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EU-Vorsitz und UN-Sicherheitsrat: Was hat Deutschland erreicht?

EU-Vorsitz und UN-Sicherheitsrat: Was hat Deutschland erreicht?

EU-Vorsitz und UN: Was hat Deutschland erreicht?

Verena Schmitt-Roschmann, Benno Schwinghammer und Michael Fischer, dpa
Brüssel/New York/Berlin
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UN-Generalsekretär Antonio Guterres (links) im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (mittig) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach seiner Rede im Bundestag in Berlin am 18. Dezember. Foto: John Macdougall/AFP/Ritzau Scanpix

Sechs Monate an der Spitze der EU. Zwei Jahre im wichtigsten Gremium der UN. So viel Verantwortung auf einmal trägt Deutschland nur selten im Weltgefüge. Die Bilanz ist durchwachsen.

Deutschland im Rampenlicht auf der Weltbühne: Die Erwartungen waren enorm, als das wirtschaftsstärkste EU-Land im Juli für ein halbes Jahr den Vorsitz der 27 Staaten der Europäischen Union übernahm. Gleichzeitig lief auch noch die zweijährige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat, dem wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen. Mit dem Jahreswechsel geht beides zu Ende. In der EU hat Deutschland auf der Zielgerade noch ziemlich viel zustande gebracht. Im Sicherheitsrat ist die Bilanz ernüchternder.

DAS HAT DEUTSCHLAND GESCHAFFT:

Corona-Hilfen und EU-Haushaltspaket

Es war ein Drama in zwei Akten: Zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft brauchte ein EU-Gipfel im Juli vier Tage und vier Nächte, um ein 1,8 Billionen Euro schweres Haushaltspaket zu schnüren. Das Neue: Für 750 Milliarden Euro Corona-Hilfen sollen im großen Stil gemeinsam Schulden gemacht werden. Das schweißt die EU enger zusammen. Die Beteiligten schwärmten nach dem Kraftakt im Sommer siegestrunken, aber zu früh, wie sich herausstellte. Denn Ungarn und Polen stellten sich noch quer. Grund war eine neue Klausel, wonach bei bestimmten Rechtsstaatsverstößen EU-Gelder gekürzt werden können. Nach einer quälenden Hängepartie fand Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Lösung - eine Zusatzerklärung machte den Weg frei für Haushalt und Corona-Hilfen. Es ist die größte Errungenschaft dieser Ratspräsidentschaft.

Ein neues Klimaziel

Bis 2030 mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990: Merkel stellte sich schnell hinter diesen Vorschlag der EU-Kommission, sonst hätte deren Präsidentin Ursula von der Leyen das sofort vergessen können. Weniger leicht taten sich Länder wie Tschechien und Polen, die beim EU-Gipfel im Dezember eine ganze Nacht lang bekniet und mit finanziellen Zugeständnissen geködert werden mussten. Am Ende aber konnte Umweltministerin Svenja Schulze den Vereinten Nationen melden, dass die EU ihre internationalen Verpflichtungen offiziell erhöht: von minus 40 Prozent auf minus 55 Prozent. Kritikern ist das Ziel nicht ehrgeizig genug. Aber dass die EU-Staaten sich einig wurden, ist ein Erfolg. Merkel hat ihren Anteil daran.

Brexit mit glimpflichem Ende

Das gilt auch für den Abschluss von viereinhalb Jahren endloser Streitereien um den britischen EU-Austritt. Ganze sieben Tage vor dem Ausscheiden Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion gelang ein Anschlussabkommen - ein Fotofinish zu Weihnachten, das die schlimmsten Verwerfungen zu Neujahr abwendet. Die Verantwortung hatten von der Leyen und EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Merkel übernahm die Rolle, regelmäßig zu mahnen, noch nicht aufzugeben. Die deutsche Industrie hatte enorm viel zu verlieren, aber auch für alle anderen Beteiligten wäre ein No Deal wirtschaftlich und politisch ein Desaster geworden.

Ein EU-Investitionsabkommen mit China

Am vorletzten Tag der Ratspräsidentschaft kam dann noch die Grundsatzeinigung auf ein Investitionsabkommen mit China, an dem sieben Jahre verhandelt worden war. Die EU-Spitzen verkündeten den Durchbruch nach einem Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Auch hier gilt: Zuständig war die Kommission unter von der Leyen, doch Merkel schob im Hintergrund mit und nahm auch an der Videokonferenz mit Xi teil. Der leichtere Zugang zum chinesischen Markt hat große Bedeutung für europäische Firmen, auch für deutsche.

Klare Ansagen statt diplomatische Zurückhaltung im Sicherheitsrat

Der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen hatte sich vorgenommen, den verkrusteten UN-Sicherheitsrat mit viel Selbstbewusstsein wachzurütteln. Dazu gehörten relativ undiplomatische Angriffe auf seine Amtskollegen aus Russland und China, manchmal aber auch deutliche Worte an die US-Vertreter. Seine Redebeiträge hielt Heusgen - anders als üblich - frei. Er versuchte, die Interaktion im Gremium zu verstärken. Deutschland trat mit dem Selbstverständnis einer Vetomacht auf, was vor allem Peking zunehmend nervte. Zum Abschied sagte der chinesische Diplomat Yao Shaojun an die Adresse Deutschlands: „Gut, dass wir Sie los sind!“

Impuls zur Lösung des Libyen-Konflikts

Klimaschutz, Abrüstung, Kampf gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten. Bei diesen Themen hat Deutschland im Sicherheitsrat versucht, Akzente zu setzen. Das Gremium ist aber vor allem zur Lösung der großen Konflikte dieser Welt gegründet worden, und in einem dieser Konflikte hat sich Deutschland eine maßgebliche Schlichterrolle erarbeitet. Vor einem Jahr veranstaltete die Bundesregierung gemeinsam mit den UN einen Gipfel der in den Libyen-Krieg verwickelten Staaten, um die Einmischung von außen zu beenden. Das gelang zwar nicht auf Anhieb, die Waffenlieferungen nach Libyen hielten an. Trotzdem gab es Fortschritte. Eine Waffenruhe und Verhandlungen der Konfliktparteien machen Hoffnung auf Frieden nach einem Jahrzehnt Bürgerkrieg.

DAS LIEF NICHT SO GUT:

Wieder kein Durchbruch beim Thema Migration

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wollte eine politische Einigung der EU-Staaten auf Eckpunkte einer Asylreform noch vor Jahresende. Nach jahrelangem Grundsatzstreit in der Migrationsfrage wäre das eine Sensation gewesen. Die EU-Kommission machte im September einen Reform-Vorschlag - wegen langer Vorgespräche mit den EU-Staaten und der Corona-Krise viel später als gedacht. Doch auf dieser Basis schaffte Seehofer keinen Durchbruch. Die strittige Frage der Verteilung schutzsuchender Migranten in Europa bleibt ungelöst. Außenminister Heiko Maas macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung: „Das bleibt einer der großen Spaltpilze in der Europäischen Union“

Wo bleibt Europa zwischen den USA und China?

Wie sich die EU zwischen den beiden Großmächten behaupten kann, ist während der deutschen Ratspräsidentschaft nicht viel klarer geworden. Einig ist man sich lediglich, dass man sich auf gemeinsame Stärken besinnen muss. Europäische Autonomie nennt das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die Bundesregierung spricht etwas zurückhaltender von europäischer Souveränität. Die Bedingungen für eine Neubestimmung der Rolle Europas in der Welt waren aber auch ungünstig. Ein EU-China-Gipfel in Leipzig, der Höhepunkt der deutschen Präsidentschaft werden sollte, wurde wegen Corona abgesagt. Und die transatlantischen Beziehungen werden wohl erst nach dem Machtwechsel von Donald Trump zu Joe Biden am 20. Januar neu justiert.

Blockade des Sicherheitsrats verschärft sich

Deutschland hätte vermutlich kaum eine schlechtere Zeit für seine Jahre im Sicherheitsrat erwischen können: Das mächtigste UN-Gremium war in den Regierungsjahren von US-Präsident Trump noch blockierter als eh schon, obwohl die Herausforderungen gerade durch Corona wuchsen. Maas hält den Rat nur noch für „bedingt handlungsfähig“. Zwar dürfte der Trend zu nationalen Alleingängen mit Trumps Abwahl gebremst werden. Die Konkurrenz zwischen Amerika auf der einen sowie China und Russland auf der anderen Seite dürfte aber weitergehen und könnte den Sicherheitsrat weiter lähmen.

Eine UN-Reform ist nicht in Sicht

Über eine Reform des Sicherheitsrats wird seit Jahrzehnten diskutiert und sie ist dringlicher denn je. Deutschland würde gerne zusammen mit anderen Ländern in den erlauchten Kreis der Vetomächte USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien aufrücken. Da hat sich aber auch in den vergangenen zwei Jahren nichts getan. Berlin argumentiert, dass die Machtverteilung der Welt sich seit der Gründung der UN vor 75 Jahren verändert hat. Es spricht jedoch bisher nichts dafür, dass die bisherigen Vetomächte eigene Privilegien im globalen Wettstreit freiwillig einschränken könnten.

 

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