Lage im Krieg in der Ukraine

Ukrainische Armee in Donezk unter Druck

Ukrainische Armee in Donezk unter Druck

Ukrainische Armee in Donezk unter Druck

dpa
Kiew
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Ein ukrainischer Soldat hält in der Region Donezk Wache vor seinem Zelt. Foto: David Goldman/AP/dpa

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Im Gebiet Donezk versucht Russland, den Verteidigungswall um die letzten Großstädte zu brechen, die im Osten noch unter ukrainischer Kontrolle stehen. Derweil gibt es erneut einen Beschuss auf das Atomkraftwerk Saporischschja. Die aktuellen Entw...

Die ukrainische Armee gerät im östlichen Gebiet Donezk zunehmend unter Druck - hat vorerst aber eigenen Angaben zufolge alle Vorstöße der Russen abgewehrt. Seit der Eroberung der Nachbarregion Luhansk konzentrieren die Russen ihre Angriffe im Donbass auf Donezk, wo sie bislang rund 60 Prozent des Territoriums erobert haben.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bat vor diesem Hintergrund um neue westliche Waffen - und bedankte sich zugleich für die bislang schon gelieferten, die erfolgreiche Gegenoffensiven ermöglichten. «Jeder Angriff auf die Munitionsdepots des Feindes, auf seine Kommandoposten und auf Ansammlungen russischer Technik rettet unser aller Leben, das Leben der ukrainischen Soldaten und Zivilisten», sagte er.

Ukrainischer Generalstab: Vorstöße in Donezk abgewehrt

Es seien russische Offensiven in Richtung der Städte Slowjansk, Bachmut und Awdijiwka zurückgeschlagen worden, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Abendbericht mit. Insbesondere um Bachmut toben seit Tagen heftige Kämpfe. Die Kleinstadt gilt als ein Eckpfeiler des Verteidigungssystems rund um den letzten von Ukrainern gehaltenen Ballungsraum im Donbass. Sollten Bachmut und andere kleinere Orte fallen, wäre der Weg für Russlands Truppen weitgehend frei in Richtung der Großstädte Slowjansk und Kramatorsk.

Selenskyj lobt Erfolge ukrainischer Armee

Der ukrainische Präsident Selenskyj lobte unterdessen seine Streitkräfte für erfolgreiche Gegenangriffe - und hob dabei die Rolle westlicher Waffen hervor. In der vergangenen Woche habe die ukrainische Armee «starke Ergebnisse» bei der Zerstörung russischer Kriegslogistik erzielt, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zum Sonntag.

Selenskyj dankte westlichen Partnern für bisherige Waffenlieferungen. Er verwies insbesondere auf die USA, die vor einigen Tagen weitere Rüstungslieferungen an die Ukraine in einem Umfang von 550 Millionen Dollar angekündigt hatten. Darin sollen unter anderem Munition für das Mehrfachraketenwerfersystem Himars und 75.000 Artilleriegranaten enthalten sein. Zugleich bat Selenskyj um weitere Militärhilfe.

Erneut Beschuss von Atomkraftwerk vor

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage haben sich Moskau und Kiew gegenseitig den Beschuss des südukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja vorgeworfen. Die ukrainische Armee habe in der Nacht eine Rakete auf das AKW-Gelände abgefeuert, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf die Besatzungsverwaltung der Stadt Enerhodar, in der das Kraftwerk liegt. Die ukrainische Atombehörde Enerhoatom hingegen beschuldigte die Russen, das unter ihrer Kontrolle stehende Gelände selbst beschossen zu haben.

Bei dem Angriff wurden demnach ein Lager für abgebrannten Kernbrennstoff getroffen sowie Sensoren zur Strahlenmessung beschädigt. Enerhoatom berichtete zudem, kurz vor der Explosion hätten sich Hunderte Mitglieder der russischen Besatzung in Bunkern versteckt. Die Angaben beider Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte mit, er habe bereits EU-Ratspräsident Charles Michel über den jüngsten Angriff informiert - und neue Sanktionen gegen Russland gefordert. «Russlands nuklearer Terror erfordert eine stärkere Reaktion der internationalen Gemeinschaft: Sanktionen gegen die russische Nuklearindustrie und Kernbrennstoffe», schrieb Selenskyj auf Twitter.

Ukrainischer Generalstab: Russland bringt weiter Technik nach Belarus

Angaben des ukrainischen Generalstabs zufolge verlegt Russland weiter Kriegstechnik ins benachbarte Belarus. Unter anderem im Grenzbereich zum westukrainischen Gebiet Wolhynien würden auf belarussischem Gebiet zusätzliche Kräfte und Ausrüstung zur Luftverteidigung stationiert, teilte der Generalstab in Kiew mit. Unabhängig überprüfen ließ sich das zunächst nicht.

Die frühere Sowjetrepublik Belarus ist zwar nie offiziell mit in Russlands Krieg eingestiegen. Der autoritäre Machthaber Alexander Lukaschenko hat aber bereits kurz nach Beginn der Invasion Ende Februar eingeräumt, dass von belarussischem Staatsgebiet russische Raketen in Richtung Ukraine abgefeuert wurden. Lukaschenko gilt als enger Partner von Kremlchef Wladimir Putin. Ins Ausland geflohene belarussische Oppositionelle beschuldigen Lukaschenkos Machtapparat der Kollaboration.

Russische Besatzungsverwaltung meldet Tod von Mitglied

Im südukrainischen Gebiet Cherson ist Angaben der russischen Besatzungsverwaltung zufolge eines ihrer Mitglieder nach einem Anschlag gestorben. Der stellvertretende Leiter der von den Russen in der Stadt Nowa Kachowka eingesetzten Verwaltung, Witalij Gura, sei seinen Verletzungen erlegen, schrieb die prorussische Politikerin Jekaterina Gubarewa auf Telegram. Auch die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete Guras Tod. Demnach soll er früher am Tag in der Nähe seines Hauses von Unbekannten mit einer Schusswaffe angegriffen worden sein.

Infolge des seit rund fünfeinhalb Monaten andauernden Angriffskriegs gegen die Ukraine haben russische Truppen in der Südukraine mehrere Gebiete erobert und dort eigene Verwaltungen installiert. Insbesondere in Cherson gab es seitdem wiederholt Proteste aus der Bevölkerung gegen die neuen Besatzungsmacht. Immer wieder berichteten russische und prorussische Medien auch von Anschlägen.

Russland hat seit Kriegsbeginn sechs Kommandeure entlassen

Seit dem russischen Einmarsch ist nach britischen Informationen wohl ein halbes Dutzend hochrangiger russischer Militärs entlassen worden. Die schlechte Leistung der Streitkräfte während der Invasion sei für die russische Militärführung kostspielig gewesen, was höchstwahrscheinlich zur Entlassung von mindestens sechs Kommandeuren geführt habe, teilte das britische Verteidigungsministerium am Sonntag in seinem regelmäßigen Geheimdienst-Update mit. Unter anderem General Alexander Dwornikow sei abgesetzt worden, nachdem er das Gesamtkommando über die Operation in der Ukraine erhalten habe.

Hinzu kämen mindestens zehn russische Generäle, die in der Ukraine auf dem Schlachtfeld getötet worden seien, schrieben die Briten weiter. Insgesamt habe all dies wahrscheinlich zu Russlands taktischen und operativen Schwierigkeiten bei dem Angriffskrieg beigetragen.

Ankunft des Getreidefrachters im Libanon verschiebt sich

Das erste Frachtschiff mit ukrainischem Getreide seit Kriegsbeginn legt später als erwartet im Libanon an. Die für heute geplante Ankunft des Schiffes «Razoni» sei abgesagt worden, berichtete die ARD unter Berufung auf den ukrainischen Botschafter im Libanon. Zu den Gründen wurden keine Angaben gemacht. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass berichtete unter Berufung auf eine Quelle der Hafenverwaltung im nordlibanesischen Tripoli, der Frachter werde dort am Dienstag anlegen - er habe seine Route geändert.

In der Ukraine haben vier weitere Getreidefrachter aus ukrainischen Häfen abgelegt. Die unter anderem mit Sonnenblumenöl und Mais beladenen Schiffe mit den Zielen China, Türkei und Italien seien auf dem Weg nach Istanbul, um dort kontrolliert zu werden, teilte das türkische Verteidigungsministerium auf Twitter mit. Insgesamt haben damit seit Abschluss des Getreide-Abkommens acht Frachter aus der Ukraine abgelegt.

Aus Protest: Ukrainische Amnesty-Leiterin tritt zurück

Als Reaktion auf einen umstrittenen Bericht zur Kriegsführung der ukrainischen Armee trat die Leiterin der ukrainischen Filiale der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zurück. «Wenn Sie nicht in einem Land leben, in das Besatzer einfallen, die es in Stücke reißen, verstehen Sie wahrscheinlich nicht, wie es ist, eine Armee von Verteidigern zu verurteilen», schrieb Oxanna Pokaltschuk auf Facebook.

Amnesty hatte in einem am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Bericht der ukrainischen Armee unter anderem vorgeworfen, sich in Wohnvierteln zu verschanzen und damit Zivilisten unnötig in Gefahr zu bringen. Pokaltschuk hielt ihren ehemaligen Kollegen nun vor, der Bericht sei nicht sauber genug aufbereitet. In Kiew wird außerdem kritisiert, durch den Fokus auf Verfehlungen der Armee des angegriffenen Landes werde eine Täter-Opfer-Verkehrung betrieben.

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