Kultur im Grenzland

Debatte um die Lage der Künstler an der Grenze

Debatte um die Lage der Künstler an der Grenze

Debatte um die Lage der Künstler an der Grenze

Antje Walther/shz.de
Flensburg
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Lange nicht gehört: Abschlusskonzert von Folk-Baltica in Sankt Marien in Flensburg im Mai 2019. Foto: Marcus Dewanger

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Robert Habeck (Grüne) und der Musiker Harald Haugaard vergleichen in der Zoom-Debatte die Lage der Künstler in ihren Ländern und hoffen auf die App Luca.

„Mir sind gerade die Tränen gekommen“, sagt Robert Habeck nach anderthalb Minuten Aufzeichnung des letzten Folk-Baltica-Konzerts vom Mai 2019 in St. Marien in Flensburg. Musik muss sein in dieser online-Veranstaltung, in die sich mitunter fast 100 Gäste eingewählt haben. „Kultur schafft Identität und Gemeinschaft“, sagt Habecks dänischer „Duettpartner“ Harald Haugaard.

Das mindestens doppeldeutige Thema an diesem Freitagabend heißt „Kultur an der Grenze“. Torge Korff, der eigentlich das Kulturbüro der Stadt Flensburg leitet, aber derzeit das Team im Gesundheitsamt verstärkt, moderiert die Diskussion. Im Hintergrund an der Wand hängen Instrumente; Korff macht privat selbst Musik.

Bedeutung der Kultur wird in beiden Ländern unterschätzt

Zunächst arbeitet er eine Reihe Parallelen der Gesprächspartner heraus. Sowohl der Bundesvorsitzende der Grünen als auch der künstlerische Leiter des Flensburger Festivals Folk-Baltica sind eng mit dem jeweiligen Nachbarland verbandelt. „Ich mag Deutschland, das ist für mich ein Kulturland“, sagt der Musiker Harald Haugaard, der seit bald 25 Jahren hierzulande Konzerte gibt. Dänisch hyggelig ist sein Zuhause-Hintergrund mit beeindruckendem Großgemälde des Künstlers Allan Herrik.

Robert Habeck sitzt vor neutral weißer Wand. Er verbindet mit Dänemark ein besonderes Lebensgefühl und hat nicht nur in verschiedenen Städten dort gewohnt und studiert, man könnte ihn sogar zur Dänischen Minderheit zählen.

Harald Haugaard (links) und Robert Habeck haben über Kultur an der Grenze diskutiert. Foto: Veranstalter

Auch in ihrer Bewertung, dass in diesen Pandemiezeiten die ökonomische Kraft der Kultur und ihre Rolle als Raum, in dem sich Gesellschaften austauschen, nicht erkannt (Habeck) und Kultur nicht als das Notwendige gesehen werde (Haugaard) - und zwar in allen Ländern - sind sich die beiden Gesprächspartner einig.

Die Vielfältigkeit des Grenzlands ist ein gefundenes Fressen für das Kulturhappening.

Harald Haugaard, künstlerischer Leiter von Folk-Baltica seit 2012

Über die Unterschiede in der Kulturförderung – Hauggaard fehle etwas der Fokus in Dänemark – kommt der Politiker Habeck auf den Föderalismus und Geschichte zu sprechen. Kunst und Kultur sei bei den Nationalsozialisten der Zugang in die Köpfe der Menschen gewesen. Kunst und Kultur waren und sind oft Konfliktstoff wie auch Bindeglied. Fürs Grenzland gibt der Grüne das Stichwort „gelebte Völkerverständigung“, gerade über kulturellen Austausch.

Was passt da besser, als der Gedanke ans Folk-Baltica-Ensemble, das der künstlerische Leiter des Folk-Fests mit 50 jungen Musikern aus Deutschland und Dänemark initiiert hat. Verstehen und den Horizont erweitern, geht nicht nur mit Konzerten, sagt der passionierte Geiger. Über die Stücke von Fanö oder Föhr lernen sie auch die Geschichte der Region kennen, begründet Haugaard. Und die Vielfältigkeit der Grenzregion sei „ein gefundenes Fressen für ein Kulturhappening“, meint der Däne und fragt, ob man das so sagen kann.

Harald Haugaard in seinem Element - und hier mit Erik Rydvall, dem Hauskünstler von 2019. Foto: Michael Staudt

Die Diskutanten thematisieren die Herausforderung der Veränderung, wenn der Alltag nicht mehr Alltag ist, und die neue Sichtbarkeit der Grenze. Und natürlich auch die Zeit nach der Pandemie.

„Es ist die Aufgabe für Kulturschaffende und Politiker, kreativ zu sein und nicht nur zu verwalten und kontrollieren, sondern auch zu stimulieren“, findet Harald Haugaard. Online gebe es Möglichkeiten, doch auch wenn er diese selbst nutze, seien die Menschen müde von online und denkt der Däne doch eher ans Schaffen von Büchern, Bildern, Kompositionen, für die diese Zeit genutzt werden sollte. Dann werde es einen „Reichtum an Werken geben“, sagt er voraus und: „Musik wird schöner klingen als zuvor.“

Entlarvendes Verständnis von Künstlern und Kunst bei Politikern

Davon ist auch Robert Habeck überzeugt und muss für seine Zunft eingestehen, dass die Pandemie entlarve, wie wenig Politiker von Kulturschaffenden wissen und daher Förderungen zur Überbrückung der Krise an vielen vorbeigehe. Von Hilfen zu profitieren, sei aber auch in Dänemark, abgesehen von der „Aktivitätsförderung“, lange schwierig gewesen, erwidert Haugaard und kennt viele freischaffende Künstler, die ihre Instrumente verkauft haben und Pädagogen geworden sind zum Beispiel.

Ein Lockdown, beobachtet er, befördert „Angst, Unruhe, auch Polarisierung“. Und genau da heraus helfe die Bewegung, die Dynamik der Kunst, glaubt der Musiker. Er wünscht sich daher „Förderung von Kultur in der Wieder-Start-Phase“.

Die App Luca wäre ein Schlüssel, und eine differenzierte Strategie wäre möglich.

Robert Habeck, Bundesvorsitzender Bündnis 90/ Die Grünen

Ein Pastor im Publikum möchte wissen, was die Kirche zu einem Neustart beitragen kann. „Lesungen, Ausstellungen, Konzerte ermöglichen“, antwortet Harald Haugaard spontan, um den Menschen Hoffnung wiederzugeben.

Ein anderer Zuschauer hofft, dass Folk-Baltica in diesem Jahr stattfinden kann und fragt sich und die anderen, wie der Stellenwert von Kultur hergestellt werden soll.

Habeck erläutert den kulturellen Lockdown damit, dass allein die Mobilität und so die Zahl der Kontakte minimiert werden sollte. Und wieder werde ein verräterisches Verständnis von Kultur entlarvt als „das Angenehme“, aber nicht „das Notwendige“.

App Luca in Flensburg noch nicht verfügbar

Ein Dreiklang könnte der Weg aus der Krise sein, sagt der Grünen-Vorsitzende und zählt auf: Impfen, Testen, Luca. Letztere(r) ist eine App, und die „kann alles“, sagt Robert Habeck. Digital, individuell und verschlüsselt werden Kontaktdaten erfasst und im Falle des Falles lückenlos Infektionsketten zurückverfolgt. Fun Fact: Sie komme aus dem Umfeld einer Band, den Fanta Vier. „Sie wäre ein Schlüssel“ und würde eine differenzierte Strategie möglich machen.

Allerdings funktioniere sie nur, wenn das lokale Gesundheitsamt die App installiert hat, weiß Moderator Torge Korff. Die Anfrage auf der Website der App verrät: Für die Flensburger Postleitzahlen gilt das noch nicht.

Mal wieder was gemeinsam machen, sagt Habeck, wäre gut und regt ein Treffen am Tag X nach der Pandemie am besten an der Schusterkate an. „Dabei!“, erwidert Haugaard ohne zu zögern.

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