SG FLENSBURG-HANDEWITT

Jim Gottfridsson – der nimmermüde Anführer

Jim Gottfridsson – der nimmermüde Anführer

Jim Gottfridsson – der nimmermüde Anführer

Jannik Schappert/shz.de
Flensburg
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Jim Gottfridsson geht voran. Foto: Marcus Dewanger

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Der Schwede spielte eine Saison auf Weltklasse-Niveau und steht als Sinnbild für die Flensburger Moral.

Es ist die Geschichte eines Anführers, der niemals aufgibt. Nach der 29:33-Niederlage seiner SG Flensburg-Handewitt gegen Berlin stellt sich Jim Gottfridsson vor die Fernsehkameras und lädt die Schuld auf sich. „Es fühlt sich an, als hätte ich die Meisterschaft weggeschmissen“, sagt Gottfridsson ins Sky-Mikrofon. Anlass ist ein Fehlpass kurz vor Schluss, wie er jedem SG-Handballer hätte passieren können und in anderen Spielen passiert ist. 

 

Jim Gottfridsson nach dem Füchse-Spiel. Foto: Marcus Dewanger

Eine Woche später, Erlangen. Es steht 26:26, Flensburg muss gewinnen. Ansonsten platzt der Titeltraum vorzeitig. Gottfridsson hat den Ball, die Uhr tickt runter. Der 28 Jahre alte Schwede weiß, dass er den finalen Wurf ansetzen muss und dass er wieder scheitern könnte. Aber er duckt sich nicht weg – und trifft. Das allein demonstriert Gottfridssons Mentalität. 

 

Kopf, Motor und Seele der SG

Dass er in dieser Situation kaum laufen konnte, weil er noch kurz zuvor mit einem dicken Eisverband am linken Fuß hinter der Bank gelegen hatte und nur aufs Feld zurückkehrte, „weil ich gesehen habe, dass die Mitspieler leiden“, passt ins Bild. Danach wird bekannt, dass Gottfridsson schon einige Monate mit Schmerzen im Fuß spielt. Otto Normalverbraucher hätte längst die Beine hochgelegt, doch er biss sich mit dem Wissen durch, unverzichtbar zu sein. Gottfridsson ist Kopf, Motor und Seele der SG.

 

„Jim hat Handball verstanden“, meint Maik Machulla. Als er 2017 SG-Trainer wurde, setzte Machulla sich für eine langfristige Vertragsverlängerung des Schweden ein. Er war sich sicher: „Das Beste von Jim Gottfridsson haben wir noch lange nicht gesehen.“ 

War es in dieser Saison soweit? Gottfridsson, der ungerne über sich selbst spricht, meint lapidar:

Ich musste viele Entscheidungen treffen und viel spielen.

Jim Gottfridsson

 

  

Sehr viel – als einziger SG-Profi stand er in allen 52 Pflichtspielen auf der Platte. Gottfridsson traf so oft wie noch nie – mit wettbewerbsübergreifend 225 Toren war er nach Hampus Wanne zweitbester SG-Schütze – und gab mit Abstand die meisten Assists der Bundesliga. Seine Pässe auf Johannes Golla, nicht selten ohne Blickkontakt, sind hohe Handball-Kunst.

Im Dauereinsatz

Entgegen der Gewohnheit musste der 28-Jährige auch in der Abwehr auf der Halbposition ackern. „Dass ich dort das ganze Jahre gestanden habe, macht mich stolz“, sagt Gottfridsson, der bei der SG bis 2025 unter Vertrag steht.

Trotz der hohen Belastung – Flensburgs Vizekapitän führte ganz nebenbei das schwedische Nationalteam zu WM-Silber, zum Ticket für Olympia in Tokio und zur EM 2022 – „hatte ich nie das Gefühl, dass der Akku leer war“, sagt der Spielmacher. Nur die letzten Wochen seien „schwer für den Kopf“ gewesen. 

Damit hatte auch die Corona-Situation zu tun, die monatelang viel Kraft raubte. „Am liebsten will man das vergangene Jahr vergessen“, sagt Gottfridsson, fügt aber hinzu:

Sportlich natürlich nicht. Eine Saison mit acht Minuspunkten ist großartig – egal ob mit oder ohne Meisterschale. Wir haben tollen Handball gespielt.

Jim Gottfridsson

 

  

Entspannung in der Heimat

Gleich nach dem letzten Spiel gegen Balingen machte der Schwede sich mit seiner Tochter Nellie und seinem Sohn Milo auf den Weg in die Heimat – Familie und Freunde treffen, eine Woche durchschnaufen. Das soll auch Freundin Magdalena, die zu Hause in Handewitt blieb. „Ab nächste Woche wird es für sie heftig“, weiß Gottfridsson. 

Er bereitet sich dann mit der Nationalmannschaft auf Olympia vor. Schweden peilt eine Medaille an, eine hohe Belastung für den Flensburger Spielmacher ist vorprogrammiert, zumal im Anschluss direkt die neue Saison mit der SG ruft.

 

An einen Rückzug aus der Nationalmannschaft, wie ihn sich Machulla von Gottfridsson wünschen würde, denkt der Schwede aber nicht. „Ich bin noch unter 30. Aufzuhören ist kein Ziel für mich. Bis jetzt konnte ich immer volle Pulle gehen.“ Hundert Prozent – etwas anderes kann und kennt Gottfridsson nicht. So tickt er, der Anführer.

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