Oberstes britisches Gericht

Urteil beendet schottische Unabhängigkeitsdebatte nicht

Urteil beendet schottische Unabhängigkeitsdebatte nicht

Urteil beendet schottische Unabhängigkeitsdebatte nicht

dpa
London/Edinburgh
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Unterstützer der Unabhängigkeit Schottlands nehmen an einer Demonstration in Edinburgh teil. Foto: Jane Barlow/PA Wire/dpa

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Schottland darf ohne Zustimmung aus London kein Unabhängigkeitsreferendum einberufen. Diese Entscheidung des obersten britischen Gerichts ist eindeutig. Wäre das also geklärt, oder? Weit gefehlt.

Das schottische Parlament darf ohne Zustimmung aus London kein Unabhängigkeitsreferendum ansetzen. Die Debatte über eine Loslösung des nördlichsten Landesteils ist aber trotz der Entscheidung der höchsten britischen Richter alles andere als beendet. Zwar sprach der britische Premierminister Rishi Sunak am Mittwoch von einem «klaren und endgültigen Urteil». Doch Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte an, sie werde am Unabhängigkeitskurs festhalten und verschärfte den Ton gegen London.

«Wir sollten keinen Zweifel daran haben, dass von heute an die Demokratie auf dem Spiel steht», sagte Sturgeon in Edinburgh. Der Richterspruch, den sie anerkenne, habe den «Mythos» widerlegt, dass es sich beim Vereinigten Königreich um eine freiwillige Union von Partnern handele. Die Unabhängigkeitskampagne Time for Scotland fragte rhetorisch: «Ist dies eine Union oder ein Gefängnis?» Liz Saville Roberts, Fraktionschefin der Partei Plaid Cymru, die ein unabhängiges Wales anstrebt, sagte: «Dieses Urteil entlarvt die grundlegend undemokratischen Wesen der Westminster-Herrschaft.»

Nächste Wahl De-facto-Referendum

Sturgeon sprach von einer «bitteren Pille», machte aber klar, dass ihre Schottische Nationalpartei (SNP) nun die für 2024 geplante britische Parlamentswahl als De-facto-Referendum führen werde. Sollten dann die Unabhängigkeitsbefürworter - zu denen auch die Grünen und die SNP-Absplitterung Alba gehören - eine Mehrheit erhalten, werde Sturgeon das Votum als Mandat für einen Austritt werten, kommentierte die BBC. Die Politologin Kirsty Hughes nannte den Schritt clever. Denn wenn tatsächlich eine Mehrheit der Schotten für diese Parteien stimme, steige der Druck auf London weiter.

Andere Experten halten Sturgeons Kurs hingegen für riskant. Der Meinungsforscher James Johnson twitterte: «Ich erwarte, dass dies ein Geschenk an Labour in Schottland ist. Die schottischen Wechselwähler haben das Referendumspalaver satt.» Die Labour-Partei, die eine Unabhängigkeit ablehnt, hatte in Schottland einst regiert, aber in den vergangenen Jahren massiv Stimmen an die SNP mit ähnlichen sozialdemokratischen Positionen verloren. In Umfragen liegen das Ja- und das Nein-Lager seit langem in etwa gleichauf.

Veränderte Ausgangslage

Die schottische Regierung hatte den Supreme Court um Klärung gebeten, ob das Regionalparlament in Edinburgh ohne Zustimmung von London ein Referendum einberufen dürfe. Sturgeon hatte eine solche «beratende» und nicht bindende Abstimmung für 2023 geplant. Bei einem ersten Referendum 2014 hatte sich eine Mehrheit der Schotten für den Verbleib in der Union ausgesprochen. Für London ist die Frage seitdem entschieden. Sturgeon aber argumentiert, der Brexit, den die Schotten 2016 deutlich abgelehnt hatten, habe die Ausgangslage verändert. Sie will ein unabhängiges Schottland zurück in die EU führen. In Edinburgh haben die Unabhängigkeitsbefürworter die Mehrheit.

«Das schottische Parlament hat nicht die Befugnis, ein Gesetz für ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands zu erlassen», entschied der Vorsitzende Richter am Supreme Court, Robert Reed. Denn die Frage falle unter die Angelegenheiten, die der Zentralregierung vorbehalten seien. Regierungschefin Sturgeon sagte, sie sei jederzeit bereit, mit Sunak über eine Einigung für ein neues Referendum zu sprechen. Sie sei aber sicher, dass er ablehnen werde.

Im britischen Parlament wich der Premier Fragen von SNP-Abgeordneten aus, inwiefern er guten Gewissens von einer freiwilligen Union sprechen könne, wenn er doch Schottland das Recht auf eine demokratische Entscheidung per Unabhängigkeitsreferendum verweigere. Stattdessen stellte sich Sunak hinter die Aussage der früheren Premierministerin Theresa May, die die SNP aufforderte, ihre «Besessenheit» mit der Unabhängigkeitsfrage endlich aufzugeben. Der britische Schottland-Minister Alister Jack betonte: «Wenn wir als ein Vereinigtes Königreich zusammenarbeiten, sind wir sicherer, stärker und wohlhabender.» Unabhängigkeitsgegner betonen, eine Abspaltung werde Schottlands Wirtschaft erheblich schädigen.

Am späten Nachmittag wollten zahlreiche Menschen in mehreren schottischen Städten für die Unabhängigkeit ihres Landesteils demonstrieren. Auch in einigen europäischen Städten wie Berlin und München waren kleinere Zusammenkünfte geplant.

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