Autobahnbau

Der Küstenautobahn A20 droht nach der Bundestagswahl das Aus

Der Küstenautobahn A20 droht nach der Bundestagswahl das Aus

Der Küstenautobahn A20 droht nach der Bundestagswahl das Aus

Henning Baethge/shz.de
Kiel/Berlin
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Der Weiterbau der Küstenautuobahn A20 wird von Klimaschützern, Naturschützern und den Grünen in Frage gestellt. Foto: Frank Söllner

Hohe Umweltbelastung, steigende Kosten – der politische Widerstand gegen das milliardenschwere Straßenbau-Projekt wächst.

Es sind nur zwei Jugendliche, zwei Plakate und ein Spruchband. „Moor und Wald statt Asphalt“ steht auf dem Transparent von Stefan Mester und Kira Valentin. Mit dem Slogan demonstrieren die beiden Mitglieder der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ im niedersächsischen Wiefelstede gegen das Fällen von 15 Eichen, die dem Bau der Küstenautobahn A 20 im Wege stehen. Ein kleiner Protest Anfang dieses Monats, der den Weg in die Lokalzeitung fand – doch er könnte der Vorbote sein für eine große Wende im jahrelangen Streit um Deutschlands größtes Autobahnprojekt: Nach der Bundestagswahl im September droht den Plänen für den 200 Kilometer langen A-20-Neubau zwischen Bad Segeberg und Westerstede das Aus.

Sind es bisher vor allem Naturschützer, die aus Sorge um Fledermäuse oder Zwergschwäne gegen die A 20 kämpfen und mit juristischen Klagen erreicht haben, dass noch kein einziger der 13 Bauabschnitte genehmigt ist, gesellen sich nun die jungen Klimaschützer hinzu. Sie wollen den Autobahnbau mit politischem Druck stoppen. „Die A 20 ist weder ökologisch noch ökonomisch die richtige Entscheidung“, sagt Jakob Blasel aus Kronshagen bei Kiel. Der Student ist neben Luisa Neubauer das prominenteste Gesicht von Fridays for Future in Deutschland. Er will für Schleswig-Holsteins Grüne in den Bundestag einziehen und macht nun wie seine Mitstreiter in Niedersachsen gegen die A 20 mobil.

Die Grünen drohen einen Teil ihrer Kernwählerschaft zu verlieren

Blasel kritisiert, dass allein durch die Abgase auf der neuen Autobahn jedes Jahr 50.000 Tonnen des klimaschädlichen Kohlendioxids zusätzlich in die Luft geblasen werden. Weitere 90.000 Tonnen entstehen aufs Jahr umgerechnet durch den Bau und Unterhalt der Autobahn. Das sind amtliche Zahlen aus dem Bundesverkehrswegeplan. Zudem rechnet Blasel vor, dass sich die A 20 enorm verteuert hat – von den im Verkehrswegeplan 2015 veranschlagten 3,7 Milliarden Euro auf mindestens 5,8 Milliarden, wenn nicht sogar sieben Milliarden. Das ergibt ein Gutachten von Fridays for Future und dem Umweltverband BUND. Selbst Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und seine Autobahn GmbH gehen inzwischen von fast fünf Milliarden Euro aus.„Die A 20 einfach weiter zu bauen, ist nicht drin“, resümiert Blasel. Er hält mehr vom Alternativ-Vorschlag der Grünen, der den Ausbau bestehender Bundesstraßen vorsieht und einen Elbtunnel bei Brunsbüttel statt bei Glückstadt.

Dass die jungen Klimaschützer Schlagkraft entfalten können, haben sie in Hessen gezeigt: Mit der Besetzung des Dannenröder Forsts konnten Aktivisten mehrerer Umweltgruppen zwar letztlich nicht das Roden der Bäume und den Weiterbau der A 49 verhindern. Doch haben sie bundesweit Schlagzeilen gemacht und Hessens Grüne mächtig in die Bredouille gebracht, allen voran deren Verkehrsminister Tarek Al-Wazir, der das Projekt im Auftrag des Bundes durchsetzen muss. „Die Grünen haben mal wieder gezeigt, dass echter Klimaschutz mit ihnen nicht zu machen ist“, bilanzierten die Besetzer nach der Räumung der Baumhäuser. Für die Ökopartei ist diese Kritik der Klimaschützer gefährlich – denn ihr droht so ein wichtiger Teil ihrer Kernwählerschaft verloren zu gehen. In Baden-Württemberg tritt bereits bei der Landtagswahl im März eine „Klimaliste“ an, die den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann womöglich entscheidende Stimmen zur Wiederwahl kostet. Dasselbe könnte den Grünen bald in Schleswig-Holstein oder ganz Deutschland blühen.

Die politische Frage, wie es mit der A 20 weitergeht, liegt in Berlin.

Andreas Tietze, Grünen-Landtagsabgeordneter in Kiel

Noch zeigen Al-Wazir und auch Schleswig-Holsteins Grüne gern auf den zuständigen Bund, wenn Kritik an den Autobahnprojekten laut wird. „Den Weiterbau der A 49 kann nur der Bundesverkehrsminister stoppen“, sagt Al-Wazir. Und der grüne Kieler Verkehrspolitiker Andreas Tietze erklärt: „Die politische Frage, wie es mit der A 20 weitergeht, liegt in Berlin.“ Doch geht es nach den Ambitionen der Grünen, werden sie diese Ausrede bald nicht mehr haben: Parteichef Robert Habeck und seine Ko-Vorsitzende Annalena Baerbock wollen selbst in Berlin regieren – am liebsten als stärkste Kraft. Angesichts der seit langem stabilen Umfragewerte von 18 bis 20 Prozent dürfte an den Grünen in der Tat bei der Regierungsbildung im Herbst kaum ein Weg vorbei führen. Aber dann kommt es bei den Koalitionsverhandlungen zum Schwur: Wie hältst du es mit dem Klimaschutz? Wie mit neuen Autobahnen? Und das werden diesmal keine Randfragen sein, sondern zentrale.

Jamaika schafft für keinen einzigen Kilometer der A 20 Baurecht

Einen Pflock hat die grüne Führungsspitze im Oktober schon eingeschlagen: Sie will sämtliche Autobahnprojekte nach der Bundestagswahl erst mal stoppen und auf den Prüfstand stellen. Habeck ergänzte, das gelte „auch für die noch nicht planfestgestellten Abschnitte der A 20“ – also alle. Denn selbst für den als erstes vorgesehenen Bau des Teilstücks zwischen dem geplanten Elbtunnel bei Glückstadt und der A 23 in Schleswig-Holstein rechnet die vom Bund beauftragte Projektfirma Deges frühestens 2022 mit einer Genehmigung – nicht zuletzt weil die obligatorische öffentliche Auslegung der Pläne wegen technischer Fehler gerade wiederholt werden muss und nun vier Monate länger dauert als gedacht. Das bedeutet voraussichtlich auch, dass die Kieler Jamaika-Koalition in ihrer Regierungszeit bis zum Frühjahr 2022 keinen einzigen Kilometer der A 20 fertig geplant haben wird. Was die CDU und die FDP ärgern wird, dürfte die Grünen heimlich freuen.

Zwar hat Habeck noch nicht endgültig den Daumen über der A 20 gesenkt, die er im Kieler Jamaika-Koalitionsvertrag als damaliger Landesumweltminister noch mitgetragen hat. Doch ob die Grünen nach der Bundestagswahl ausgerechnet Deutschlands umweltschädlichstes Autobahnprojekt fortsetzen wollen, ist sehr fraglich – egal mit welchem Koalitionspartner. Denn anders als in Hessen geht es nicht nur um ein paar Kilometer Autobahn durch den Wald, sondern um 200 Kilometer, die auf mehr als der Hälfte der Strecke durch wertvolles Moor- und Marschland führen, das für das Binden von Kohlendioxid wichtig ist.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Autobahnprojekte wie die A 20 unter einer grünen Regierung eine Zukunft haben werden.

Jakob Blasel, Fridays-for-Future-Aktivist und Grünen-Mitglied

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Autobahnprojekte wie die A 20 unter einer grünen Regierung eine Zukunft haben werden“, sagt daher Fridays-for-Future-Aktivist Blasel. Schleswig-Holsteins BUND-Chef Ole Eggers erklärt die Entscheidung über die A 20 zur „Nagelprobe grüner Politik“ und glaubt, dass die Grünen auch jeden ihrer möglichen Koalitionspartner schon deshalb von einem Verzicht auf die A 20 überzeugen könnten, weil das staatliche Haushaltsgeld in und nach der Corona-Krise für wichtigere Dinge benötigt werde als für eine teure Autobahn. Selbst das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ kam kürzlich in Sachen A 20 zu dem Urteil: „Nicht nur Grüne sagen: Diese Straße braucht kein Mensch.“

Kritik vom Unternehmensverband Unterelbe-Westküste

Anders sehen das naturgemäß die A-20-Befürworter. „Für die Anbindung der Westküste ist die A 20 eine Überlebensversicherung“, sagt Ken Blöcker, Chef des Unternehmensverbands Unterelbe-Westküste. Ohne die Autobahn würden der Wirtschaft in der Randlage Schleswig-Holsteins „die Perspektiven genommen, um neue Märkte zu erschließen, attraktive Neuansiedelungen zu realisieren und Fachkräfte zu gewinnen“. Blöcker fragt sich, „ob die Grünen wirklich ein Projekt stoppen wollen, das von der Mehrheit der Arbeitnehmer und den Arbeitgebern gewollt ist“. Und er warnt die Ökopartei, nur auf die Klimaschützer zu hören: „Wenn die Grünen die Mehrheit der Wählerstimmen anstreben, dann sollte Sie ihr Ohr auch näher an den Argumenten und der Stimmung der Mehrheit haben.“

Wollen die Grünen wirklich ein Projekt stoppen, das von der Mehrheit der Arbeitnehmer und den Arbeitgebern gewollt ist?“

Ken Blöcker, Chef des Unternehmensverbands Unterelbe-Westküste

Ähnlich sieht man es im Ressort des schleswig-holsteinischen FDP-Verkehrsministers Bernd Buchholz. „Gerade vor Ort ist die Erwartung groß, dass die A 20 bald kommt, um die Verkehre zu entzerren und die Belastung zu senken“, sagt Buchholz‘ Staatssekretär Thilo Rohlfs. Er sei daher „sehr zuversichtlich, dass deshalb auch die Grünen die Notwendigkeit der A 20 sehen und sie weitergebaut wird“. Buchholz selbst hatte auf Habecks Ankündigung einer Überprüfung des A-20-Baus bereits im Oktober mit einer klaren Kampfansage für die Bundestagswahl reagiert: „Es ist gut“, hatte er gewettert, „dass jetzt jeder weiß, was mit der deutschen Wirtschaft passiert, wenn man grün wählt“. 

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