Rassismus-Vorwurf

Grünen-Chef verteidigt Verfahren gegen Palmer

Grünen-Chef verteidigt Verfahren gegen Palmer

Grünen-Chef verteidigt Verfahren gegen Palmer

dpa
Berlin
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Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer steht nach seinem Kommentar massiv in der Kritik. Foto: Marijan Murat/dpa

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Auch Grünen-Chef Robert Habeck wertet die Facebook-Äußerungen des Tübinger Oberbürgermeisters als «rassistisch und beleidigend». Parteienforscher sind skeptisch, ob sich die Partei mit dem eingeleiteten Ausschlussverfahren einen Gefallen getan hat.

Grünen-Chef Robert Habeck hat das Parteiausschlussverfahren gegen seinen Parteikollegen und Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer als «unvermeidlich» bezeichnet.

Die Sätze, die Palmer am Freitag auf seiner Facebook-Seite gepostet habe, seien «beleidigend und rassistisch» und «eines Oberbürgermeisters ungehörig», sagte Habeck am Montag bei einer Pressekonferenz. Palmer selbst versicherte, er habe mit seinem Posting keine Aufmerksamkeit erhaschen wollen und das Ausmaß der Empörung unterschätzt. Parteienforscher sehen das angestrengte Ausschlussverfahren zum Teil skeptisch.

Die Grünen werfen Palmer Rassismus vor wegen einer bei Facebook geposteten Aussage über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, und wollen ihn aus der Partei schmeißen. Mit einer Dreiviertelmehrheit hatte der Landesparteitag am Wochenende für ein Ausschlussverfahren gegen Palmer gestimmt.

Auch für die Parteiführung sei es ein unerfreuliches Wochenende gewesen, erklärte Habeck. «Es wäre super gewesen, Boris hätte einfach geschwiegen», sagte der Grünen-Chef, der Palmer auch persönlich gut kennt. Er habe bislang keine Entschuldigung gehört. In der Vergangenheit habe es immer wieder Versuche gegeben, Konflikte mit dem Tübinger Oberbürgermeister über Gespräche zu lösen. Auch dieses Mal sei das so gewesen. «Es wurden viele Worte gewechselt und viele Hände immer wieder ausgestreckt.» Nun gelte es aber, die Entscheidung der Schiedsgerichte abzuwarten; es sei ein geordnetes Verfahren eingeleitet worden.

Bereits am Samstag hatte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock den Facebook-Post von Palmer verurteilt und das Ausschlussverfahren, über das kurz darauf informiert wurde, gewissermaßen angekündigt. «Die Äußerung von Boris Palmer ist rassistisch und abstoßend. Sich nachträglich auf Ironie zu berufen, macht es nicht ungeschehen. Das Ganze reiht sich ein in immer neue Provokationen, die Menschen ausgrenzen und verletzen. Boris Palmer hat deshalb unsere politische Unterstützung verloren. Nach dem erneuten Vorfall beraten unsere Landes- und Bundesgremien über die entsprechenden Konsequenzen, inklusive Ausschlussverfahren», schrieb Baerbock.

Wie lange das Verfahren gegen Palmer dauern könnte, könne er nicht einschätzen, sagte Habeck am Montag. Das hänge davon ab, wie viele Instanzen nun angerufen würden. Zur Beurteilung des Facebook-Postings sagte Habeck, dass er davon ausgehe, dass «das ordinäre Zitat» nun wohl in den seit längerem anhaltenden Konflikt mit Palmer eingebettet werde.

Palmer selbst hat mittlerweile zumindest teilweise einen Fehler eingeräumt. «Natürlich wäre es wohl gescheiter gewesen, es gar nicht zu posten», sagte Palmer der «Bild»-Zeitung. Gleichzeitig wehrte er sich gegen «Ausgrenzung und Denunziation». Teile der politischen Führung der Partei hätten «sich der linken Identitätspolitik verschrieben», erklärte Palmer. Sein Facebook-Post sei kein Kalkül gewesen. «Ich hatte keine Ahnung, welches Erdbeben ich da mal wieder auslöse.» Er habe damit «einem meiner langjährigen innerparteilichen Gegner» zu verstehen geben wollen, wie absurd er seine konstruierten Rassismusvorwürfe finde. «Gewissermaßen pädagogische Satire.» Er hätte sich aber denken müssen, «was der daraus machen würde», schrieb Palmer.

Mehrere Experten äußerten sich am Montag skeptisch zu den Erfolgschancen des Ausschlussverfahrens. Der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith vermutet, dass der Schritt für die Grünen im Wahljahr gar nach hinten losgehen könnte. Über Monate werde jetzt immer wieder die Debatte um die umstrittenen Äußerungen Palmers und somit Parteiinterna in den Mittelpunkt gerückt, sagte Eith am Montag der Deutschen Presse-Agentur. «Das lenkt von dem ab, um was es den Grünen jetzt im Wahlkampf gehen muss: Bürger überzeugen und Lösungen für die drängenden Zukunftsfragen zu finden.»

Aus Sicht des Parteienforschers Nils Diederich wäre ein inhaltlicher Streit auch zielführender gewesen als ein «administrativer Hammer». Es sei aber auch möglich, dass die Sache bis zur Bundestagswahl Ende September vergessen sei, sagte Diederich. «Es sei denn natürlich, die ganze Geschichte zieht sich bis kurz vor den Wahltag.»

Die Südwest-Grünen rechnen damit, dass das Verfahren zwischen drei und sechs Monate dauern könnte. Zum möglichen Ausgang sagte Palmer der «Bild»: «Ich bin sicher, dass mich das Schiedsgericht freisprechen wird. Mir werden ja Vorwürfe gemacht, die meine Absichten in ihr Gegenteil verkehren.» Um das zu klären, habe auch er sich für dieses Verfahren ausgesprochen.

Anders als andere Experten räumt die Düsseldorfer Parteienforscherin Sophie Schönberger dem Ausschlussverfahren durchaus gute Erfolgschancen ein - angesichts des Inhalts der Äußerung, um die es geht, und der exponierten Stellung Palmers. Allerdings gebe es bisher kaum Fälle, in denen die Grünen Mitglieder aufgrund öffentlicher Äußerungen ausgeschlossen haben, «so dass kein allzu großer Erfahrungsschatz in Bezug auf die Praxis der Schiedsgerichte besteht», erklärte Schönberger.

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