha Leptin/shz.de
Eckernförde
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Hier beginnen viele Arbeitstage von Malte Bickel: Wenn große Schiffe in der Schleuse Holtenau festmachen, geht der Kanalsteurer an Bord und übernimmt das Ruder. Foto: Aljoscha Leptin

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Geraten Frachter oder Kreuzfahrer auf der künstlichen Wasserstraße nur fünf Meter ab vom Kurs, laufen sie auf Grund. Deshalb müssen große Pötte für die Passage speziell ausgebildete Kanalsteurer mit an Bord nehmen.

Wenn das Diensthandy von Malte Bickel klingelt, weiß er: In einer Stunde wird er ein bis zu 230 Meter langes Schiff durch den Nord-Ostsee-Kanal steuern. Um was für ein Schiff es sich handelt und ob er schon jemals an Bord des jeweiligen Fahrzeugtyps gewesen ist, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er macht sich von seinem Wohnort Eckernförde auf nach Kiel, geht in der Schleuse Holtenau an Bord und übernimmt das Ruder. Malte Bickel ist einer von 105 Kanalsteurern. Ihre Aufgabe ist es, alle großen Schiffe, die durch den Kanal wollen, sicher durch die knapp 100 Kilometer lange künstliche Wasserstraße zu befördern. 

 

Der Kanal sieht auf den ersten Blick geräumig aus: Rund 100 Meter beträgt die Breite an den schmalsten Stellen. Doch was man nicht sieht: Das Kanalbett, der Bereich mit einer Tiefe von elf Metern, ist auf der Oststrecke nur 44 Meter breit. Und die größten Schiffe haben eine Breite von 32 Metern. Dann bleibt nur ein Spielraum von rund fünf Metern auf jeder Seite, um nicht auf Grund zu laufen, so Klaus Peter Molter, Vorsitzender des Vereins der Kanalsteurer. 

30.000 Kanal-Passagen pro Jahr 

In keinem anderen Kanal der Welt ist es so eng. Und das Verkehrsaufkommen ist enorm: Rund 30.000 Passagen werden pro Jahr gezählt.

Gesteuert werden die großen Pötte oft per Joystick 

In der Regel sind die Schiffe, die die Kanalsteurer durch den Kanal bringen, zwischen 100 und maximal 230 Meter lang. Gesteuert werden die riesigen Pötte oft mittels eines kleinen Joysticks. Einige haben auch ein Steuerrad, meist kleiner als das Lenkrad in einem Auto, berichtet Malte Bickel. Und wie schafft man es, das Schiff von der Böschung fern zu halten? Eine Orientierungshilfe bietet ein Licht, das vorn am Schiffsmast befestigt ist. Doch oftmals befinden sich hoch gestapelte Container oder Kräne an Bord, die den Blick nach vorn versperren. 

Die Kanalsteurer orientieren sich an den Lampen am Kanalufer 

Die Kanalsteurer orientieren sich an den Lampen, die sich links und rechts am Kanalufer im Abstand von 250 Metern befinden. Vergleichsweise leicht fällt die Orientierung, wenn der Steuerstand sich genau in der Schiffsmitte befindet, erklärt Bickel. Dann muss er nur darauf achten, dass die vorbeiziehenden Lichter den Rahmen des linken Fensters im gleichen Moment erreichen wie den des rechten. Dann befindet das Schiff sich in der Kanalmitte. 

 

Doch was ist in den Kurven? Hier kommt der Erfahrungsschatz der Kanalsteurer zum Tragen, die jede Krümmung der Wasserstraße im Kopf abgespeichert haben. Doch auch für sie sind die Kurven immer wieder eine Herausforderung – weil jedes Schiff auf Lenkbewegungen unterschiedlich stark reagiert. 

Der Lotse hilft 

Wenn ein anderes Schiff entgegenkommt oder sich Segel- und Motorboote neben dem Schiff befinden, kann es knifflig werden – zumal der Kanalsteurer diese oftmals gar nicht sieht, weil die Ladung im Weg ist. Daher ist es unerlässlich, dass er von einem Lotsen unterstützt wird. Dieser hat zum einen das Radar im Blick und sieht so, wenn ein Schiff entgegenkommt. Zum anderen kann er den Kanalsteurer warnen, wenn sich beispielsweise ein Segler direkt neben dem Schiff befindet. 

Der Lotse ist zudem mit der Verkehrslenkung in Kontakt – und weiß daher, wann das Schiff an einer Weiche stoppen muss. Im Kanal gibt es insgesamt elf Weichen. An diesen Stellen ist die Wasserstraße breiter. Fahren zwei große Schiffe aufeinander zu, muss eines von ihnen an der Weiche auf das andere warten. Dort können sie dann aneinander vorbeifahren. Außerdem betätigt der Lotse den Schubhebel, bestimmt also, wie schnell das Schiff fährt. „Der Kanalsteurer macht links und rechts. Der Lotse vor und zurück“, fasst Molter die Aufgabenverteilung zusammen. 

Bei schlechter Sicht kann es kritisch werden 

Besonders gut muss das Zusammenspiel zwischen Kanalsteurer und Lotse bei schlechter Sicht sein, etwa bei Nebel. Aufs Auge kann man sich dann nicht mehr verlassen. Ähnlich wie ein Rallyebeifahrer dem Piloten die nächste Kurve ansagt, läuft es dann auch auf der Kommandobrücke. Der Lotse informiert den Kanalsteurer, wann die nächste Kurve kommt, und gibt die Kurse an. 

1908 wurde der Verein der Kanalsteurer gegründet 

Die Anfangszeit des Kanals war geprägt von Kollisionen. Es gab zwar Lotsen, aber das reichte nicht: Auf jeder 20. Passage gab es einen Unfall. Schnell wurde die Forderung laut, dass nur noch Experten, die den Kanal wie ihre Westentasche kennen, die Schiffe durch die Wasserstraßen lenken sollen – die Geburtsstunde der Kanalsteurer. 1908 wurde der Verein der Kanalsteurer gegründet, in dem die Mitglieder sich selbst verwalten. Sie unterliegen jedoch der Aufsicht durch die Behörde. Schiffe mit einem Tiefgang von mehr als 6,1 Meter müssen aktuell verpflichtend einen Kanalsteurer an Bord nehmen. Bei besonders großen Pötten gehen sogar zwei Kanalsteurer an Bord.

 

Kanalsteurer haben an ihrem Arbeitsplatz oft eine traumhafte Aussicht: Ein mit Containern beladener Frachter steuert auf die Eisenbahnhochbrücke in Rendsburg zu. Foto: Malte Bickel

Die Unfallquote ist im Vergleich zur Anfangszeit drastisch gesunken. Malte Bickel ist seit 2012 dabei und war bislang noch an keinem Unfall beteiligt. Auf Höhe Sehestedt war es jedoch schon einmal richtig knapp: Bei der Einfahrt in eine Kurve fiel plötzlich die Ruderanlage aus, Lenken war nicht mehr möglich. Schnelles Handeln des Kapitäns und des Lotsen haben Schlimmeres verhindert. 

Regelmäßig wird im Simulator geübt 

Damit in solch kritischen Situationen im Ernstfall alles glatt geht, trainieren Lotsen und Kanalsteurer Szenarien dieser Art regelmäßig gemeinsam in einem Simulator in Flensburg. 

 

Malte Bickel war ursprünglich bei der Marine. Anschließend machte er sein Kapitänspatent in Flensburg. Nachdem er eine Zeit lang neue U-Boote bei der HDW Probe gefahren ist, fuhr er Passagierfähren bei der Wyker Dampfschiffs-Reederei. Von einem Bekannten wurde er dann auf den Job als Kanalsteurer aufmerksam gemacht.

Der Verein der Kanalsteurer mit dem Vorsitzenden Klaus Peter Molter hat seinen Hauptsitz in Kiel-Holtenau. Foto: Aljoscha Leptin

Mit der Arbeit ist er sehr glücklich: „Es ist ein Job jenseits von allen Schreibtischen, Bürokratie und Regelmäßigkeit“. 

Malte Bickel ist stets abrufbereit 

Dafür erfordert die Tätigkeit Flexibilität. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann Bickel einen Anruf erhalten und auf ein Schiff bestellt werden. 23 Tage am Stück ist er im Dienst und stets abrufbereit. Danach hat er sieben Tage frei. Die Kanalsteurer sind in ihrem Verein eigenständig organisiert. 

Kein planbares Gehalt 

Der Nachteil: Es gibt kein planbares Gehalt. Wie viel er im kommenden Monat verdienen wird, weiß er jetzt noch nicht, berichtet Bickel. Das hängt ganz vom Schiffsaufkommen ab, und das kann zum Teil stark variieren. Ist der Ölpreis beispielsweise besonders niedrig, nehmen viele Kapitäne einen Umweg über Dänemarks Nordspitze in Kauf und sparen sich die Kosten für die Kanalpassage. Rund 1000 Euro kostet es, wenn ein Kanalsteurer einen 120-Meter-Pott durch die Wasserstraße befördern soll. Hinzu kommen Kosten für die Lotsen und weitere Gebühren. 

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