Schulwesen

Gemeinschaftsschulen: Kein Platz für fast 1000 Kinder in SH

Gemeinschaftsschulen: Kein Platz für fast 1000 Kinder in SH

Gemeinschaftsschulen: Kein Platz für fast 1000 Kinder in SH

Frank Jung/shz.de
Kiel
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Viele Wege führen zum Abitur: Es geht auch an Gemeinschaftsschulen, wenn sie eine Oberstufe haben. Foto: Jens Büttner

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Obwohl ein Wettbewerbsvorteil ausläuft, sind Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe bei Neuanmeldungen stark überbucht.

Sie sind die Verlierer des Anmeldeverfahrens für die weiterführenden Schulen zum nächsten Schuljahr ab August: Knapp 1000 Kinder haben keinen Platz an einer Gemeinschaftsschule mit Oberstufe erhalten. 5413 hatten sich um diesen im Vergleich zum Gymnasium etwas softeren Weg zum Abitur beworben – nur 4486 wurden aufgenommen. 299 mehr als vor einem Jahr. 

Das geht aus der landesweiten Anmeldestatistik hervor, die das Bildungsministerium jetzt veröffentlicht hat. Die Kapazitäten der nachgefragten Standorte hätten nicht mehr hergegeben, heißt es zur Begründung.

Gymnasien stellen auch aufs Langsam-Abi um 

Insgesamt wechseln landesweit 23.327 Viertklässler auf die weiterführenden Schulen verschiedener Art. Beobachter sehen den anhaltenden Nachfrageüberhang nicht ohne Überraschung: Denn ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil der landesweit 44 Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe fällt weg. Bisher garantierten allein sie den langsameren Weg zum Abitur nach 13 Schuljahren. An den Gymnasien hingegen war in der Regel das Turbo-Abi nach zwölf Jahren Pflicht. Zum nächsten Schuljahr stellen die Gymnasien jedoch flächendeckend auf das Abitur nach 13 Jahren um. Das war eines der wichtigsten Wahlversprechen der CDU. 

Einigen Eltern ist das Gymnasium vom Duktus her vielleicht zu streng, deshalb wählen sie dann lieber eine Gemeinschaftsschule für den Weg zum Abitur

Volker Nötzold, Landeselternbeirat für Grundschulen

 

„Die Dauer der Beschulung ist nicht der einzige Unterschied zwischen Gymnasium und Gemeinschaftsschule mit Oberstufe“, sucht der Vorsitzende des Landeselternbeirats für Grundschulen, Volker Nötzold, nach einer Erklärung für das Anmeldeverhalten. „Einigen Eltern von Viertklässlern ist das Gymnasium vom Duktus her vielleicht zu streng, deshalb wählen sie dann lieber eine Gemeinschaftsschule für den Weg zum Abitur.“ 

Und bei Kandidaten, deren Abi-Potenzial noch nicht ganz sicher erscheine, biete der Schultyp alle Optionen: vielleicht nur den ersten oder mittleren Schulabschluss – oder, wenn es besonders gut läuft, vielleicht doch die Hochschulreife. Ohne nach dem mittleren Schulabschluss noch mal den Standort zu wechseln. So, wie man es müsste, wenn man dann nach der zehnten Klasse einer der 181 Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe an ein reguläres Gymnasium oder an ein Berufliches Gymnasium wechseln will.

Wo besonders viele in die Röhre gucken 

Bei besonderer Beliebtheit stechen nicht bestimmte Kreise, sondern stets einzelne Standorte hervor. Besonders überbucht waren etwa die Gemeinschaftsschule Faldera in Neumünster mit 152 Anmeldungen und 92 Aufnahmen, die Geschwister-Prenski-Schule in Lübeck (152 Anmeldungen, 92 Aufnahmen), die Toni-Jensen-Schule in Kiel (140 zu 92), die Alfred-Nobel-Schule Geesthacht (182 zu 94), die Gebrüder-Humboldt Schule in Wedel (137 zu 96), die Ida-Ehre-Schule in Bad Oldesloe (151 zu 95) oder die Willy-Brandt-Schule in Norderstedt (140 zu 96). 

Gymnasiallehrer äußern Zweifel am Niveau 

Der Philologenverband, die Interessenvertretung der Gymnasiallehrer, beäugt die Tendenz kritisch. „In vielen Fällen ist die hohe Nachfrage auch der geografischen Lage der neueren Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe geschuldet“, sagt Verbandssprecher Walter Tetzloff. Er denkt an Standorte wie Schönberg (Kreis Plön) oder Ratekau (Kreis Ostholstein) im ländlichen Raum. Schulen dort seien daher für einige Familien leichter erreichbar als die Gymnasien in der nächstgrößeren Stadt. 

Zudem gibt Tetzloff zu bedenken, dass an Gemeinschaftsschulen nach wie vor keine Pflicht zu einer zweiten Fremdsprache bestehe – anders als am Gymnasium. Auch was andere Inhalte angeht, ist sich der Philologenverband nicht sicher, ob Gemeinschaftsschulen teilweise das Niveau absenken und dies einige Eltern ködert. Die Gemeinschaftsschulen hätten schließlich „ein Interesse, ihre Oberstufen auch mit der notwendigen Schülerzahl auszulasten“, so Tetzloff. „Dies kann zu einer Senkung der Ansprüche führen.“ 

Vorgabe von Mindestschülerzahl kaum erfüllt

Es sei bekannt, dass einige bestehende Oberstufen an Gemeinschaftsschulen nicht sehr ausgelastet seien und kaum die Vorgabe der Mindestschülerzahl erfüllten. „Es besteht für die Gymnasien jedenfalls keinerlei Notwendigkeit, auf die derzeitigen Anmeldezahlen mit einer wie auch immer ausgerichteten Ermäßigungspädagogik zu reagieren.“ 

Vielen, denen nach der Grundschule nur der mittlere Bildungsabschluss zugetraut wurde, gelingt an Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe das Abitur

Astrid Henke, Vorsitzende Gewerkschaft & Wissenschaft

 

Für die Gewerkschaft Erziehung & Wissenschaft (GEW) ist „die große Nachfrage nach Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe nicht überraschend“, so Vorsitzende Astrid Henke. „Sie bieten ganzheitliche Konzepte. Sie verfügen über umfassende Erfahrungen im Umgang mit einer vielfältigen Schülerschaft und individueller Förderung. Immer mehr Eltern wissen das zu schätzen.“ Besonders attraktiv mache diesen Typ, dass er Schüler zu allen Abschlüssen führen könne. „Vielen, denen nach der Grundschule nur der mittlere Bildungsabschluss zugetraut wurde, gelingt an Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe das Abitur.“ 

Koalitionsvertrag schließt neue Standorte so gut wie aus 

Bildungsministerin Karin Prien (CDU) kommentiert den Nachfrageüberhang der Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe mit den Worten: „Viele Eltern wählen diese Möglichkeit für ihr Kind, weil sie überzeugt sind vom pädagogischen Angebot dieser Schulart und ihrem Umgang mit einer heterogenen Schülerschaft.“ Trotz der weiter hohen Beliebtheit sieht die Ministerin aber keinen Anlass, weitere Oberstufen zu genehmigen. Das hat das Jamaika-Bündnis in seinem Koalitionsvertrag von 2017 auf Initiative von CDU und FDP auch so gut wie

Kriterien für neue Oberstufen 

 

Will ein kommunaler Schulträger mit seinem Antrag auf eine neue Oberstufe beim Bildungsministerium Erfolg haben, gelten hohe Anforderungen. Grundlage ist die Schulentwicklungsplanung des betroffenen Kreises sowie des Schulträgers. Sie bilden die Basis der zu erwartenden Schülerzahl einer Oberstufe. Hinzu kommen für die Prognose drei Jahre zurück die Schülerzahlen der zehnten Jahrgänge der antragstellenden Schule und für den jeweiligen ganzen Kreis der Anteil der Zehntklässler, die bisher Oberstufen eines Gymnasiums, einer Gemeinschaftsschule oder eines Beruflichen Gymnasiums besucht haben. Mit berücksichtigt werden die prognostizierten Übergangszahlen aller Klassen der antragstellenden Schule. Und mit maßgebend ist auch die Zahl der absehbaren Schulwechsler der umliegenden Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe in eine Klasse 11 einer neu zu genehmigten Oberstufe.

 

Die beiden Parteien wollen damit eine Schwächung des Gymnasiums vermeiden. Die erste Entscheidung zu neuen Oberstufen treffe ohnehin der örtliche Schulträger, lehnt sich das Prien-Ressort, gefragt zur aktuellen Situation, zurück. Die jeweilige Kommune könne dann beim Bildungsministerium einen Antrag stellen. Derzeit liege keiner vor. Und wenn einer kommt, setzt das Schulgesetz hohe Hürden, damit er durchkommt. 

Wo Eltern das eigentliche Problem sehen 

Für Elternvertreter Volker Nötzold liegt „das eigentliche Problem“ des Nachfrageüberhangs darin, dass dadurch zu viele Abgewiesene ihr Glück auf dem Gymnasium probieren – aber mangels Erfolg später auf Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe wechseln. „Solche Schrägversetzungen schaden allen“, sagt Nötzold. „Sie belasten die betroffenen Schüler und auch die Lerngruppen-Zusammensetzung der Schüler, die schon an den Gemeinschaftsschulen sind.“

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