Anschlag in Afghanistan

Nach Blutbad von Kabul: Biden kündigt Vergeltung an

Nach Blutbad von Kabul: Biden kündigt Vergeltung an

Nach Blutbad von Kabul: Biden kündigt Vergeltung an

dpa
Washington/Kabul
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Joe Biden, Präsident der USA, hält inne, als er im Weißen Haus nach dem tödlichen Anschlag in der Nähe des Flughafens von Kabul spricht. Foto: Evan Vucci/AP/dpa

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In wenigen Tagen soll der US-Militäreinsatz in Afghanistan Geschichte sein. Kurz davor fügen Terroristen den US-Truppen dort die schwersten Verluste seit Jahren zu. US-Präsident Biden schwört Rache.

US-Präsident Joe Biden trägt nach eigenen Worten stets eine Karte mit sich, auf der die aktuelle Zahl der Gefallenen im Irak und in Afghanistan steht. Am Donnerstag müssen in der Afghanistan-Spalte gleich 13 getötete US-Soldaten eingetragen werden.

Seit dem umstrittenen Abkommen seines Vorgängers Donald Trump mit den Taliban im Februar vergangenen Jahres war in Afghanistan kein US-Soldat mehr gewaltsam ums Leben gekommen. Doch unmittelbar vor dem Ende von Amerikas längstem Krieg erleiden die US-Streitkräfte nun ihre schwersten Verluste in dem Land seit mehr als einem Jahrzehnt. Das Chaos bei der Evakuierungsmission wird zur Katastrophe.

US-Militär rechnet mit weiteren Angriffen

Der örtliche Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamiert den Terrorangriff mit einem Selbstmordattentäter und mit Schützen am Flughafen von Kabul für sich. Laut Biden sehen auch die US-Geheimdienste den IS als Drahtzieher der Bluttat, bei der Dutzende getötet wurden. In Syrien und dem Irak hatte Trump den IS im März 2019 für besiegt erklärt, das stellte sich als verfrüht heraus. In Afghanistan haben sich dem dortigen IS-Zweig Kämpfer angeschlossen, denen selbst die militant-islamistischen Taliban nicht radikal genug waren. US-General Kenneth McKenzie, der das US-Zentralkommando Centcom führt, sagt, man habe bei der Evakuierungsmission in Kabul mit einem Anschlag gerechnet - «und wir rechnen damit, dass sich diese Angriffe fortsetzen werden».

Verkehrte Welt in Kabul

Es ist eine verkehrte Welt, die sich in den letzten Tagen des US-Einsatzes in Afghanistan darbietet: Die Taliban - die für Hunderte Selbstmordanschläge verantwortlich gewesen sind - kündigen am Donnerstag an, die Hintermänner dieses Terrorangriffs zur Rechenschaft zu ziehen. General McKenzie, zu dessen vordringlichsten Aufgaben bis vor kurzem der Kampf gegen die Taliban zählte, nennt die Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern «nützlich». Vereint sind die Kriegsgegner auch jetzt nicht, Biden betont, die Taliban seien «keine guten Kerle». Gemeinsam ist den Amerikanern und den Islamisten aber, dass sie erbitterte Feinde des IS sind. Beide eint außerdem das Ziel, dass die USA am kommenden Dienstag ihren Einsatz beenden.

Biden will vor Terroristen nicht einknicken

Biden ist sichtlich betroffen, als er am Donnerstagabend im Weißen Haus vor die Kameras tritt, er spricht von einem «schweren Tag». Der Präsident hat versprochen, alle Amerikaner nach Hause zu holen und möglichst viele afghanische Verbündete außer Landes zu bringen. Nach Angaben des US-Außenministeriums befinden sich in Afghanistan noch immer rund 1000 amerikanische Staatsbürger. Jeder Einsatztag erhöht derweil das Risiko weiterer Anschläge. Der Präsident macht bei seinem halbstündigen Auftritt deutlich: «Wir werden uns von Terroristen nicht abschrecken lassen. Wir werden nicht zulassen, dass sie unsere Mission aufhalten. Wir werden die Evakuierung fortsetzen.»

«Wir werden nicht vergeben»

Für Biden haben die Kampfeinsätze von US-Soldaten eine persönliche Note, sein später verstorbener Sohn Beau war als Offizier im Irak. «Wir haben, wie viele von Ihnen, eine Ahnung davon, was die Familien dieser tapferen Helden heute fühlen», sagt Biden mit Blick auf die Angehörigen der nun getöteten US-Soldaten. «Man hat das Gefühl, als würde man in ein schwarzes Loch in der Mitte der Brust gesaugt. Es gibt keinen Ausweg. Mein Herz schmerzt für Sie.» Umso wütender fällt Bidens Racheschwur aus. An die Adresse der Drahtzieher des Anschlags sagt er: «Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen. Wir werden euch jagen und euch dafür bezahlen lassen.»

Die Folgen des Scheiterns

Als wichtigstes Argument für den Truppenabzug aus Afghanistan hat Biden angeführt, dass das Terrornetzwerk Al-Kaida nicht mehr in der Lage sei, von dort aus Ziele in den USA anzugreifen. Selbst wenn das stimmen sollte: Dass der Terror in Afghanistan nicht besiegt ist, hat der Anschlag erneut deutlich gemacht. Bidens Drohung an die Adresse der Hintermänner ist angesichts von US-Drohnen und Spezialkräften sicher keine leere. Eines aber müssen Dschihadisten weltweit wohl auf absehbare Zeit nicht mehr fürchten: Einen US-geführten Einmarsch in ihrem Land. Zu solchen Interventionen dürften westliche Staaten nach ihrem Scheitern in Afghanistan so bald nicht mehr bereit sein.

Biden steht unbeirrt zum Abzug

Biden sagt am Donnerstag noch etwas, was diejenigen schmerzen dürfte, die sich in den vergangenen 20 Jahren für den Aufbau der Demokratie in Afghanistan engagiert haben. «Ich war nie der Meinung, dass wir amerikanische Leben opfern sollten, um eine demokratische Regierung in Afghanistan zu etablieren.» Felsenfest vertritt er weiterhin die Ansicht, dass der Abzug der US-Truppen der richtige Schritt ist, auch wenn Afghanistan damit wieder den Islamisten überlassen wird.

Biden ist überzeugt, dass die Geschichte - und mittelfristig noch viel wichtiger: der Wähler - ihm recht geben wird. Umfragen zufolge sind die Zustimmungswerte des Demokraten zuletzt auf einen Tiefpunkt gefallen. Nach einer Befragung im Auftrag von «USA Today» heißt gerade einmal rund jeder Vierte Bidens Umgang mit dem Truppenabzug gut - obwohl eine Mehrheit dafür ist, die Soldaten nach Hause zu holen. Heftige Kritik kommt von den Republikanern. Die Abgeordnete Elsie Stefanik aus der Fraktionsführung im Repräsentantenhaus schreibt auf Twitter: «Joe Biden hat Blut an seinen Händen.»

Bidens Extreme

Biden argumentiert, er habe nach Trumps Abkommen mit den Taliban - das einen Abzug schon zum 1. Mai vorsah - nur zwei Möglichkeiten gehabt: Die Truppen bald danach nach Hause zu holen oder Tausende neue Soldaten nach Afghanistan zu schicken, um den Krieg zu eskalieren. Er lässt unerwähnt, dass Experten durchaus Alternativen zu diesen zwei Extremen vorgeschlagen haben. Und betont auch jetzt wieder: «Es war an der Zeit, einen 20-jährigen Krieg zu beenden.»

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