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Pflegekräfte fliehen massenhaft aus dem Job

Pflegekräfte fliehen massenhaft aus dem Job

Pflegekräfte fliehen massenhaft aus dem Job

dpa
Hannover
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Eine Pflegefachkraft mit einer Seniorenheim-Bewohnerin bei einem Spaziergang auf dem Flur. Foto: Sina Schuldt/dpa

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In der Corona-Pandemie bekamen sie Applaus: die Pflegekräfte. Aber bessere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen? Fehlanzeige. Viele Betroffene könnten jetzt daraus Konsequenzen ziehen.

Schlechte Bezahlung, hohe Belastung und zu wenig Zeit für alte Menschen: Viele Pflegekräfte in der Altenpflege in Deutschland wollen einer neuen Studie zufolge den Beruf aufgeben.

40 Prozent der Befragten erwögen, aus dem Beruf auszusteigen, sagte Bernadette Klapper, Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, am Donnerstag zu der gemeinsam mit dem Altenpflege-Fachverlag Vincentz Network initiierten Studie «Altenpflege im Fokus». «Das ist alarmierend. Wir brauchen eine Trendwende in der Altenpflege.»

Für die Studie wurden im August und September 2021 insgesamt 686 Beschäftigte in der stationären Pflege befragt. Gleichzeitig kritisierte die Bertelsmann Stiftung, wichtige Informationen zur Qualität von Pflegeheimen, etwa zum Personaleinsatz, seien zwar in allen Ländern vorhanden, blieben aber häufig unter Verschluss und würden Verbrauchern nicht zur Verfügung gestellt. Menschen, die auf der Suche nach einem Pflegeheim seien, würden so Informationen zu wesentlichen Auswahlkriterien vorenthalten.

Experten: Bis 2030 könnten rund 500.000 Pflegekräfte fehlen

Nach Angaben des Fachverlags errechneten Experten, dass rund 500.000 Pflegekräfte bis 2030 fehlen werden. 73 Prozent der Befragten meinten, der Personalmangel habe sich in den vergangenen zwei Jahren, also mitten in der Corona-Pandemie, verschärft. 2018 sagten dies noch 71 Prozent. 68 (2018: 60) Prozent urteilten, es werde immer schwerer, eine gute Pflege zu gewährleisten. Das hänge auch damit zusammen, dass zu wenig Zeit für die Bewohnerinnen und Bewohner bleibe, meinten 67 (2018: 65) Prozent der Befragten. 56 Prozent sagten, neue Regeln zur Qualitätsprüfung sorgten für mehr Bürokratie.

Die Beschäftigten trügen diese Sorgen nach Hause, denn mehr als jeder oder jede Zweite verspüre negative Auswirkungen auf das Familien- und Privatleben, ergab die Studie. Zusätzlich belasteten seit zwei Jahren die Herausforderungen und Auswirkungen der Corona-Pandemie. 96 Prozent der Befragten glaubten den Angaben zufolge nicht einmal, dass die Politik die Lage verstanden habe und bemüht sei, sie zu verbessern.

Insgesamt 67 Prozent der Befragten planen der Studie zufolge eine berufliche Veränderung - entweder per Höherqualifizierung in der Pflege (41 Prozent), Studium (14 Prozent) oder Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber (22 Prozent). Mehr Fachkräfte in der Altenpflege zu halten oder neu zu gewinnen kann nach Einschätzung von 90 Prozent der Befragten nur gelingen, wenn mehr Personal eingestellt werde. Gelinge es nicht, die Personalausstattung zu verbessern, lasse sich das vorhandene Personal nicht halten - und potenzielles zusätzliches Personal werde abgeschreckt.

Situtation wird besser bei besserer Bezahlung

Klapper forderte daraufhin ein ganzes Bündel an Maßnahmen - mehr Personal, bessere Gehälter und eine Reform der Pflegeversicherung. Der Studie zufolge gaben nur 8 Prozent der Befragten an, ihr Gehalt habe sich in den vergangenen zwei Jahren deutlich verbessert, 38 Prozent urteilten, die Lage in der Pflege werde sich erst verbessern, wenn Pflegekräfte besser bezahlt würden.

Prof. Herrmann Brandenburg, Inhaber des Lehrstuhls für gerontologische Pflege an der Hochschule Vallendar, betonte, das Problem sei nicht nur, dass Pflegekräfte zu wenig verdienten. Sie erlebten darüber hinaus das Dilemma eines Missverhältnisses zwischen dem, was sie unter guter Pflege verstünden, und der Tatsache, dass sie fremdbestimmt seien. Er kritisierte in dem Zusammenhang private Ketten auf dem deutschen Markt, dort gebe es oft Qualitätsprobleme. Der private Sektor müsse zurückgefahren werden, forderte er. Personalgewinnung im Ausland sei zudem ein «Armutszeugnis».

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der Deutschen Presse-Agentur, mehr als zwei Drittel der Altenpflegekräfte zweifelten daran, gute Pflege gewährleisten zu können. «Leidtragende dieser Misere sind 820.000 Pflegeheimbewohner und über eine Million Menschen, die zu Hause zusätzlich von einem ambulanten Dienst versorgt werden», so Brysch. Er forderte ein zukunftsfähiges und attraktives Konzept, um die Menschen im Beruf zu halten: «Auch muss klar sein, dass Pflegebedürftige im Gegensatz zu den Fachkräften ihrem Schicksal nicht entkommen können.»

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