Auswanderer

Wie ein Nordfriese auf den Shetland-Inseln landete

Wie ein Nordfriese auf den Shetland-Inseln landete

Wie ein Nordfriese auf den Shetland-Inseln landete

Silke Schlüter/shz.de
Nordfriesland
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Hans-Jürgen Marter in seiner Home-Office-Redaktion auf den Shetland-Inseln, wo er die Shetland News schreibt. Foto: Kent Lidman

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Von Nordfriesland nach Schottland: Hans-Jürgen Marter wanderte vor 30 Jahren aus und wurde dort Lokaljournalist.

Wie kommt ein waschechter Friesenjung dazu, nach Schottland zu ziehen und dort für immer bleiben zu wollen? Hans-Jürgen Marter erzählt seine Geschichte, die 1960 mit seiner Geburt auf Sylt begann und sich seit 1992 auf den Shetland-Inseln abspielt.

Schottisch und eigen

Der Draht in die alte Heimat funktioniert über seine Mutter in Klanxbüll, seine Schwester in Klixbüll und zahlreiche alte Freunde, zu denen der Kontakt gerade wieder enger geworden ist. Aktuell beschäftigen ihn die Folgen des Brexit. Darüber sprach er kürzlich in der ZDF-Dokumentation „Ganz schön schottisch, ganz schön eigen“. Ein Titel, der auch auf ihn selbst zutrifft.

Geboren auf Sylt kam Hans-Jürgen Marter mit seiner Familie in den 60er Jahren nach Klanxbüll, wo er seine Kindheit verbrachte und zur Schule ging. Er hat in Marburg und Hamburg Politikwissenschaft und Soziologie studiert und nebenbei in der Nachrichtenredaktion von SAT1 gearbeitet.

In Deutschland hätten wir uns wohl nie kennengelernt, dazu mussten wir beide nach Schottland reisen.

Hans-Jürgern Marter, Auswanderer

Während eines Urlaubs auf den Orkneyinseln lernte er über einen gemeinsamen Freund seine Frau kennen, deren Heimat der Südwesten Baden-Württembergs ist. „In Deutschland hätten wir uns wohl nie kennengelernt, dazu mussten wir beide nach Schottland reisen“, erzählt er von einer schicksalhaften Begegnung, auf die eine fast dreijährige Fernbeziehung folgen sollte.

Mit einem Rucksack und ohne Plan

Viele in seinem Umfeld nahmen den Plan, nach Schottland auszuwandern, nicht ernst. Doch am 23. Mai 1992 machte sich die Beiden tatsächlich auf den Weg – nur mit einem Rucksack als Gepäck und „völlig planlos“, wie der damals 31-Jährige heute findet: „Wir wussten nicht wie, wir wussten nicht wo, aber wir hatten uns – und mehr brauchten wir damals nicht.“

Ferienhaus wird zum Zuhause

Den Sommer über zelteten sie auf Shetland und machten sich Gedanken über die Zukunft. Für den Winter fanden sie ein Ferienhaus und fühlten sich dort sofort zu Hause. Und so kam es, dass sie das Häuschen erst dauerhaft mieteten und schließlich sogar kauften.

Blick aufs Meer: Vom Wohnhaus hat Merter einen grandiosen Blick aufs Meer. Foto: Privat

„In diesem Haus wohnen wir bis heute. 1994 und 1997 kamen unsere Kinder Euan und Katarina hier zur Welt“, erzählt Hans-Jürgen Marter von einer wegweisenden Entscheidung, die sich mit der Zeit als goldrichtig erweisen sollte.

Ohne Telefon, Ohne Auto, ohne Sprachkenntnisse

Dabei waren die ersten Jahre nicht einfach – ohne Telefon, ohne Auto, ohne echte Kenntnisse der Sprache und der schottischen Lebensweise. „Uns wurde schnell klar: Wenn wir hier leben wollen, müssen wir bereit sein, von ganz unten neu anzufangen“, sagt Marter, der anfangs seine früheren Kontakte nutzte und von Shetland aus deutsche Medien belieferte. Vor Ort als Journalist zu arbeiten, kam für ihn da noch nicht in Frage: „Das wäre eine Anmaßung gewesen. Wir mussten ja selbst erst einmal ankommen und hatten noch viel zu lernen“, sagt er selbstkritisch.

Das Ferienhaus wurde zum Zuhause: Haus und Garten der Auswanderer. Foto: Privat

Empörung über Brent Spar

Doch dann kam ihm 1995 der Zufall zu Hilfe: Das Vorhaben von Shell und Esso, den 190 Kilometer vor Shetlands Küste schwimmenden Öltank „Brent Spar“ im Atlantik zu versenken, löste eine internationale Welle der Empörung aus und rief Greenpeace auf den Plan.

Ich war selbst einige Tage auf der Plattform und habe in den deutschen Zeitungen über das Geschehen berichtet.

Hans-Jürgern Marter

Die Organisation richtete sich ganz in der Nähe ein Büro ein. „Ich war selbst einige Tage auf der Plattform und habe in den deutschen Zeitungen über das Geschehen berichtet“, erzählt Hans-Jürgen Marter von einer Story, die ihm in der Folge die Türen zu den schottischen Nachrichtenagenturen öffnete. „Was mich anfangs übrigens total überfordert hat. Es ist dann doch etwas anderes, auf Englisch zu schreiben“, sagt er heute.

Marter übernimmt Shetland News

„Hauptsächlich arbeitete ich für die Nachrichtenagentur Shetland News Agency, und dadurch auch für das schottische Fernsehen. Als der Inhaber 1998 aufgeben wollte, ergriff ich die Chance und übernahm die Agentur“, erzählt Hans-Jürgen Marter, der später daraus das Online-Portal Shetland News machte.

Lokaljournalismus auf einer Insel mit nur 23.000 Einwohnern ist vor allem deshalb schwierig, weil man sich kennt und jeder weiß, wo Du wohnst.

Hans-Jürgern Marter

Seit 2003 betreibt er es mit drei Kollegen vom Homeoffice aus. „Was ich gelernt habe: Lokaljournalismus auf einer Insel mit nur 23.000 Einwohnern ist vor allem deshalb schwierig, weil man sich kennt und jeder weiß, wo Du wohnst “, sagt er. Auch deshalb sei es nötig, absolut akkurat zu arbeiten, bei jedem Argument alle Seiten im Fokus zu haben, und vor allem extrem glaubwürdig zu sein. „Fehler werden dir so schnell nicht verziehen“, so seine Erfahrung, die letztendlich dazu geführt hat, dass die Shetland News auf der Insel einen ausgesprochen seriösen Ruf genießen.

Der Draht in die alte Heimat

Zuletzt in Nordfriesland war der Auswanderer im März 2019. Die für April 2020 gemeinsam mit Tochter Katarina geplante Reise zur Oma in Klanxbüll fiel der Pandemie zum Opfer und soll – nach Möglichkeit – in diesem Jahr nachgeholt werden. Derweil ist der Kontakt in die alte Heimat plötzlich wieder enger und intensiver geworden. „Dass in kurzer Zeit zwei Freunde aus unserer früheren Clique verstorben sind, hat alle anderen wieder näher zusammenrücken lassen. Freunde, die früher wichtig waren, sind auf einmal wieder da und halten Kontakt – das ist schön“, sagt er. Dennoch wäre es für ihn undenkbar, dauerhaft nach Deutschland zurückzukehren: „Wir sind hier tief verwurzelt, Schottland ist unser Hause“, betont Hans-Jürgen Marter.

Brexit-Folgen in Schottland deutlich spürbar

Und das, obwohl die Folgen des Brexit dort längst spürbar sind und die Bestrebungen Schottlands, sich von England unabhängig zu machen, wachsen und für Unruhe sorgen. „Die Unterschiede zwischen unseren beiden Nationen sind inzwischen enorm“, sagt er und erinnert daran, dass bei der Abstimmung 2016 rund 62 % der Schotten dafür gestimmt haben, in der Europäischen Union zu bleiben.

„Ganz ähnlich war es in Nordirland. Trotzdem sind wir gezwungen, den Brexit mitzugehen“, sagt Marter und blickt deshalb mit Spannung auf die Wahlen im Mai, mit denen das schottische Parlament neu gewählt wird. „Die Umfragen sprechen dafür, dass die Scottish National Party (SNP) die absolute Mehrheit gewinnen kann“, sagt er. Die Unabhängigkeit Schottlands ist eine ihrer Hauptforderungen. Allerdings müsste London einem entsprechenden Referendum zustimmen. „Diese Chance sehe ich bei der jetzigen Regierung nicht. Es bleibt also weiterhin sehr spannend hier“, sagt er.

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