Extremismus

Razzia in «Reichsbürger»-Szene: Suche nach weiteren Spuren

Razzia in «Reichsbürger»-Szene: Suche nach weiteren Spuren

Razzia in «Reichsbürger»-Szene: Suche nach weiteren Spuren

dpa
Karlsruhe/Berlin
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Ein ziviles Polizeifahrzeug fährt aus der Außenstelle des Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Foto: Uli Deck/dpa

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Ein fast beispielloses Großaufgebot der Sicherheitsbehörden hat Personen aus der «Reichsbürger»-Szene festgenommen. Beweismaterial wurde gesichert. Gibt es noch versteckte Waffen?

Die Ermittlungsbehörden untersuchen nach der groß angelegten Anti-Terror-Razzia gegen die «Reichsbürger»-Szene Spuren zu möglichen weiteren Verdächtigen. Die Sicherheitsbehörden rechnen mit weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen. Bei den Ermittlungen wird auch geschaut, ob die Beschuldigten noch weitere Waffen versteckt haben. 23 der 25 Festgenommenen seien inzwischen in Untersuchungshaft, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft am Donnerstag. Wann die beiden im Ausland gefassten Männer den Ermittlungsrichtern vorgeführt werden, war zunächst unklar.

Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch bei einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte der Bundesrepublik in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System stürzen wollte. Bei den drei anderen geht es um Unterstützung. Bis auf eine Russin haben den Angaben zufolge alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Bundesanwaltschaft sprach zudem von 27 weiteren Beschuldigten.

Scholz: «Sehr schlimmer Vorfall»

Im Zusammenhang mit der Großrazzia kommentierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die mutmaßliche Beteiligung einer ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten mit scharfen Worten. Dass unter den Beschuldigten eine ehemalige AfD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages sei, «ist natürlich ein sehr bemerkenswerter und sehr schlimmer Vorfall», sagte Scholz am Donnerstagabend nach den Beratungen mit den Länderchefs im Kanzleramt. Scholz bezog sich dabei auf Birgit Malsack-Winkemann.

Welche Rolle spielt die AfD?

Nach der Großrazzia fordert SPD-Chef Lars Klingbeil Konsequenzen für die AfD. «Die AfD gehört flächendeckend auf die Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes und nicht in Parlamente, Gerichte oder den öffentlichen Dienst», sagte Klingbeil am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Razzia habe abermals eine enge Verbindung der gewaltbereiten rechtsextremen Szene mit der AfD gezeigt. «Das muss Konsequenzen haben.» Klingbeil nannte die AfD eine «offen verfassungsfeindliche Partei», die als «parlamentarische Schnittstelle für Hass, Hetze und Gewalt» agiere.

Unter den Festgenommenen ist die Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Gegen sie läuft inzwischen ein Disziplinarverfahren. Dies habe das Landgericht Berlin eingeleitet, sagte Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) am Donnerstag dem RBB-Inforadio. Als ehemalige Abgeordnete hatte Malsack-Winkemann - wie alle ausgeschiedenen Parlamentarier, die dies wünschen - Zugang zu den Gebäuden des Bundestages. Dem Bundesschiedsgericht der AfD gehört sie als Beisitzerin an. Die Festnahme habe «keine automatische Auswirkung auf Parteiämter», sagte Partei-Vize Stephan Brandner.

Mitarbeiter sollen besser überprüft werden

Im ARD-«Morgenmagazin» sprach sich der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, für eine genauere Überprüfung von Sicherheitskräften aus: Man müsse sich darauf verlassen können, «dass alle uneingeschränkt hinter der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen». Ähnlich äußerte sich der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, in den ARD-«Tagesthemen». Alle Personen, die in die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern aufgenommen werden, sollten überprüft werden.

Im BKA gebe es derartige Sicherheitsüberprüfungen schon lange, sagte Münch. Auch in vielen Landespolizeien sei das mittlerweile üblich. «Und ich denke, dass dort, wo es noch nicht gemacht wird, wir das auch in absehbarer Zeit einführen werden.» Die Arbeit lohne sich, da die Behörden so auch klarmachten, für welche Werte sie stünden.

Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht

BKA-Chef Münch hatte am Mittwochabend im ZDF-«heute journal» die Zahl von 54 Beschuldigten genannt und von mehr als 150 Durchsuchungen gesprochen. Er ging von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen in den nächsten Tagen aus. Bei rund 50 Objekten seien auch Waffen festgestellt worden, darunter auch einige aber zunächst doch wenige Schusswaffen. Den Obleuten des Innenausschusses des Bundestages war mitgeteilt worden, bei der Razzia seien zwei Langwaffen, eine Kurzwaffe sowie Schwerter- und Armbrüste, Schreckschuss- und Signalschusswaffen gefunden worden. Diese seien nur teilweise bei mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe gefunden worden, die eine waffenrechtliche Erlaubnis haben. Dem Vernehmen nach waren darunter auch Dienstwaffen.

Sicherheitsbehörden rechtfertigen Zeitpunkt des Zugriffs

Laut Haldenwang hatten die Sicherheitsbehörden die «Reichsbürger»-Gruppierung seit dem Frühjahr im Visier und einen recht klaren Überblick über deren Pläne. Diese seien dann immer konkreter geworden, und es seien Waffen beschafft worden, sagte er in einem ZDF-«Spezial». BKA-Chef Münch sagte, man habe mit dem Zugriff nicht bis zum letzten Moment warten, sondern genug Beweise sammeln wollen, dass es sich um eine terroristische Vereinigung handele.

Über den Zeitpunkt des offenkundig geplanten Umsturzversuchs gebe es zwar noch keine Klarheit, die Gruppe habe aber einen militärischen Arm, der Waffen beschaffe. «Da warten sie nicht bis zum letzten Augenblick», sagte Münch. Wenn das klar sei, heiße es: «Zuschlagen». Generalbundesanwalt Peter Frank sagte in einem ARD-«Brennpunkt»: «Wir gehen davon aus, dass die Personen in der Vereinigung fest entschlossen waren und auch sicher waren, etwas zu tun.»

Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte davor, die Gruppierung zu unterschätzen. Was sie so gefährlich mache, sei, «dass es einen militärischen Arm davon gab. Mit Menschen, die früher in der Bundeswehr waren, also auch mit Waffen umgehen können», sagte die SPD-Politikerin in der ARD-Sendung «Maischberger».

Gefahr durch «Reichsbürger» wird ernst genommen

«Reichsbürger» sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu.

Aus Sicht der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich unter anderem gegen Rechtsextremismus engagiert, wurde die «Reichsbürger»-Szene zu lange unterschätzt. Es habe in den vergangenen Jahren immer wieder deutliche Zeichen dafür gegeben, dass die Anhänger gewaltbereit seien und offenbar auch organisiert, sagte der für die Stiftung arbeitende Extremismusforscher Lorenz Blumenthaler der Deutschen Presse-Agentur. «Aber gerade in Sicherheitskreisen wurden die Gruppierungen oft verlacht und ihr enormes Gefahrenpotenzial trotz intensiver Warnungen der Zivilgesellschaft auf die leichte Schulter genommen.»

Spätestens seit den vereitelten Plänen zur Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im April stehe das Thema aber auch in der Politik weit oben auf der Agenda, sagte Blumenthaler. «Da lacht heute eigentlich keiner mehr.»

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