Kollektiv afrodeutscher Frauen

Ein wichtiges Thema: Schwarze Geschichte in Deutschland

Ein wichtiges Thema: Schwarze Geschichte in Deutschland

Ein wichtiges Thema: Schwarze Geschichte in Deutschland

Lea Pook/shz.de
Hamburg
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Marissa (ganz links im Bild) hat mit ihren Freundinnen den Verein KOA - Kollektiv afrodeutscher Frauen* gegründet. Foto: KOA - Kollektiv afrodeutscher Frauen*

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Zum Black History Month erzählt Marissa von Empowerment und warum wir über Kolonialismus reden sollten.

Marissa Zavazava aus Kiel ist 26 Jahre alt und Vorständin vom KOA, dem Kollektiv afrodeutscher Frauen*. Anlässlich des Black History Months, der alljährlich im Februar stattfindet, habe ich mit ihr über ihre Arbeit und die Bedeutung Schwarzer Geschichte in Deutschland gesprochen.

Was genau ist das KOA – das Kollektiv afrodeutscher Frauen*?

Wir haben uns vor zwei Jahren im November 2019 gegründet und waren am Anfang nur drei Schwarze Freundinnen. Dann haben wir einen Verein gegründet und mittlerweile sind wir über 60 aktive Frauen im Alter von 16 bis 35 Jahren in Kiel.

Foto: KOA, dem Kollektiv afrodeutscher Frauen*

Was hat euch dazu veranlasst, den Verein zu gründen?

Wir haben uns mal unterhalten und gemerkt, dass wir ganz ähnliche Lebensrealitäten hatten. Außer unserer Kernfamilie hatten wir keine anderen Schwarzen Menschen oder Freund*innen und deshalb sehr viel Gesprächsbedarf. Am Anfang haben wir ganz viel über Rassismuserfahrungen gesprochen und wie man damit umgeht. Es war ein cooles Gefühl auf einmal Schwarze Freundinnen im eigenen Alter zu haben, die ähnliche Dinge erlebt haben, wie man selbst. Und daraus entstand die Idee, dass wir uns öfter treffen, uns vernetzen und mehr Menschen einladen möchten.

Was macht der Verein so für Sachen?

Wir verstehen uns in zweierlei Hinsicht: Einmal schaffen wir uns einen eigenen Raum, in dem es um Empowerment geht. Wir treffen uns einmal im Monat mit unseren Mitgliedern und besprechen Themen – zum Beispiel im Rahmen eines Book-Clubs, bei dem wir uns Bücher Schwarzer Autor*innen vorstellen. Wir kommen in Austausch und geben uns gegenseitig Impulse.

Und zum anderen machen wir viele bildungspolitische Veranstaltungen. 2019 gab es unsere allererste große Veranstaltung: die „Homestory Deutschland“, eine Ausstellung, die Schwarze Menschen in und aus Deutschland portraitierte – ein ziemlich großer Erfolg. Anfang 2020 haben wir dann den Black History Month veranstaltet, zudem halten wir Vorträge zu antischwarzem Rassismus, gehen auf Podiumsdiskussionen und hatten im letzten Jahr zum Tag der deutschen Einheit unser aktuellstes Projekt „Stolperbrocken“.

Foto: KOA, dem Kollektiv afrodeutscher Frauen*

Der Black History Month wird alljährlich im Februar zelebriert. Was genau kann man darunter verstehen?

Der Black History Month ist ursprünglich aus den USA gekommen und wurde hier in den 90ern durch die ISD, die Initiative Schwarzer Deutscher, etabliert. Für mich hat er zwei Aspekte: Zum einen Selbstempowerment. Wir freuen uns jedes Jahr tierisch auf den Februar, weil das die Zeit ist, in der in ganz Deutschland super viele Veranstaltungen stattfinden, bei denen Schwarze Menschen und ihre Geschichte im Fokus stehen.

Und der zweite Punkt ist einfach, dass unsere Lebensrealität in diesem Monat in den Fokus rückt, wo er sonst nie ist. Weiße Menschen bekommen dann mit: Es gibt Schwarzes Leben in Deutschland nicht erst seit zehn, 20 oder 30 Jahren, sondern tatsächlich schon seit Jahrhunderten und wir haben die Geschichte von diesem Land mitgeschrieben – wir sind Teil davon. Vielen ist das glaube ich nicht bewusst. Schwarze Menschen kommen in Deutschland, wenn überhaupt, frühestens in den 60ern vor. Aber eigentlich eher gar nicht.

Es kritisieren ja auch viele Leute, dass die Geschichte des deutschen Kolonialismus nicht in der Schule gelehrt wird. Ist das für euch auch ein Thema?

Ja, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Einer, den wir ganz oft besprechen, aber wir machen das bei KOA nicht zum Hauptthema, weil wir keine Historikerinnen sind. Trotzdem ist es wichtig, darüber zu sprechen. Momentan kommt der Kolonialismus im Geschichtsunterricht nicht vor und Deutschland wird darin, wenn überhaupt, nur eine ganz kleine Rolle zugeschrieben – und das stimmt einfach nicht. Wir möchten daran etwas ändern. Wenn wir zu Gesprächen mit der Politik eingeladen werden, ist das immer an oberster Stelle.

Und was glaubst du ist der Grund? Warum lernt man in deutschen Geschichtsbüchern so wenig über die Schwarze deutsche Geschichte und über die Kolonialzeit?

Ich glaube, dass in Deutschland die Schuld nach 1945 vieles überlagert. Es ist extrem wichtig, dass Nationalsozialismus und Holocaust so intensiv behandelt werden. Trotzdem muss daneben noch Platz sein für zum Beispiel die Völkermorde [1904 und 1908 an den Herero und Nama in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika Anm. der Redaktion], die Deutschland in der Kolonialzeit begangen hat. Ich glaube, dass es da ein Verdrängen gibt. Um den Holocaust kommt niemand drum herum, er hat auch hier in Deutschland stattgefunden. Aber Afrika ist halt weit weg, warum damit beschäftigen?

Und ich glaube, dass Schwarze Deutsche immer noch nicht als Deutsche gesehen werden. Es wird immer noch so getan, als ob Schwarze Menschen fremd sind in diesem Land. Und warum über Fremdes sprechen? Zudem hat Schwarzes Leben auch einfach nicht denselben Stellenwert wie weißes Leben – das ist Rassismus in seinem Kern – internalisiert und auch strukturell.

Für uns gibt es aber keinen Grund, der es rechtfertigt, nicht über die Kolonialzeit zu sprechen.

Und habt ihr in eurer Arbeit manchmal das Gefühl, mit rassistischen Reaktionen kämpfen zu müssen?

Naja, wir werden oft gefragt: Warum ist euer Raum nur für Schwarze Frauen und Mädchen? Da erfahren wir oft Unverständnis.

Die Menschen fühlen sich ausgeschlossen?

Ja tatsächlich, weiße Menschen oder auch Männer fühlen sich dann ausgeschlossen und sagen: Wir wollen auch in diesen Raum, ihr habt doch gar keinen Grund euch selbst und nur alleine zu organisieren und zu treffen. Und da muss man ganz klar sagen: Es ist für uns halt ein safer space – ein Raum, wo wir uns austauschen können mit unseren Lebensrealitäten, ohne, dass wir Gefahr laufen, dass es uns jemand abspricht. Es ist super wichtig, dass man diese Räume haben kann und darf.

Und wie blickst du dieses Jahr auf den Februar?

Die Pandemie hat auch bei uns ziemlich viel durcheinandergebracht. Wir hatten uns dieses Jahr dazu entschieden, nichts zu machen zum Black History Month. Ich sehe aber in ganz vielen anderen Städten, dass viel gemacht wurde, deswegen bin ich eigentlich ganz positiv gestimmt.

In deiner persönlichen Utopie, wenn die nächsten Jahrzehnte alles richtig gut läuft, wie stellst du dir eine ideale Geschichtsvermittlung vor? Welche Inhalte werden wo und von wem vermittelt?

Für mich fängt alles in der Schule an. Für alle, nicht nur für Abiturient*innen, muss ein Geschichtsbewusstsein über diese Themen entstehen. Und auch Straßenumbenennung sind ein großer Aspekt. In unserer Stadt gibt es so viele Straßennamen, die jemanden glorifizieren, der ein Rassist war. Die müssen alle umbenannt und mit Gedenktafeln versehen werden, auf denen erklärt wird, wieso. Das wünsche ich mir für ganz Deutschland, nicht nur für Schleswig-Holstein.

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