Jugend und Corona

Leon Bossen: Kinder und Jugendliche werden nicht gehört

Leon Bossen: Kinder und Jugendliche werden nicht gehört

Leon Bossen: Kinder und Jugendliche werden nicht gehört

Antje Walther/shz.de
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Leon Bossen bewegt das Schicksal der jungen Leute in der Corona-Pandemie. Foto: Jan-Christoph Elle

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Dem Vorsitzenden der Grünen Jugend fehlen kreative Ansätze, um psychische Probleme der Jugend in der Krise zu vermeiden.

Leon Bossen ist Vorsitzender der Grünen Jugend Flensburg und Mitglied der dänischen Minderheit. Er ist bürgerschaftliches Mitglied im Bildungsausschuss in Flensburg. Sein digitales Studium in Dänemark hat er abgebrochen und will ab September Soziologie in Kiel studieren. Ihn bewegt, was aus der jungen Generation in dieser Corona-Krise wird. Mit 20 ist er selbst jung, um eigene Erfahrungen beizutragen. Im Interview fordert er kreative Lösungen gerade für diese Altersgruppe, die in der Pandemie aus seiner Sicht übersehen werde.

Sie haben sich an uns gewandt, um über junge Leute und die Corona-Krise zu sprechen. Welche Beobachtungen machen Sie?

Erstmal freut es mich sehr, dass Sie auf das Thema eingehen wollen. Ich glaube, das ist eine existenzielle Frage. Wir spielen mit der Zukunft einer Generation, die so viele wichtige Aufgaben hat und eine so hohe Verantwortung trägt. Wir sehen, wenn wir auf Umfragen schauen, dass sich eine deutliche Mehrheit der jungen Menschen in dieser Corona-Krise nicht angehört fühlt. Sie hat das Gefühl, ihre Meinung, ihre Sorgen, ihre Ängste spielen in dieser Pandemie keine Rolle.

Wie nehmen Sie das konkret in Flensburg wahr, im eigenen Umfeld zum Beispiel? Oder wenden sich junge Leute direkt an Sie?

Sowohl als auch. Ich erlebe es in meinem Umfeld, dass junge Menschen mit den Kontaktbeschränkungen viele Probleme haben. Und die Angst haben und sich fragen: Öffnet jetzt die Schule oder schließt sie wieder, weil die Schule für sie ein soziales Forum ist. Das ist für sie sehr, sehr belastend. Genauso bekommen wir Zuschriften als Jugend-Partei, wo die Frage gestellt wird: Warum werden wir nicht gehört? Mich besorgen am meisten die Kontaktbeschränkungen. Wenn man Kinder und Jugendliche verstehen will heutzutage, dann heißt das, zu verstehen, dass die meisten jungen Menschen nicht mehr zwischen Einzelpersonen interagieren, sondern in Gruppen. Wenn man das auf einen Haushalt beschränkt, fallen ganz viele junge Menschen durchs Raster, weil sie nur Kontakt haben, wenn die Gruppe erlaubt ist. Und das sind oft feste Gruppen.

 

Kontaktbeschränkungen müssen nicht unbedingt lockerer, sie müssen präziser sein.

Leon Bossen, Vorsitzender der Grünen Jugend Flensburg

Warum können wir nicht auf alternative sichere Möglichkeiten setzen? Beispielsweise Kohorten-Möglichkeiten: Man trifft sich mit einer festen Gruppe, die man angeben muss. Kontaktbeschränkungen müssen nicht unbedingt lockerer, sie müssen präziser sein. Wir haben jetzt den Bericht von Aerosol-Forschern, die sagen: Lasst das alles nach draußen verlegen und es nicht drinnen stattfinden. Denn auch das erleben wir: Dass sich viele Menschen dann drinnen treffen.

Sie haben andere Länder in Ihrer Nachricht an uns erwähnt: Haben Sie konkrete Vorbilder, die Sie ins Feld führen würden

Wir haben in Deutschland gar keine kontaktgebundene Sozialforschung in dieser Pandemie bisher. Was dazu führt, dass man nicht untersuchen kann, welche alternativen Möglichkeiten des Soziallebens vorhanden sind, die weiterhin infektionssicherer sein können? Dänemark hat immer Treffen von fünf Personen ermöglicht im Freien. Für private Haushalte gab es nur eine Empfehlung, weil Dänemark genau weiß: Wir können Privathaushalte nicht kontrollieren. Dänemark ist jetzt auf einem vorbildlichen Weg, weil es die Lage im Griff hat. Dänemark hat es geschafft durch ganz viele Tests und eine gute Infektionsnachverfolgung. Warum können wir das hier nicht auch?

Welche Verbindung haben Sie persönlich zu Dänemark?

Ich bin Teil der dänischen Minderheit und habe auf der Duborg-Skolen 2020 mein Abi gemacht. Im August 2020 bin ich nach Dänemark gegangen, bin aber wieder zurückgezogen, weil ich mein Studium abgebrochen habe. In einer neuen Stadt kennst Du keine Menschen und wirst sie auch nicht kennenlernen, wenn Du acht, neun Stunden vor dem PC sitzt am Tag. Für die Studierenden ist das schrecklich: Nicht nur, weil sie keine sozialen Kontakte haben können. Zusätzlich verlieren sie ihre Minijobs und müssen dann oftmals nach Hause ziehen, weil sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Wir erleben, dass Jugendliche zu selten eingebunden werden, auch hier in Flensburg. Unsere Grüne Ratsfraktion hat vorgeschlagen, ein junges Corona-Kompetenz-Team einzuführen. In der dänischen Stadt Aarhus hat der Bürgermeister ein junges Gremium einberufen, das sagt: Jetzt haben wir Maßnahmen – wie können wir jungen Menschen helfen, damit umzugehen. Das wurde von der Stadtverwaltung und einer Mehrheit der Fraktionen abgelehnt. Wir haben jetzt kein Gremium, das Beteiligung von Kindern und Jugendlichen möglich macht; wir haben einen Stadtschülerrat, der nicht aktiv ist. Es fehlt die Kreativität in der Krise. Die Stadtverwaltung leistet tolle Arbeit. Aber man darf Fehler kritisieren.

Die Notbetreuung in Kitas wurde eingerichtet, natürlich eher mit dem Blick von den Eltern aus. Über Spielplätze, Freizeitangebote, Vereine wurde viel gesprochen: Mitgedacht wurde das schon. Ist Ihre Kritik, dass nicht aus den Augen der Kinder mitgedacht wurde?

Kinder haben das Bedürfnis, mit anderen Kindern zu spielen. Das gleiche gilt für Schüler, die es brauchen, ihre Klassenkameraden zu sehen. Da trifft die Notbetreuung nicht auf alle zu. Ich habe für den Verein Villekula gearbeitet hier in Flensburg, der oftmals nicht wusste, ob er jetzt öffnen darf oder nicht oder oftmals schließen musste. Und das, obwohl man da mit fünf oder zehn kleinen Kindern und großem Abstand und nur draußen ist – das wurde nicht mitgedacht. Und das ist jetzt eine Kritik an Land und Bund: Es hätte sofort auf Luftfilteranlagen gesetzt werden müssen für Schulen. Es wurde zu selten kreativ gedacht, wie kann man den Ausgleich bieten, wenn Schüler keine Schule haben.

Man könnte meinen, dass das Digitale der Lebenswirklichkeit von Jüngeren entspricht. Woran liegt es, dass es offenbar trotzdem wichtig ist, sich „live“ zu sehen?

Am Anfang der Krise hat man gesagt, dass die digitalen Lösungen verhindern werden, dass die Jugendlichen unter psychischen Problemen oder sozialen Benachteiligungen leiden. Wir sehen, die digitale Lösung ist nicht anwendbar. Das ist was anderes als zu interagieren. Wir hatten Landesmitgliederversammlung der Grünen Jugend. Wenn das ein Präsenztreffen gewesen wäre, hätte man mit seinem Sitznachbarn ein bisschen smalltalken können. Aber das kannst Du digital nicht, weil Du sofort den Redner unterbrichst.

Wahrscheinlich ist die Wahrheit in der Mitte. Und Fußballspielen und frische Luft schnappen gehört dazu...

Genau. Beim Fußball oder Sport allgemein pflegen viele ihre sozialen Kontakte. Das lässt sich digital nicht machen.

Ausgeblendet habe ich bei der Frage, dass die Kinder mit online-Schule so viel zu tun haben, dass sie vielleicht selber keine Lust mehr haben, das auszuweiten.

Das ist auch eine große Diskussion, wie viel die Kinder vor dem PC sitzen und wie viel gesund ist.

Wie sind Ihre Pläne über das Studium hinaus? Ich sehe drei interessante Flaggen im Hintergrund (die deutsche, die dänische und die europäische) auf dem Regal...

Ich möchte gern politisch aktiv bleiben, auch gern in Flensburg. Eher strebe ich die politische Karriere an, das mache ich mit Leib und Seele. Sie sind die Erste, die mich auf die Flaggen anspricht...

Die europäische ist dabei..

Ich bin ein großer Fan von Europa, ich glaube, die meisten jungen Menschen sind Fan von Europa. Man profitiert davon, gerade hier im Grenzland.

Mehr lesen

Kulturkommentar

Meinung
Uffe Iwersen/ BDN-Kulturkonsulent
„Von Jugend für Jugend“